Mode-Kette

Wenn der Adler-Kunde lieber doch mit Menschen sprechen will

Die interaktive Umkleide wurde von den Adler-Kunden nicht angenommen.
Adler
Die interaktive Umkleide wurde von den Adler-Kunden nicht angenommen.
Die Modekette Adler schafft die interaktive Umkleidekabine wieder ab. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn die Kabine kommuniziert weiterhin, nur nicht mit dem Kunden. Wie Adler die RFID-Technik künftig nutzen will, um das Kundenverhalten besser zu verstehen.
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Wenn die Technik den Modeeinkauf unterstützt: Ein interaktiver Spiegel mit einer Kombination aus Sprachsteuerung und Gesichtserkennung sorgt im New Yorker Flagshipstore von H&M für Aufsehen. Bei Zara in London gibt die Umkleidekabine dem Kunden Tipps für das passende Outfit.

Prada hat, ebenfalls in New York, die Umkleiden mit Spiegeln ausgestattet, die dreidimensionale Ansichten der anprobierten Kleidungsstücke aus allen möglichen Perspektiven erzeugen. Auf Knopfdruck wechselt die Tür der Umkleide von undurchsichtig zu durchsichtig.

Der japanische Modehändler Uniqlo hat in der Filiale in San Francisco schon vor Jahren einen Spiegel installiert, bei dem Kunden auf Knopfdruck die Farbe von Kleidungsstücken verändern können, die sie davor anprobieren.

Kunden wollen nicht ständig auf Knöpfen herumdrücken

Das Potenzial der Ideen, um die Umkleide, das Herz jedes Modegeschäfts, zu digitalisieren, scheint grenzenlos. Auch in Deutschland experimentieren Händler wie Intersport, Breuninger und Bonprix in Vorzeigeläden mit digital aufgerüsteten Umkleiden oder Spiegeln, die mit dem Kunden kommunizieren, Produktvarianten anzeigen oder ergänzende Artikel vorschlagen.

Da passt die Nachricht, dass Adler Modemärkte sich von der interaktiven Umkleide gerade wieder verabschiedet, gar nicht ins Bild. Drei Jahre lang hat der Händler das Konzept in Filialen in Erfurt, Limburg, Rüsselsheim und Mutterstadt getestet. Zum Jahresende 2019 läuft der Test nun aus, die intelligente Umkleide wird bei Adler nicht ausgerollt.

"Die interaktiven Umkleidekabinen werden nicht in dem Maß genutzt, wie wir das erwartet hatten", sagt Patrick Schiller, IT-Leiter bei dem Modefilialisten. "Wir haben von Anfang an um Akzeptanz kämpfen müssen." Was aber sicherlich auch den Besonderheiten der Zielgruppe geschuldet sei, wie er sagt. Adler-Kunden sind im Durchschnitt 62 Jahre alt. Und sie wollen offenbar nicht so gerne auf Knöpfen herumdrücken, sondern lieber von einem Mitarbeiter beraten werden. Dies zeigt sich auch im geringen Onlineanteil der Adler-Umsätze: Im Jahr 2018 lag dieser bei gerade einmal 1,9%.

Effiziente Bestandsverwaltung dank Funkschnittstellen

Dabei hat Adler den Kunden die Nutzung der digitalen Beratung in der Kabine einfach gemacht: Produktetiketten müssen nicht erst aktiv gescannt werden, sondern werden "wie von Zauberhand" erkannt. Da die Kabinen mit RFID-Antennen ausgestattet sind, findet der Funkaustausch automatisch statt, sobald der Kunde mit der Ware die Kabine betritt.

Möglich ist das, weil Adler schon seit 2015 Radiofrequenz-Identifikation zur effizienten Verwaltung des Warenbestands nutzt. Das Unternehmen ist damit technisch weiter als die meisten deutschen Modehändler. Sämtliche Artikel sind mit RFID-Chips versehen. In knapp einem Drittel der Filialen setzt Adler bereits Inventur-Robotor ein, die nach Ladenschluss durch die Gänge steuern und die Bestände erfassen. Bis 2021 sollen alle Filialen damit ausgerüstet sein.

"Das Beste aus beiden Welten zusammenbringen"

Adler ist also einerseits technischer Vorreiter - andererseits hat sich das Unternehmen nun gegen die interaktive Umkleide entschieden. Gedacht war sie einerseits als Verlängerung des Warenbestands in die Kabine hinein, andererseits als ergänzende Beratung und Unterstützung der Verkaufsmitarbeiter. Kunden können sich am Touchscreen über ergänzende Produkte und Outfitvorschläge informieren und zusätzliche Artikel in die Kabine ordern.

Adler hat nun beschlossen, "die Anonymisierung am POS nicht zu weit zu treiben", wie IT-Leiter Schiller sagt. Stattdessen sollen die Verkaufsmitarbeiter technisch so ausgestattet werden, dass "wir mit der persönlichen Note das Beste aus analoger und digitaler Welt zusammenbringen."

Die Funktionen der virtuellen Regalverlängerung soll künftig der "Instore Assistant" auf dem Smartphone übernehmen, das die Adler-Verkäufer heute bereits bei sich tragen. Er gibt Auskunft darüber, welche Artikel auf der Fläche/im Lager/im Onlineshop  vorrätig sind und wickelt dann auch die Bestellung nicht vorrätiger Artikel zum Kunden nach Hause oder in die Filiale ab.

Auch eine entsprechende Funktion für die Adler-App ist in Planung. Immerhin 50% der Onlinekunden von Adler bestellen bereits heute mobil und nutzen die digitale Kundenkarte zum Sammeln von Punkten online wie offline.

Hinter den Kulissen werden fleißig Daten gesammelt

Anders als die Touchscreens für die Kunden bleiben bei Adler die RFID-Antennen an den Umleidekabinen - aus gutem Grund. "Das Wichtigste sind für den stationären Handel die Daten, um Nachteile gegenüber dem Onlinehandel auszugleichen", sagt IT-Leiter Schiller.

Die Funktechnik soll bei Adler künftig genutzt werden, um "Kunden- und Warenbewegungen zusammenzubringen und mehr Informationen von der Fläche zurückzuspielen", wie es Schiller formuliert. Informationen, wie sie Onlinehändlern von jeher vorliegen: "Welche Artikel schauen sich Kunden genauer an, welche lassen sie links liegen? Welche Bluse wird häufig anprobiert, aber selten gekauft? "Welche Artikel werden häufig zusammen mit in die Kabine genommen?"

Solches Echtzeit-Wissen über Bestseller und Ladenhüter ist es, das eine analoge Konversionsrate ermöglicht und wertvolle Erkenntnisse zur Sortimentsverbesserung liefert.

Retourengründe im Laden abfragen

Derart technisch ausgestattet, kann ein stationärer Händler also nachvollziehen, welche Artikel für Kunden interessant sind, aber dann doch nicht gekauft werden. Er weiß aber nicht warum - ist das Hemd zu lang, zu kurz, fällt es zu klein oder zu groß aus?

Onlinehändler fragen Retourengründe auf dem Rücksendeschein ab und können sie dann zum Beispiel für die Verbesserung von Passformen nutzen. Bei Adler denkt man darüber nach, die Gründe für einen Nichtkauf auf der Fläche ebenfalls abzufragen und von den Verkaufsmitarbeitern mit dem Smartphone dokumentieren zu lassen.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Kunden hierüber bereitwillig Auskunft geben. Überhaupt ist es der Mensch, der den Schatz der auf der Fläche gesammelten Daten erst wertvoll macht. Denn erst wenn das Wissen über Kunden- und Warenbewegungen mit einem Kundenprofil verknüpft wird, entfaltet sich das ganze Potenzial. Erst dann sind personalisierte Kaufempfehlungen auf der Fläche oder ein digitaler Kleiderschrank, in dem die Passgrößen eines Kunden je nach Marke hinterlegt sind, denkbar.

Technisch möglich ist das schon heute. Bereits jetzt schickt Adler App-Kunden, die sich in der Nähe einer Filiale aufhalten, Push-Nachrichten mit Angeboten aufs Handy. Eine systematische Erfassung der Kunden bei Betreten des Ladens gibt es aber nicht. "Ideen haben wir dazu", sagt Manager Schiller, "aber die Vorbehalte gegenüber einem gläsernen Kunden sind zu groß." 

Ein Knopf darf bleiben

Und so bleibt es noch eine Zukunftsvision, alle Verkaufskanäle auf Kundenebene zentral zu steuern und auszuwerten. Der Vergangenheit gehört bei Adler jedenfalls bald die interaktive Beratung in der Umkleidekabine per Knopfdruck an. Mit einer Ausnahme - denn ein Knopf wird von den Kunden dann doch gerne genutzt: Der Knopf, mit dem ein Verkäufer angefordert werden kann.

Der Kundennutzen, auf der Suche nach einer anderen Größe nicht halb bekleidet durch das Geschäft laufen zu müssen, hat viele, ansonsten technisch nicht Interessierte, überzeugt. Und so erwägt man bei Adler eine abgespeckte Version der interaktiven Umkleide mit einem "Holknopf".

Auch hier soll aber eine persönliche Komponente der Anonymisierung entgegenwirken: "Vorstellbar ist, dass freie Verkaufsmitarbeiter sich im System anmelden, dann per Smartphone über den Servicewunsch des Kunden informiert werden, und der Kunde in der Kabine die Rückmeldung bekommt 'Herr X ist auf dem Weg zu Ihnen'", sagt IT-Leiter Schiller.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf etailment.de



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