Alexa lernt und lernt und lernt - und wird wohl irgendwann schlau genug sein, um sich als Assistent im Alltag der Verbraucher durchzusetzen. Dasselbe gilt für die Sprachassistenten von Google, Apple, Microsoft und Co. Doch was bedeutet das alles für den Handel und die Hersteller? Wenn sich jemand damit auskennt, dann Pascal Finette. Alexander Käppler, Senior Digital Consultant bei Diconium, hat den Tech-Unternehmer, der bereits einige Start-ups gegründet und unter anderem die Ebay Platform Solutions Group in Europa geführt hat, für HORIZONT zum Interview getroffen.
Alle Welt spricht über Alexa, Cortana & Co. Was bedeutet Voice für den Handel? Im Kontext Voice muss man sicherlich an verschiedene Dinge denken. Das bedeutet, in der kurz- bis mittelfristigen Zukunft wird es überwiegend um “commodity“ gehen, sprich, um einfache Produkte, die einfach zu beschreiben und zu bestellen sind. So etwas wie Orangensaft. Dahinter liegt kein umfangreicher Entscheidungsbaum, es ist eine schnelle Entscheidung, die wahrscheinlich in weniger als einer Sekunde getroffen werden kann. Bestell einfach Orangensaft.
Aber ganz so einfach wird es ja nicht immer sein. Nein,
tricky wird es, wenn man sich als Nutzer noch nicht so ganz sicher ist, wenn man also noch etwas „Product Research“ benötigt, also mehr Informationen zu einer Art von Produkt. An dieser Stelle müsste man in ein interaktives System gehen, bei welchem der Voice Assistent mit dem Nutzer interagiert. Und davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Uns fehlt noch viel Wissen zu Interaktionsmodellen und über die Interaktion von Nutzern mit solchen Systemen, daher wird da noch Einiges zu erforschen sein, was jedoch eine sehr interessante Reise sein wird.
Gerade im Bereich von non-commodity, also Produkten mit höheren Werten, höherem emotionalen Involvement, wie wichtig ist da die Nutzung eines Bildschirms beziehungsweise das Darstellen von Bild- oder Videomaterial ergänzend zur Stimme des Voice Assistenten? Die Antwort geht zurück auf eine Diskussion, die wir hier vor ein paar Tagen hatten, allerdings im Kontext AI. Es herrscht da überwiegend die Auffassung, dass, wenn es eine Entscheidung zu treffen gibt, die in weniger als einer Sekunde getroffen werden kann, AI diese treffen wird. Es ist so wie bei Milch, Orangensaft oder auch bei T-Shirts, wenn das Voice-System weiß, welche Größe ich habe und welche Marke ich bevorzuge.
Die Technologien und Geräte werden zunehmend miteinander verschmelzen und miteinander interagieren.
Pascal Finette
Und wenn das System die Info nicht hat? Bei Kaufprozessen, die mehr Recherche, Beratung und Abwägung bedürfen, ist das aus meiner Sicht aktuell technisch noch nicht realisierbar. Zum Beispiel ist der Kauf eines neuen Fernsehers verbunden mit Vergleichen, Emotionalität und dem Wunsch danach, den Fernseher einmal vorab zu sehen. Ich glaube, dass wir dazu eine Art „Multi-Model-Work“ benötigen. Das bedeutet, wir starten wahrscheinlich mit Voice, fragen nach einem neuen Fernseher. Dann aber wird die Customer Journey auf einem anderen (eigenen) Gerät fortgesetzt. Bilder werden gegebenenfalls auf dem Smartphone, einer AR Brille oder einem anderen Gerät dargestellt. Das bedeutet, die Technologien und Geräte werden zunehmend miteinander verschmelzen und miteinander interagieren.
Diese Vorstellung, quasi der nahtlose Übergang von einer Voice-Suche zur Darstellung von visuellen Inhalten auf anderen Geräten, während man nach wie vor im Sprachkontext weiter mit dem System interagiert – das stellt doch enorme Anforderungen an den Content dar. Wie siehst Du das Stand heute und in der Zukunft? Brauchen wir zunehmend multisensorische und multi-kontextuelle Inhalte? Nun, vieles, was wir heute kaufen, abgesehen von rein digitalen Produkten, existiert oft schon in 3D-Modellen. Wenn wir diese 3D Modelle bereits besitzen, dann können wir diese ja in vielen Umgebungen nutzen. Wir können die Information sowohl auf einem kleinen Smartphone-Display, wie aber auch innerhalb einer AR-Anwendung darstellen. Erstaunlich dabei: Ein lokaler Retailer in der Gegend um San Francisco hat festgestellt, dass, wenn ein Produkt als 3D-Modell präsentiert wird, die Conversion um mehrere 100 Prozent steigt.
Wie werden sich die hohen Anforderungen an den zu präsentierenden Inhalt auswirken? In Zukunft wird es so sein, dass sich im Grunde in diesem Spielfeld nur die großen Händler oder die Spezialisten so etwas leisten können werden. Die Großen haben die Ressourcen, in dieser Art zu agieren. Die Nischenplayer haben wahrscheinlich ein eher kleines, dafür aber sehr spezielles Sortiment, welches es ebenfalls erlaubt, derart anspruchsvolle Inhalte zu erstellen. Problematisch wird es für die Händler in der Mitte, die wahrscheinlich in einem Markt unterwegs sind, in dem auch die Margen als relativ dünn anzunehmen sind. Hier sind oft die liquiden Mittel begrenzt, was es für diese Händler sehr schwierig macht, den Anforderungen und Gegebenheiten Rechnung zu tragen.
Was bedeutet das für die Hersteller? Für die kann das eine gute Gelegenheit sein. Hersteller haben oft 3D-Modelle bereits vorhanden, da diese für die Produktion so oder so benötigt werden. Es wäre im Grunde so wie vor einigen Jahren bereits im E-Commerce, als Hersteller begannen, ihre Produktfotografien an den Handel zu geben, damit diese die richtigen und besten Fotos im Online-Shop darstellen konnten. So kann das auch mit den 3D Modellen werden – was für die Hersteller als gute Chance gesehen werden kann, sich von anderen Herstellern der gleichen Branche zu differenzieren.
Das ist spannend, denn wenn der Hersteller die Modelle und den Content an den Handel gibt, man sich auf der anderen Seite aber die Trends zur Plattformökonomie vergegenwärtigt, so stellt sich doch schnell die Frage, warum der Hersteller den Händler überhaupt noch nutzen sollte? Warum nicht gleich selber über Plattformen wir Amazon oder ebay selber verkaufen? Ist das eine Gefahr für den stationären Handel? Wenn man die Hersteller fragt, dann ist deren Bestreben, die Kundenbeziehung selber zu managen. Nur, wenn die Hersteller keine Endkunden beliefern, dann haben sie in der Regel keine Ahnung davon, wer der Endkunde eigentlich ist. Um jetzt als Händler am Markt bestehen zu können, ist es wichtig, neben den Produkten Services zu generieren, die einen real spürbaren Mehrwert für den Endkunden produzieren. Die Frage aus Händlersicht ist demnach: „Wie kann ich dem Produkt einen Mehrwert geben, der meine Existenz als Händler rechtfertigt?“ Das dürfte meiner Ansicht nach sehr großen Retailern und Nischen-Playern leichter fallen. Die Gefahr besteht allerdings für die Händler, die noch nicht groß genug oder nicht spezialisiert genug sind, aus dem Markt zu verschwinden.
Du hast das Thema Plattform-Business angesprochen als einen der aktuellen Trends. Wir reden oft überwiegend von Amazon, doch aus China drängen Unternehmen wie Alibaba oder JD.com nach Europa. Wie siehst Du das, ist das eine Gefahr für den amerikanischen, den europäischen oder keinen der Märkte? Nun, ich würde diese Unternehmen auf gar keinen Fall unterschätzen. China ist einer der größten Disruptoren derzeit und in den kommenden 10 bis 20 Jahren in unglaublich vielen Bereichen. Das geht über AI, Automotive bis hin zum Handel. Gerade wenn man sich anschaut, wie konsequent dort in einigen lokalen Geschäften „Handel“ neu gedacht wird, würde es mich nicht wundern, wenn diese Konzepte bald überall auftauchen.
Schaut man sich China noch einen Moment länger an, dann fällt auf, dass dort die Interaktion der Menschen mit Marken oder Geschäften noch viel digitaler ist als in der westlichen Welt. Chinesen sind quasi jederzeit am Chatten mit Freunden, Marken, Shops und Händlern. Selbst das Bezahlen funktioniert beispielsweise innerhalb der WeChat App. Bei einem sehr weiten Blick in die Zukunft: Siehst Du die Vision, dass man gar nicht mehr selber irgendwelche Interaktionen irgendwo eintippt oder anklickt, sondern einfach seinen persönlichen Assistenten beauftragt? So nach dem Motto: „Ein Assistent für alle Probleme und Themen“? Das ist sicherlich vorstellbar, in gewisser Weise. Für mich ist die fundamentale Unterscheidung im Kaufprozess, und zwar dahingehend, ob es sich um ein Produkt handelt, welches ich kaufen muss, weil ich es brauche, oder ob es ein Produkt ist, welches ich kaufe, weil ich das Erlebnis in Verbindung mit dem Produkt mag. Ein Flugticket kaufen ist beispielsweise kein tolles Erlebnis. So was kann ein digitaler Assistent gerne übernehmen – er soll mir dann einfach das beste Ticket beschaffen und gut ist. Für die meisten Menschen jedoch ist das Shoppen von Bekleidung ein Erlebnis. Sie lieben es, Dinge zu surfen, anzuschauen, anzufassen, auszuprobieren. Daher sehe ich nicht, dass dieses Erlebnis verschwinden wird, denn das Shoppen ist der Nebeneffekt der Schaffung eines Erlebnisses.
Die Realität hat gezeigt, dass sich circa 99 Prozent der Unternehmen 0 Prozent Zeit nehmen, sich in der Zukunft zu bewegen.
Pascal Finette
Mit Blick auf die sich schnell drehende Welt und die aktuellen teilweise sehr disruptiven Veränderungen, was würdest Du Händlern, auch denen in der Mitte, empfehlen? Wie können sie sich vorbereiten für die, sagen wir, kommenden 5 Jahre? Das würde ich gerne etwas grundsätzlicher beantworten. Durch viele Gespräche mit Geschäftsführern von Betrieben unterschiedlicher Branchen kristallisierte sich immer wieder ein Punkt heraus: „Frag Dich selbst, wie viel Zeit investierst Du innerhalb einer Woche, um über die Zukunft nachzudenken und in Richtung Zukunft zu agieren, in der Zukunft zu leben?“. Damit ist gemeint, wie viel Zeit verbringt man im Büro damit, sich neues Wissen anzueignen, Trends zu diskutieren, das Team und sich selber weiterzubilden, Dinge auszuprobieren um darüber nachzudenken, was in der Zukunft passieren kann und wird.
Und wie lautet die Antwort auf diese Fragen? Die Realität hat gezeigt, dass sich circa 99 Prozent der Unternehmen 0 Prozent Zeit nehmen, sich in der Zukunft zu bewegen. Wir sind alle zu busy mit dem Tagesgeschäft, das ist nun mal so, wir sind alle gut beschäftigte Menschen. Doch die Zukunft wird kommen und uns schneller und härter treffen als wir denken. Daher ist es wichtig, im ersten Schritt die Zeit und den Raum zu schaffen, sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Zu diskutieren, was die aktuellen Geschehnisse und Entwicklungen für mich und das Unternehmen bedeuten können. Zu diskutieren, wie sollte und wie könnte man reagieren? Gegeben falls ist es eine gute Idee, nach China zu fliegen und sich anzuschauen, wie der Handel dort funktioniert.