"Mein Heimatland ist mir peinlich"

Dieser Techie verließ wegen politischer Kultur das Silicon Valley

Adam Christian ist der neue technische Standortleiter von Sinner Schrader in München
Julia Luka Lila Nitzschke
Adam Christian ist der neue technische Standortleiter von Sinner Schrader in München
Weil Donald Trump ab Januar im Oval Office Platz nehmen wird, spielen derzeit einige US-Bürger mit dem Gedanken, ihr Land zu verlassen. Adam Christian hat dies bereits getan. Viele Jahre arbeitete der gebürtige Amerikaner für Tech-Firmen im Silicon Valley - und hat nun bei der Digitalagentur Sinner Schrader in München ein neues Zuhause gefunden. Unter anderem, weil er sich aufgrund der politischen Lage in den USA nicht mehr wohl fühlte, wie er im Interview mit HORIZONT Online erzählt.
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Im September übernahm Christian die Position des Standortleiters Technologie von Sinner Schrader in München. In dieser Funktion soll der Amerikaner die digitalen Projekte und Themen für die Kunden Telefonica, Allianz und BMW vorantreiben. Expertise bringt er aus dem Silicon Valley genügend mit. Christian war zuvor unter anderem für die Tech-Dienstleister Sauce Labs sowie Slide in San Francisco tätig. Seiner Meinung nach bedeutet Trump als US-Präsident nichts Gutes für die dortige Tech-Szene. Entsprechend konsterniert nahm der bekennende Clinton-Anhänger gestern das Wahlergebnis zur Kenntnis.

Herr Christian, haben Sie sich vom Schock wieder erholt? Ein wenig. Ich kann immer noch nicht wirklich fassen, dass Donald Trump im nächsten Jahr das Amt des US-Präsidenten bekleiden wird. Ich bin am Dienstag-Abend deutscher Zeit sehr spät ins Bett gegangen und war noch voller Hoffnungen, dass Hillary Clinton die Wahl für sich entscheiden wird. Ich hatte nicht wirklich mit ihrer Niederlage gerechnet. Am Mittwochmorgen bin ich dann um 5 Uhr aufgewacht und habe sehen müssen, wie ein Staat nach dem anderen an Trump ging. Spätestens nach den Ausgängen in Michigan und Wisconsin war die Sache für mich klar. Ich muss schon sagen, dass ich erschüttert bin und mir mein Heimatland derzeit recht peinlich ist.

Sie haben im Silicon Valley viele Freunde und Bekannte. Welche Reaktionen haben Sie aus ihrem Umfeld in Kalifornien bislang aufnehmen können? Weil ich viele Jahre im Silicon Valley gearbeitet habe, bin ich natürlich mit vielen Leuten aus der dortigen Tech-Szene eng vernetzt. Mit einigen habe ich bereits gesprochen und die Reaktionen waren immer gleich: blankes Entsetzen. Alle sind ziemlich schockiert, weil sie einfach nicht damit gerechnet haben. Die Meinungsforscher hatten ja bis zuletzt auch einen Wahlsieg von Clinton vorhergesagt.
Warum ist Ihnen und Ihren Freunden im Silicon Valley angst und bange? Auf was muss sich die Tech-Branche in den USA denn einstellen, wenn Trump im Oval Office Platz nimmt? Genau das ist es ja. Das Silicon Valley hat keine Ahnung, was passieren wird. Es ist diese Ungewissheit, mit der viele Techies dort nicht wirklich umzugehen wissen. Noch viel wichtiger: Die Ausländerfeindlichkeit, die Trump in seinem Wahlkampf an den Tag gelegt hat, schadet dem Silicon Valley massiv, denn die vielen Start-ups und Grown-ups aus der Region sind angewiesen auf junge, gut ausgebildete Fachkräfte aus anderen Nationen. Viele von ihnen werden sich nun zweimal überlegen, ob sie wirklich einen Job in den USA annehmen wollen. Wenn sie es denn überhaupt können, denn Trump will ja bekanntlich auch die Einreise für Ausländer erschweren.

Was wäre denn anders, wenn Hillary Clinton die Wahl gewonnen hätte? Mit Clinton als Präsidentin würde das Silicon Valley weiterhin viele junge Gründer und Menschen mit innovativen Ideen anziehen. Sie hätte den Kurs Obamas fortgesetzt, der sich während seiner Amtszeit der amerikanischen Start-up-Szene sehr stark angenähert hatte.

Einige Unternehmer waren aber Feuer und Flamme für Trump. Prominentestes Beispiel ist Peter Thiel. Der Milliardär hat den Republikaner mit sehr viel Geld unterstützt. Das stimmt, er war aber eine absolute Ausnahme im Silicon Valley. Wie gesagt, ich bin in der Bay Area sehr gut vernetzt – und ich kenne insgesamt nur zwei Personen, die sich öffentlich als Trump-Sympathisanten bekannt haben. Warum Peter Thiel so aufmerksamkeitsstark für Trump geworben hat, ist mir unbegreiflich.

Deutschland erschien mir als interessante Destination, weil es hier unter anderem eine lebendige Start-up-Szene gibt und Unternehmen einen starken Fokus auf technische Innovationen setzen.
Adam Christian
Viele Amerikaner wollen das Land jetzt offensichtlich verlassen. Sie haben es ja bereits vorgemacht und sind vor wenigen Wochen nach Deutschland ausgewandert. Warum eigentlich? Es gibt einen politischen und einen persönlichen Grund für diese Entscheidung. Der politische: Immer wieder die schmutzigen Kampagnen der beiden Kandidaten zu verfolgen, war recht unangenehem für mich. Der persönliche: Ich wollte nach vielen Jahren im Silicon Valley mal etwas anderes ausprobieren. Deutschland erschien mir als interessante Destination, weil es hier unter anderem eine lebendige Start-up-Szene gibt und Unternehmen einen starken Fokus auf technische Innovationen setzen.

Deutschland ist doch eher ein Land, das technischen Innovationen skeptisch entgegenblickt. Plattformen wie Uber und Airbnb beispielsweise sind in den USA etabliert, hierzulande aber weitestgehend verboten bzw. streng reguliert. In Deutschland mahlen die Mühlen etwas langsamer, das stimmt. Technische Innovationen brauchen hier länger, bis sie sich durchgesetzt haben. Aber das ist aus meiner Sicht auch gar nicht der zentrale Punkt. Ich bin hierhergekommen, weil mich die Herausforderung reizt. Viele Unternehmen wollen sich immer stärker digitalisieren. Ich spüre eine Art Aufbruchsstimmung. Apropos Uber und Airbnb: Diese Sharing-Dienste habe ich in den USA öfter benutzt. Ich vermisse sie jedoch überhaupt nicht, weil das öffentliche Verkehrsnetz hierzulande überragend ist. Das bin ich aus der Bay Area gar nicht gewohnt.

Welche Erfahrungen haben Sie in den ersten Wochen bei Sinner Schrader gemacht? Fachlich betrachtet, musste ich mich kaum umgewöhnen, weil ich bei Sinner Schrader ähnliche Aufgaben habe, wie bei meinen früheren Stationen in San Francisco. Überrascht hat mich vor allem das Entwickler-Team, das auf einem sehr hohen Level – auf Augenhöhe mit denen in der Bay-Area – arbeitet.

Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit in München von der in den USA? Erstens arbeite ich bei Sinner Schrader in einem etablierten Unternehmen. Zuvor war ich in den USA bei Start-ups angestellt und wusste nie, ob es die Firma am nächsten Tag noch geben wird. Zweitens ist die Mentalität eine andere: Die Deutschen sind konservativer und adaptieren eine neue Technologie erst, nachdem sie auf Herz und Nieren getestet wurde. In den USA experimentieren die Unternehmen viel früher mit neuen Technologien.
Interview: Giuseppe Rondinella



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