Mozilla-Managerin Katharina Borchert

"Die Cowboy-Kultur ist im Silicon Valley tief verwurzelt"

Katharina Borchert ist Innovationschefin bei Mozilla
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Katharina Borchert ist Innovationschefin bei Mozilla
Wie sexistisch ist das Silicon Valley? Diese Frage wird nicht zuletzt aufgrund jüngster Skandale wie bei Uber und Google mehr denn je leidenschaftlich diskutiert. Katharina Borchert ist als Innovationschefin von Mozilla Teil des kalifornischen Tech-Ökosystems und mahnt im Interview mit HORIZONT Online: "Diese Cowboy-Kultur, also das breitbeinige und selbstgefällige Auftreten vieler Männer, ist in zahlreichen Tech-Firmen im Silicon Valley tief verwurzelt". Die ehemalige Spiegel-Online-Geschäftsführerin geht zudem davon aus, dass die Situation in deutschen Firmen kaum besser ist.
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Welche Kultur im Silicon Valley herrscht, hatte zuletzt ein Google Mitarbeiter exemplarisch gezeigt. In einem Pamphlet hatte der Softwareentiwckler behauptet, Frauen würden aufgrund biologischer Unterschiede lieber in sozialen oder künstlerischen Bereichen arbeiten als in der Softwareentwicklung - und zwang damit seinen Arbeitgeber zu einer eiligen Pressemitteilung, Google-CEO Sundar Pichai unterbrach seinen Urlaub.


Die Sexismus-Debatte ins Rollen gebracht hatte maßgeblich die ehemalige Uber-Mitarbeiterin Susan Fowler, die zu Beginn des Jahres ein Essay über sexuelle Belästigungen beim Fahrdienstvermittler verfasste, das viral ging. Das "wertvollste Start-up der Welt" hatte daraufhin 20 Mitarbeiter entlassen, Gründer und CEO Travis Kalanick nimmt seitdem eine unbefristete Auszeit.



Ein Google-Mitarbeiter verfasst ein sexistisches Pamphlet, Belästigungs-Vorwürfe gegen Uber-Manager, etc. Frau Borchert, wie haben Sie die Sexismus-Debatte der vergangenen Monate im Silicon Valley miterlebt? Sexismus ist im Silicon Valley definitiv ein sehr präsentes Thema und ich vermute, dass dieses Problem nicht schnell zu lösen ist. Diese Cowboy-Kultur, wie ich sie nenne, also das breitbeinige und selbstgefällige Auftreten vieler Männer, ist in zahlreichen Tech-Firmen im Silicon Valley tief verwurzelt und deshalb nicht über Nacht zu beseitigen. Das braucht viel Zeit. Was mich persönlich aber an der Diskussion in Europa stört, ist, dass jetzt - natürlich nicht zu Unrecht - viele mit dem Finger aufs Silicon Valley zeigen, aber nicht vor der eigenen Haustür kehren.

Was meinen Sie damit? Ich habe zehn Jahre lang in Führungspositionen in deutschen Medienhäusern gearbeitet und ich kann Ihnen sagen: Das ist dort auch nicht viel besser. Vergleichen Sie mal den Frauenanteil der Führungskräfte in deutschen Medien mit Führungskräften in der amerikanischen Tech-Branche. Da steht auch die deutsche Medienbranche nicht sehr gut da. Und die breitbeinigen Cowboys gibt es dort natürlich auch. Deswegen finde ich, macht man es sich in Deutschland zu einfach, wenn man nur mit dem Finger auf Amerika zeigt, während im eigenen Unternehmen überhaupt nichts darauf hindeutet, dass es dort besser wäre.
Katharina Borchert
Seit Januar 2016 ist Katharina Borchert Chief Innovation Officer bei Mozilla in San Francisco. Zuvor war sie sechs Jahre lang als Geschäftsführerin von Spiegel Online tätig. Borchert begann ihre Karriere mit einem Jura- und Journalistik-Studium an den Unis in Hamburg und Lausanne. Seit Mitte der 1990er Jahre schrieb sie über Internetthemen unter anderem für die "FAZ", "C'T" und "Welt am Sonntag".
Glauben Sie, dass es in deutschen Unternehmen genauso zugeht, wie bei Uber und Co? Es kann mir niemand erzählen, dass es eine solche Sexismus-Kultur nicht auch in Deutschland gibt. Es gibt nur niemanden, der darüber redet - und genau das ist das Problem. In Amerika waren die ersten Frauen - beispielsweise Susan Fowler bei Uber - mutig genug, sich zu äußern, auch auf die Gefahr hin, dass sie ihr Gesicht verlieren und von der Branche ausgeschlossen werden. Das hat ein Momentum geschaffen, das sich glücklicherweise nicht mehr zurückdrehen lässt. Wir haben im Silicon Valley einen Wendepunkt erreicht.

Das bedeutet, dass die US-Tech-Branche bei diesem Thema ja fast schon so eine Art Vorreiter ist. Fast traurig das zu sagen, aber ja. Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass die Sexismus-Debatte in den USA erfreulicherweise sehr sachlich und wissenschaftlich geführt wird. Es gibt viele aktuelle Studien, die besagen, dass Vielfalt auf Führungsebene zu besseren Leistungen der Teams führt. Und mit Vielfalt ist in der amerikanischen Debatte nicht nur ein höherer Frauenanteil gemeint, sondern - und das finde ich sehr gut - betrifft auch ethnische Minderheiten, die LGBTQ-Kollegen oder Menschen mit Behinderung. In Deutschland geht es häufig nur um die Gender-Frage, die darüber hinaus zum Großteil nicht sachlich sondern ideologisch diskutiert wird.
Es kann mir niemand erzählen, dass es eine solche Sexismus-Kultur nicht auch in Deutschland gibt. Es gibt nur niemanden, der darüber redet - und genau das ist das Problem.
Katharina Borchert
Unterschiedliche Menschen einzustellen löst aber vermutlich nicht das Problem. Stichwort Unternehmenskultur. Das stimmt. Man kann sich natürlich im Unternehmen sehr stark auf die Neueinstellungen  konzentrieren, also wie in einem Sales-Funnel oben in den Trichter viel mehr Frauen hineinpacken, um das interne Frauen-Männer-Verhältnis zu erhöhen. Wenn aber die Kultur fürchterlich ist, laufen sie am anderen Ende des Trichters alle wieder weg. Nur auf Diversity bei den Einstellungen zu achten bringt also überhaupt nichts. Aber alle US-Unternehmen, die ich kenne, wissen das und handeln entsprechend.

Welche Maßnahmen trifft denn Mozilla, um eine positive Firmen-Kultur zu schaffen? Zum einen achten wir natürlich genau darauf, wen wir einstellen und haben uns bei Bewerbungsprozessen auf eine Quotenregelung geeinigt. Heißt: Das finale Bewerberteam muss vielfältig sein und darf nicht aus fünf weißen Männern von der Stanford University bestehen. Wenn uns Mitarbeiter verlassen, führen wir Exit-Interviews, um zu verstehen, warum sie gehen. Um die Unternehmenskultur besser zu gestalten, haben wir etwa verschiedene Trainingsprogramme ins Leben gerufen, die dem Erkennen und Abbau von unbewussten Vorurteilen dienen sollen. Diese Seminare sind verpflichtend für alle, die bei Mozilla in irgendeiner Form an Bewerbungsgesprächen beteiligt sind.
Katharina Borchert
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Katharina Borchert
Welche Dinge sind Ihnen persönlich sehr wichtig? In meinem Team sind wir beispielsweise sehr darum bemüht, Teammeetings gut zu moderieren und darauf zu achten, dass nicht immer nur die selben vier Leute das Gespräch dominieren. Gerade mein Bereich, Open Innovation, lebt von unterschiedlichen Sichtweisen und Lebenserfahrungen der Mitarbeiter. Und wenn jemand introvertiert ist, versuchen wir ein Umfeld zu schaffen, in dem er oder sie sich wohler fühlt und sich eher traut, sich am Gespräch zu beteiligen - beispielsweise durch Hilfe bei Präsentationstechniken. Wir schaffen auch immer die Möglichkeit zu schriftlichem Feedback.

Gibt es bei Mozilla trotzdem diese Cowboys, wie Sie sie nennen? Wir sind bei Mozilla das, was man in den USA “mission driven” nennt. Uns geht es um einen übergeordneten Zweck. Wir halten das offene Internet für eine wichtige öffentliche Ressource, die es zu schützen gilt. Uns geht es nicht in erster Linie um Wachstum und wir haben auch keine Shareholder. Dadurch gibt es schon mal eine andere Vorselektion an Mitarbeitern, die gerne bei uns tätig sein möchten. Aber natürlich gibt es bei uns auch Menschen, die gerne ihre Ideen im großen Stil verkünden.
Das Silicon Valley hat sich seit jeher Mottos wie 'Disrupt everything' oder 'Change is great' auf die Fahnen geschrieben, aber wenn es mal nicht darum geht, sich einfach nur eine neue App herunterzuladen sondern darum, seine Verhaltensweisen zu ändern und nicht mehr mit den Buddies im Strip-Club zu versacken, dann ist das schwierig.
Katharina Borchert
Würden Sie sich mit Mozilla in dieser Hinsicht als Leuchtturm des Silicon Valleys bezeichnen? Das weiß ich nicht genau. Wir haben natürlich die Ambition, hier Vorreiter zu sein und arbeiten sehr gezielt daran. Das geht allerdings nicht über Nacht. Ein Kulturwandel braucht Zeit, lässt sich aber mit Programmen beschleunigen.

Haben Sie den neuen Uber-CEO Dara Khosrowshahi schon persönlich kennenlernen dürfen? Nein, noch nicht. Aber ich war sehr angetan von seinem grandiosen Abschieds-Memo an seine alte Firma Expedia. Da stand direkt im ersten Satz "I have to tell you I am scared". Er habe also wirklich Angst vor dem Wechsel, sagte er, weil Uber eine riesige Herausforderung ist. Ich finde, dieser kleine, unbedeutend klingende Satz ist ein so dramatisches Signal für einen Kulturwandel, weil man weder im Silicon Valley noch bei Uber jemals Angst hat. Das sagt der Cowboy nicht. Solch einen Satz in einem derart öffentlichen Forum zu sagen und sich verletzlich zu zeigen, finde ich großartig.

Glauben Sie, dass er den Kulturwandel bei Uber bringen kann? Ja, aber wie gesagt: Das wird dauern. Wir befinden uns gerade in einem dramatischen gesellschaftlichen Wandel - und dieser ist wie jeder andere Wandel auch mit Wachstumsschmerzen verbunden. Das Silicon Valley hat sich seit jeher Mottos wie "Disrupt everything" oder "Change is great" auf die Fahnen geschrieben, aber wenn es mal nicht darum geht, sich einfach nur eine neue App herunterzuladen sondern darum, seine Verhaltensweisen zu ändern und nicht mehr mit den Buddies im Strip-Club zu versacken, dann ist das schwierig. Veränderung ist hart, selbst für die Kollegen im Silicon Valley.

Interview: Giuseppe Rondinella




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