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Die Streaming-Revolution findet in der Fußball-Provinz statt

Am vergangenen Wochenende wurde auf Sporttotal.tv unter anderem die Partie Drochtersen gegen Egestorf übertragen
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Am vergangenen Wochenende wurde auf Sporttotal.tv unter anderem die Partie Drochtersen gegen Egestorf übertragen
Während in der Bundesliga der Kampf um die Meisterschale weitergeht, ist in der niedersächsischen Provinz ein neues Kapitel im Fußball-Streaming gestartet: Seit dem vergangenen Wochenende werden Fußballspiele aus der 4. und 5. Liga live ins Internet gestreamt. Hinter der Plattform Sporttotal.tv stehen der Deutsche Fußball Bund (DFB) und die Produktionsfirma Wige Media. HORIZONT Online stellt das ehrgeizige Projekt vor und bewertet die Chancen und Risiken.
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Das Ende des vergangenen Jahres angekündigte Projekt startete zur Rückrunde der Saison 2016/17. Im Rahmen der Pilotphase, die noch bis Sommer läuft, werden Partien der Regionalliga Nord sowie der Oberliga Niedersachsen und den Bayernligen Nord und Süd live auf Sporttotal.tv übertragen. Am zurückliegenden Wochenende waren mit den Spielen aus der Regionalliga Nord SV Drochtersen gegen Germania Egestorf und SV Meppen gegen BSV Rehden die ersten beiden Spiele zu sehen. Übertragen wurden die Spiele mit einer am Spielfeldrand installierten 180-Grad-Kamera-Technologie von Wige Media. Insgesamt schauten Angaben von Wige Media zufolge jeweils 2.500 Zuschauer bei den Streams rein.


Die Verantwortlichen zeigen sich zufrieden mit den ersten Ergebnissen. "Wir wollen und werden in den nächsten Wochen und Monaten so viel testen wie möglich", sagt Ben Lesegeld, Projektleiter Sporttotal.tv. "Jeder Einsatz der neuen Technologie ist für uns jetzt Gold wert, wir werden jedes Mal ein bisschen besser." Welche Stolperfallen lauern, zeigte der Einsatz am vergangenen Wochenende: In Drochtersen beispielsweise sorgte ein feiernder Fan für einen kurzen Stromausfall, was einen Systemneustart nötig machte. Besonders ärgerlich: Genau in dem Zeitraum fielen beide Tore. Am Vortrag bei der Übertragung aus Meppen waren laut Lesegeld auf einmal die Server eines Partners überlastet, weswegen das Angebot vorübergehend für einige Nutzer nicht erreichbar war.
Jeder Einsatz der neuen Technologie ist für uns jetzt Gold wert, wir werden jedes Mal ein bisschen besser.
Ben Lesegeld
"Aber genau um diese möglichen Fehlerquellen und Herausforderungen zu erkennen, haben wir die Testphase entworfen", sagt Lesegeld. "Wir freuen uns auf jeden einzelnen Einsatz und sind sehr glücklich, bei allen Vereinen und den Verbänden auf großen sportlichen Geist und Innovationslust zu treffen."

Sporttotal.tv: Worum es geht, was möglich ist

Die Idee

Offiziell geht es den Beteiligten darum, die Sichtbarkeit für den Amateurfußball in Deutschland zu erhöhen und so der Basis für Erfolge wie den Weltmeistertitel 2014 Respekt zu erweisen. Der DFB ist mit dem Online-Portal Fußball.de hier vor einigen Jahren bereits einen ersten Schritt gegangen. Dabei ging es allerdings zuerst um Datenaufbereitung aus dem Amateurfußball. Nun soll mit Sporttotal.tv auch die Live-Komponente ins Spiel kommen.

Es sei ein Mehrwert, "wenn zusätzliches Interesse generiert wird und vielleicht neue Sponsoren darüber gefunden werden", so DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius beim Spobis Ende Januar in Düsseldorf. Nach der Pilotphase wird entschieden, ob die Technologie in weiteren Ligen und Spielklassen zum Einsatz kommt.

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Die Technologie

Möglich macht es eine 180-Grad-Kamera-Technologie von Wige Media, die am Spielfeldrand installiert wird – in der Regel an einem Mast auf Höhe der Mittellinie oder unter dem Stadiondach. Das Gerät kann dem Spielgeschehen Herstellerangaben zufolge vollautomatisiert folgen – "ohne einen Chip im Ball sowie am Körper oder Trikot des Spielers", wie es in einer Wige-Mitteilung heißt – und hochauflösende Bilder ins Netz übertragen.

"In der Pilotphase überprüfen wir, ob dieses Kamerasystem im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Perspektive für den Amateurfußball bietet", sagt der für den Amatuerfussball zuständige DFB-Vizepräsident Rainer Koch.
Das Herzstück der Sporttotal.tv-Technologie: Die 180-Grad-Kamera
Wige Media
Das Herzstück der Sporttotal.tv-Technologie: Die 180-Grad-Kamera
Die Kamera, für deren Einsatz nur die Installation eines 30 Zentimeter hohen und 15 Zentimeter breiten Kastens nötig ist, schlägt mit  10.000 Euro zu Buche. Den teilnehmenden Klubs entstehen Angaben des Niedersächsischen Fußballverbands zufolge während der Testphase jedoch keine Kosten, die Teilnahme ist freiwillig. "Jedem Verein steht frei zu sagen: Will ich oder will ich nicht", sagt Verbandspräsident Karl Rothmund. Bei Wige setzt man allerdings darauf, dass die Vereine sich schon überzeugen lassen werden: Bis Mitte des Jahres sollen 50 Clubs die Technologie einsetzen, Ende 2019 sollen es schon 3000 sein. 

Abgesehen von der Website können die Nutzer die Spiele auch in der Sporttotal-App abrufen. Dabei können sie eine bestimmte Perspektive wählen, ins Bild reinzoomen und einzelne Szene in sozialen Netzwerken teilen.

Die Partner

Damit Sporttotal.tv möglichst schnell auf Flughöhe kommt, hat Wige Media zum Start renommierte Partner an Bord geholt: Mit der Allianz, der Deutschen Post und der Deutschen Telekom unterstützen namhafte Unternehmen, die über jahrelange Erfahrung als Fußball-Sponsoren verfügen, das Projekt. Der Bonner Telko-Riese ist etwa Partner für Content und Technologie und unterstützt die Streams in den Bereichen Aufbau, Konnektivität und Übertragung. Zudem zeigt die Telekom ausgewählte Live-Inhalte unter anderem auf ihrer IPTV-Plattform Entertain.

sporttotal.tv Deutsche Telekom

Zudem hat man sich Axel Springers "Bild" als Medienpartner ins Boot geholt. Die Berliner werden regelmäßig Highlights aus dem Sporttotal-Portfolio zeigen. "Es muss nicht immer Ronaldo sein, es kann auch der Verein um die Ecke sein, wenn das Tor spektakulär ist. Das ist Content, an den wir bisher nicht herangekommen sind, zu dem wir keinen Zugang hatten. Wir versprechen uns viel von der neuen Technologie", sagte Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt bei der Vorstellung des Projekts auf dem Spobis.

Auch der DFB bindet sporttotal.tv in seine Amateurfußball-Plattform fussball.de ein. Mit diesen Partnern im Rücken soll Sporttotal.tv nun durchstarten: "Die verschiedenen Kompetenzen werden unser Start-up hoffentlich schnell zu einer verlässlichen Größe in der Sportmedienwelt wachsen lassen", so Wige-CEO Peter Lauterbach.

Das Geschäftsmodell

Derzeit geht Wige durch Bereitstellen der Kamera, Installation und Wartung pro Spiel mit gut 20.000 Euro in Vorleistung. Dieses Geld will der Anbieter natürlich gerne wieder reinholen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Werbevermarktung - aber auch Paid Content ist angedacht.

Dem Zuschauer stehen zwei Versionen von sporttotal.tv zur Verfügung: Die Basisversion ist für den Nutzer kostenfrei und werbefinanziert. Bei den am vergangenen Wochenende gezeigten Spielen etwa war die Deutsche Telekom mit Eigenanzeigen präsent. Zudem soll es künftig auch eine bezahlpflichtige Premium-Version geben, in der keine Werbung zu sehen ist. Was der Nutzer hierfür bezahlen muss, wurde allerdings noch nicht festgelegt.

Die Chancen

In der Tat könnten sich für die Vereine verlockende Möglichkeiten ergeben. Fußball ist hierzulande ein Premium-Produkt, mit dem auf Profi-Ebene sehr gutes Geld verdient wird. Warum sollte dies – in kleinerem Rahmen, versteht sich – nicht auch im unterklassigen Bereich möglich sein? Ob Namensrechte, Sponsorships oder die Vermarktung von Online-Werbeflächen: Die Chancen zur Monetarisierung sind jedenfalls gegeben.

Und wer sagt eigentlich, dass es beim Amateurfußball bleiben muss? Sollte sich die Pilotphase als Erfolg erweisen, wäre über eine Ausweitung der Technologie auf weitere Sportarten nachzudenken. Immerhin kämpfen alle anderen Sportarten massiv um Aufmerksamkeit neben König Fußball. Wenn Verbände, Sponsoren und vor allem die Nutzer mitspielen, entsteht mit sporttotal.tv möglicherweise ein neues Publishing-Modell.
Sport-Streaming auf dem Vormarsch:
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Die Risiken

Inwieweit es gelingen kann, dem Amateurfußball hierzulande eine größere Bühne zu bereiten, wird sich zeigen. Tatsächlich besteht nämlich durchaus die Gefahr, dass sich in erster Linie Hardcore-Fans für die unterklassigen Spiele interessieren und die Reichweiten niedrig bleiben. Das wiederum könnte die Vermarktungserlöse drücken.

Zudem ist eine komplett kommentarlose Fußball-Übertragung eine zumindest gewohnheitsbedürftige Sache. Der Fußball verdankt seine Stellung als Premium-Produkt auch der hochwertigen Inszenierung und Produktion durch Medienpartner wie Sky und die ARD. Zuschauer, die über sporttotal.tv erstmals mit dem Amateurfußball in Kontakt kommen, werden diesen Kulturschock erst einmal verwinden müssen. 




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