Künstliche Intelligenz im Journalismus

"Roboter sind kein Menschen-Ersatz"

Johannes Sommer ist Co-CEO von Retresco
Retresco
Johannes Sommer ist Co-CEO von Retresco
Wenn sich jemand mit Roboterjournalismus auskennt, dann Retresco. Das 2008 in Berlin gegründete Unternehmen hat sich auf die automatisierte Verwertung von Inhalten und Daten spezialisiert. Wie Unternehmen und Verlage Content mit automatisch erstellten Texten intelligent verwerten können, erfahren am kommenden Mittwoch um 13 Uhr Besucher des HORIZONT-Dmexco-Stands C011 in Halle 9. Dort wird Retresco-Gründer Alexander Siebert einen Vortrag halten. HORIZONT Online hat vorab mit Co-CEO Johannes Sommer über Gefahren und Potenziale von Roboterjournalismus gesprochen.
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Herr Sommer, bei welchen Formaten finden Roboterjournalisten derzeit bereits Beschäftigung? Etwa bei Wetter- und Börsenberichten sowie im Fußball – und auch in anderen Sportarten halte ich das Prinzip für sinnvoll. Es funktioniert überall dort, wo strukturelle Daten in einer großen Menge vorhanden sind und wo Datenjournalismus betrieben wird. Denkbar sind also theoretisch auch Berichte über Wahlergebnisse oder die Darstellung von Fernsehprogrammen. Die häufig zitierten Polizeimeldungen hingegen lassen sich aufgrund der Datenlage eher schlecht automatisch generieren.


Wie arbeitet die Maschine konkret mit den vorhandenen Daten? Die Software ist in der Lage, aus allen strukturierten Daten, egal welchen Themas, Texte zu generieren. Das geschieht auf Basis von linguistischen, syntaktischen und semantischen Regelwerken. Unsere Textengine sieht sich einen Datenpunkt an und ist dann in der Lage, darüber eine Aussage zu treffen, die vorher durch die Regeln festgelegt wurde. Ein 0:5 im Fußball lässt zum Beispiel verschiedene Interpretationen zu: Entweder war es eine richtige Blamage – oder aber ein Team ist noch relativ gut davongekommen. Hierüber eine korrekte Aussage zu treffen, macht die Intelligenz der Maschine aus.

Aber alles, was die Software textlich kann, müssen Linguisten und Redakteure ihr vorher beibringen. Handelt es sich bei Roboterjournalismus noch um künstliche Intelligenz? Die Antwort könnte ich mir einfach machen: Die automatische Texterstellung, die Natural Language Generation, ist per se eine Disziplin der künstlichen Intelligenz. Die Intelligenz besteht derzeit nicht zwangsläufig darin, wie eine Maschine ihre Fähigkeiten erlernt. Sondern darin, dass sie selbst und richtig entscheidet, wann sie was einsetzen darf. Auch Machine Learning funktioniert zum Training der Software, allerdings nur wenn es eine ganz große Anzahl strukturierter Daten und auf deren Grundlage erstellte Texte gibt. Weil Sprache aber sehr komplex und nicht einfach zu trainieren ist, passiert das automatische Lernen bisher nur in circa 10 bis 15 Prozent der Fälle.

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Also muss sich ein Redakteur erst einmal keine Sorgen um seinen Job machen? Nein. Es gibt sicher größere Gefahren für den Berufsstand des Journalisten als automatisierte Textgenerierung. Zum Beispiel die Tatsache, dass digitale Geschäftsmodelle nicht funktionieren und dass Reichweiten und Werbeerlöse wegbrechen. Der Roboterjournalismus an sich wird nicht dazu beitragen, dass es dem Journalismus schlechtgeht. Ich will nicht die Plattitüde bemühen, dass Journalisten so mehr Zeit haben, andere Dinge zu tun. Reportagen und die interessanten Geschichten am Rand werden immer menschliche Schreiber erzählen. Aber: Direkt mit dem Schlusspfiff automatisch erstellte Spielberichte sind ein zusätzlicher Mehrwert – und dieser misst sich in Wirtschaftlichkeit und Erfolgsfaktoren wie Klickzahlen, Reichweite oder dem Platz im Suchmaschinenranking. Dann kann Roboterjournalismus, den klugen Einsatz vorausgesetzt, eine echte Chance für die Verlage und Redaktionen sein. Und ist kein Ersatz für Menschen.

Seit 2014, als Sie den ersten Case gelauncht haben, sind im Digitalen bereits Welten vergangen. Wo wird der Roboterjournalismus in drei Jahren stehen? Es wird viel mehr datengetriebene Informationen und damit auch mehr Cases geben. Wir werden einen größeren Anteil von automatisch generierten Texten in allen Bereichen sehen. Und ich glaube, dass die Technik in den Verlagshäusern wesentlich weniger kritisch gesehen wird als noch aktuell – das war auch schon die Veränderung in den letzten drei Jahren. Anfangs mussten wir vor allem evangelisieren, heute reden wir mit unseren Partnern stärker über Chancen und weitere Einsatzgebiete. fam




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