Nigel Vaz verantwortet das Europa- und Asiengeschäft für Publicis.Sapient
Ein Jahr lang hat Publicis gemeinsam mit Microsoft an der Künstlichen Intelligenz Marcel gearbeitet und dafür gar auf sämtliche Award-Shows verzichtet, um Ressourcen zu sparen. Zur Überraschung vieler Beobachter ist die Benutzung der KI für die 80.000 Mitarbeiter allerdings nicht verpflichtend. Warum, erklärt Nigel Vaz, der das Geschäft von Publicis.Sapient in Europa und Asien verantwortet, im Interview mit HORIZONT Online. Die Digitaltochter des Konzerns hat Marcel gemeinsam mit Microsoft entwickelt.
Sie weiß alles, kennt jeden Kollegen, kann sie alle in Sekundenschnelle vernetzen und soll im Unternehmen nicht weniger als eine Revolution entfachen: Die KI Marcel wurde vergangene Woche im Rahmen der Konferenz VivaTech erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Sie soll Publicis von einer Holding in eine Technologieplattform wandeln und im Werbekonzern alle Mauern einreißen.
Bei Marcel, übrigens benannt nach dem Publicis-Firmengründer Marcel Bleustein-Blanchet, handelt es sich um eine intelligente Software, die in eine extra dafür entwickelte App integriert ist. In dieser App, die sowohl für Android als auch für iOS verfügbar ist, sollen Kreative von Publicis alle ihre Fragen loswerden und nebenbei für eine bessere Vernetzung der Mitarbeiter und einen effizienten Wissenstransfer sorgen (Wie genau Marcel funktioniert ist hier nachzulesen).
Marcel: The Demo
Herr Vaz, warum ist eine Plattform wie Marcel überhaupt notwendig geworden für Publicis? Die Publicis-Gruppe mit ihren vielen Unternehmen und insgesamt 80.000 Mitarbeitern generiert weltweit riesige Datenmengen, die nun mit Marcel miteinander verknüpft und gruppenübergreifend zugänglich gemacht werden. Der einzige Weg, dies möglichst skalierbar über die Bühne zu bringen, ist mithilfe einer Plattform, die auf Künstlicher Intelligenz basiert. Unsere Lösung Marcel analysiert die Daten, evaluiert die Ergebnisse und verknüpft sie sinnvoll. Ganz anders als ein klassisches Wissensmanagementsystem. Marcel wurde gebaut, um das alltägliche Leben eines Angestellten zu unterstützen. Die KI hilft bei der Arbeit, bei der Informationssuche, verknüpft dich mit Kollegen, von denen du gar nicht wusstest, dass sie dir behilflich sein könnten. Und das sind nur die ersten simplen Features.
Publicis-Angestellte müssen Marcel nicht nutzen, wenn sie nicht wollen. Klappt das ohne Zwang? Aus psychologischer Sicht macht das Sinn: Wenn du nämlich etwas zur Pflicht erklärst, werden sich viele dagegen sträuben. Zum Launch im Januar nächsten Jahres versuchen wir deshalb, so viele Angestellte wie möglich auf die Plattform zu bringen. Wir glauben, dass der Rest daraufhin von ganz alleine folgen wird.
Wieso? Mitarbeiter werden sich fragen, wie ihre Kollegen auf dieses spezielle Dokument gestoßen sind oder wie sie diesen einen Ansprechpartner in der Organisation ausfindig machen konnten. Sie werden dann rasch merken, dass sie etwas verpassen, wenn sie weiterhin Marcel links liegen lassen.
Publicis.Sapient-Manager Wolf-Ingomar Faecks
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Das ist das selbe Prinzip, mit dem die großen sozialen Netzwerke hantieren. Hat sich Publicis also ein eigenes Facebook geschaffen? Das Ideenkonstrukt ist dasselbe, ja. Aus funktionaler Perspektive jedoch wollen wir uns von den klassischen sozialen Netzwerken deutlich unterscheiden. Facebook beispielsweise konzentriert sich im Kern darauf, Menschen miteinander zu verbinden – mit B2B-Produkten oder Unternehmenssoftware hat das soziale Netzwerk allerdings nichts am Hut. Auch aus diesem Grund haben wir uns bei der Suche nach einem Technologiepartner für Microsoft entscheiden. Durch die Kooperation können wir Dienste wie Microsoft Office, Word, Excel, Power Point und Outlook simpel in Marcel integrieren.
Google und Apple bieten ähnliche Dienste an. Warum kamen diese Unternehmen nicht infrage? Für uns war es das Geschäftsmodell, das den Unterschied machte. Microsoft ist ein B2B-Softwareunternehmen und unsere 80.000 Publicis-Mitarbeiter nutzen die Microsoft Office-Desktop-Apps jeden Tag. Aus Nutzersicht ist die Kooperation mit Microsoft daher wirklich sinnvoll. Darüber hinaus verfügt Microsoft über enormes Know-how in den Bereichen Cloud-Computing mit Azure und intelligente KI-Assistenten mit Cortana.
Wir sollten nicht darüber nachdenken, ob KI Kreative ersetzt oder nicht. Sondern darüber, wie KI den Kreativen dabei helfen kann, bessere Arbeiten zu entwickeln.
Nigel Vaz, Publicis.Sapient
Sie sind verantwortlich für die EMEA-Region, also auch für den deutschen Markt. Deutsche gelten eher als technophob. Glauben Sie, dass hierzulande Publicis-Angestellte Marcel nutzen werden? Wenn es um die Adaption von Technologie geht, beobachten wir verschiedene Trends. Da gibt es diese berühmte Kurve: Am Anfang die Early Adopters, dann die frühe Mehrheit, die späte Mehrheit und schließlich die Nachzügler. Irgendwo in der Mitte der Kurve haben die meisten Menschen die Technologie adaptiert. Und genau dann, das ist zumindest unsere Beobachtung, geben die Deutschen Vollgas. Sobald sie merken, dass mit Marcel beispielsweise die Produktivität massiv gesteigert werden kann und die Mehrheit der Kollegen die App nutzt, sind alle dabei. Aber es stimmt natürlich: Early Adopter sind sie nicht.
Wann, glauben Sie, ist dieser Zeitpunkt erreicht? Wann nutzt die Mehrheit der Angestellten Marcel? Das ist schwer vorherzusagen. Wenn wir einen guten Job machen beim Design, bei den Use-Cases und das Tool konstant weiterentwickeln, dann bin ich zumindest guter Dinge. Ich denke, dass es nach dem Launch sicherlich zu einem exponentiellen Nutzerwachstum kommt, allerdings nur, wenn wir täglich an den nötigen Stellschrauben drehen und mehr Use-Cases hinzufügen.
Welche Features könnten demnächst noch hinzukommen? Deep-Linking beispielsweise. Ein Deep-Link in einem Dokument oder auf einer Website verweist auf eine tiefer liegende Unterseite. Wir wissen noch nicht genau, ob und wie wir dieses Feature integrieren sollen. Das müssen die User mit ihrem Feedback entscheiden. Wir werden sie ebenso fragen, ob sie vielleicht Tools wie den Speicherdienst Box oder Dropbox integriert haben möchten.
HORIZONT Digital Marketing Days 2018
Die HORIZONT Digital Marketing Days haben sich in den vergangenen Jahren zum Trend-Check für die Digitalbranche entwickelt. Anspruch der Veranstaltung ist es, Orientierung im Digital-Marketing-Dschungel zu liefern. Auch in diesem Jahr stehen am 3. und 4. Juli in Berlin Trends und Entwicklungen in den digitalen Marketingdisziplinen auf dem Prüfstand. Anmelden können Sie sich unter
Conferencegroup.de/dmd18.
Wird KI in Zukunft Kreative ersetzen? Marcel soll Kreative nicht ersetzen, sondern ihnen bei der Arbeit helfen. Und damit meine ich nicht nur Kreative als Jobbezeichnung, sondern kreative Menschen per se, also im Prinzip alle unsere Mitarbeiter. Gleich ob IT-Profi, Stratege oder Kreativer: Marcel soll dem Mitarbeiter helfen, die Arbeit effizienter und besser zu machen. Die ganze Branchendiskussion um 'KI gegen Kreative' führt meiner Meinung nach in eine falsche Richtung. Wir sollten nicht darüber nachdenken, ob KI Kreative ersetzt oder nicht. Sondern darüber, wie KI den Kreativen dabei helfen kann, bessere Arbeiten zu entwickeln.
Interview: Giuseppe Rondinella