Nutzerschwund bei Facebook, Twitter & Snapchat

Sind die fetten Jahre für die sozialen Netzwerke vorbei?

Marco Saal
Erst Facebook, dann Twitter und nun auch Snapchat: Social-Media-Plattformen mussten in den vergangenen Tagen einen Rückgang der Nutzerzahlen verkünden - teils sogar zum ersten Mal in der Firmengeschichte. Jedes soziale Netzwerk hat seine eigenen Erklärungsversuche, doch eventuell gibt es andere, tiefergehende Gründe.
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Wenn etwas so sicher ist, wie das Amen in der Kirche, dann, dass Social Networks, wenn sie an der Börse gelistet sind, im Quartalsbericht stets wachsende Nuterzahlen verkünden. Jahrelang entwickelten sich diese nämlich nur in eine Richtung: nach oben. Und das in einem atemberaubenden Tempo: Zählte Facebook beispielsweise vor fünf Jahren etwa 1,1 Milliarden monatlich aktive Nutzer, sind es mittlerweile doppelt so viele.

Doch mit dem nahezu unbändigen Hunger auf Social Media scheint bei vielen Usern nun allmählich Schluss zu sein. Sowohl Facebook  als auch Twitter  und Snapchat  mussten in den vergangenen Tagen einen Rückgang der Nutzerzahlen verkünden - für Facebook und Snapchat ein Novum in der jeweiligen Unternehmensgeschichte. Auch wenn das im Falle von Facebook nur für den europäischen Markt gilt, stellt sich doch die Frage, ob die fetten Jahre für die sozialen Netzwerke nun vorbei sind.

Den Anfang machte Facebook vor zwei Wochen: Das Unternehmen um CEO Mark Zuckerberg registrierte in Europa einen Rückgang der mindestens einmal im Monat aktiven Nutzer von 377 auf 376 Millionen. Zugegeben, ein geringer Verlust, dennoch der erste seit Bestehen des Unternehmens. Bei den täglich zurückkehrenden Mitgliedern gab es sogar einen Rückgang von 282 auf 279 Millionen. Weltweit legte die Zahl der Facebook-Nutzer zwar zu - allerdings muss man schon die zweite Nachkommastelle bemühen, um das Wachstum ausfindig machen zu können.

Tags drauf legte Twitter nach: Die Zahl der monatlich aktiven Nutzer ist um eine Million auf 335 Millionen gesunken. Und das ist wahrscheinlich noch nicht einmal das Ende des Sinkflugs, denn der Kurznachrichtendienst erwartet auch in den nächsten Monaten einen Rückgang der Nutzerzahlen. Analysten hatten Twitter eigentlich einen leichten Anstieg zugetraut. Doch daraus wurde nichts.

Und nun Snapchat. Die Foto-App, die seit zwei Jahren den Kopier-Wahn des Facebook-Konzerns zu spüren bekommt, musste ebenfalls erstmals sinkende Nutzerzahlen einräumen. Von April bis Ende Juni sank die Zahl der täglich aktiven User im Vergleich zum Vorquartal um zwei Prozent auf 188 Millionen, wie die Snapchat-Mutter Snap mitteilte. Das sind drei Millionen Nutzer weniger.

Da nun drei der reichweitenstärksten Social Networks nahezu gleichzeitig Millionen Nutzer verlieren, stellt sich die Frage, inwiefern Facebook und Co eine Art Sättigungsgrad erreicht haben - vor allem in den Industrieländern. Sind die aktuellen Zahlen nur ein einmaliger Ausrutscher? Zeigt die Wachstumskurve in den kommenden Monaten wieder nach oben? Oder gibt es tatsächlich eine Art Social-Media-Müdigkeit in der Bevölkerung?

Die Plattformen haben ihre eigenen Erklärungsversuche. Während Facebook die neue europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die seit dem 25. Mai gilt und die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Unternehmen, Vereine oder Behörden deutlich strenger regelt als zuvor, als Auslöser benennt, macht Twitter eine große Säuberungsaktion für den Nutzerrückgang verantwortlich.

Twitter habe in den vergangenen Monaten diverse Maßnahmen eingeleitet, um Hetze, Spam und gefälschte Profile von der Plattform zu verbannen, über die unter anderem Spam und politische Propaganda verbreitet werden. Zuletzt hatte der Kurznachrichtendienst gesperrte Accounts von den Abonnenten-Zahlen abgezogen, wodurch viele Nutzer Follower verloren.

"Das 2. Quartal spiegelt unsere Bemühungen wider, den täglichen Mehrwert von Twitter für die Nutzer zu erhöhen", erklärt Twitter-CEO Jack Dorsey. Die Nutzer müssten sicher sein, dass sie sich auf der Plattform frei äußern können. Daher habe Twitter neue Tools gelauncht, um problematische Verhaltensweisen, die die öffentliche Debatte verzerren, zu unterbinden, so Dorsey weiter.

Bei Snapchat kann von einem Hate-Speech- oder Fake-Account-Problem wahrlich nicht die Rede sein, allerdings ging das Redesign, das vor einigen Monaten auch mit dem Ziel eingeführt wurde, den Wünschen der Werbebranche entgegenzukommen, gewaltig nach hinten los. Diese Änderungen hätten das Wachstum der Nutzerzahlen behindert, erklärten Firmenvertreter von Snap am Dienstag.



Klar ist: Das atemberaubende Wachstum kann freilich nicht ewig weitergehen. Und tatsächlich dürften technische Umstände wie DSGVO und Account-Löschungen ihren Beitrag für die aktuelle Entwicklung bei Facebook, Twitter und Snapchat geleistet haben. Aber gibt es darüber hinaus noch andere Gründe für den Rückgang der Nutzerzahlen? Ein möglicher Faktor könnten vielleicht die anhaltenden Negativ-Schlagzeilen der vergangenen Monate sein, die das Image der Social Networks in der Bevölkerung nicht gerade aufpoliert haben.

Seit Monaten wird in der Branche etwa leidenschaftlich darüber diskutiert, inwiefern Facebook die Daten seiner Nutzer abgreift und anderen Parteien zur Verfügung stellt - Stichwort Cambridge Analytica. Außerdem sind Propaganda-verbreitende Accounts und Stimmung-machende Twitter-Bots sowie Fake-News nach wie vor ein riesiges Problem.

Aktuelles Beispiel: Alex Jones. Der Journalist aus Texas hatte in der Vergangenheit Verschwörungstheorien verbreitet - etwa dass die US-Regierung an den Anschlägen am 11. September 2001 in New York beteiligt gewesen sei - und damit unfreiwillig eine Diskussion darüber angestoßen, inwiefern soziale Medien dies unterbinden sollten. Während Facebook vier seiner Seiten löschte, Apple und Spotify dessen "Infowars"-Podcasts löschten und Youtube seinen Kanal verbannte, lässt Twitter Jones weiter gewähren.

Der Kurznachrichtendienst, auf dem Jones 860.000 Follower hat, steht wegen seines Alleingangs zunehmend unter Druck. Dennoch verteidigte CEO Jack Dorsey das Vorgehen im Falle des Verschwörungstheoretikers. "Wir haben Alex Jones oder Infowars gestern nicht gesperrt. Wir wissen, dass das für viele hart ist, aber der Grund ist einfach: er hat unsere Regeln nicht verletzt."

Eine solche Strategie führt oftmals zu Missmut in der Nutzerschaft - und tatsächlich äußern sich bereits die ersten User auf der Plattform mit der Aufforderung #DeleteTwitter. Eine ähnliche Bewegung musste im Datenskandal um Cambridge Analytica auch Facebook unter dem Hashtag #DeleteFacebook beobachten - allerdings in weitaus größerem Ausmaß. Wahrscheinlich haben damals viele Nutzer dieser Aufforderung auch Taten folgen lassen. ron



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