IBM-Commerce-Chefin Rumpold

"Wir müssen den Mythos einer teuren und komplexen Technologie ablegen"

IBM Commerce-Chefin Marilies Rumpold
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IBM Commerce-Chefin Marilies Rumpold
IBM will mit seinem KI-System "Watson" den Werbemarkt revolutionieren. Vor allem im Commerce-Bereich soll die Technologie Anwendung finden. Hierzulande sollen bald die ersten Unternehmen damit arbeiten, kündigt IBMs Commerce-Chefin Marilies Rumpold im Interview mit HORIZONT Online an. Doch noch sind die Unternehmen ein wenig Technik-skeptisch.
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Frau Rumpold, auf der dmexco präsentiert sich IBM unter dem Motto "outthink ordinary“. Was ist damit gemeint? Wir sind davon überzeugt, dass wir über unsere Ansätze des Cognitive Commerce, also Commerce-Leistungen auf Basis kognitiver Technologien, zum Beispiel Einzelhändlern oder Kommunikationsdienstleistern viel bessere Services anbieten können. Das geht weit über das hinaus, was etwa ein Retailer gewöhnlich macht, um seine Kunden zu betreuen. Das ist aber nur möglich, wenn sich die Marketiers aus ihrer Komfortzone herausbewegen. Deshalb das Motto "outthink ordinary".

Marlilies Rumpold
Marilies Rumpold ist IBM-Commerce-Chefin in der DACH-Region und ist in dieser Position verantwortlich für die Commerce-Strategie und die sogenannten kognitiven Lösungen des IT-Konzerns. Zuvor war die 45-Jährige für IBM in Dubai und betreute dort den Commerce-Bereich im Nahen Osten und in Afrika.
Was genau bedeutet Cognitive Commerce eigentlich? Mit dieser Technologie können Kaufabsichten oder Bedürfnisse der Kunden besser eingeschätzt und sogar vorhergesehen werden. Dazu benutzen wir eine Schnittstelle zur unserer künstlichen Intelligenz Watson, um Marketiers rascher und flexibler Commerce-Lösungen anbieten zu können. Das System verknüpft die vorhandenen Kundendaten in Echtzeit mit dem, was auf der Welt passiert, etwa dem Wetter oder Veranstaltungen. Der Händler kann seinen Kunden daraufhin Angebote machen, die auf seine Bedürfnisse zugeschnitten sind.

Können Sie mir ein Beispiel geben? Nehmen wir einen Telekommunikations-Anbieter: Um die Kundenzufriedenheit zu steigern, hatte der Marketier früher definiert, dass im Callcenter die Beschwerde nicht einfach nur entgegengenommen sondern beispielsweise ein Voucher mit einer bestimmten Menge Gratis-SMS angeboten wird. Mit unserer Watson-Technologie können wir aber zudem Echtzeit-Daten zur Verfügung stellen. Zum Beispiel: Wie gehen andere Telkos mit Beschwerden um? Wie entwickelt sich der Gesamtmarkt derzeit? Wie verhalten sich die Kunden? Aus diesem Wissen leitet das System selbstlernend eine Strategie ab, die dem Marketier schließlich vorgeschlagen wird. Dieser kann den Vorschlag entweder annehmen oder abändern.

Mit welchen Unternehmen arbeitet IBM auf diese Weise in Deutschland zusammen? Hierzulande können wir noch keine konkreten Projekte öffentlich nennen, wir sind aber mit einigen deutschen Unternehmen in Gesprächen. Die meisten Kunden kommen derzeit aus den USA und aus Großbritannien. Mit dem britischen Pharmaunternehmen Boots haben wir etwa auf Basis unserer kognitiven Technologie einen sogenannten Store-Advisor gebaut, der dem Verkäufer bei der Kundenbetreuung hilft. Der Verkäufer kann über ein iPad Informationen zu Produkten abrufen, Lagerbestände prüfen und Kundenrezessionen überwachen, die in Echtzeit in Social-Media-Kanälen veröffentlicht werden. Im Verkaufsgespräch kann dem Kunde also ein Mehrwert geboten werden, der weit über die Standards hinausgeht.
Sind deutsche Unternehmen skeptischer was diese Technik angeht? Ich denke schon. In anderen Ländern, die ich betreut habe – beispielsweise Dubai – sind die Unternehmen sehr neugierig und wollen meist schnell auf neue Technologien aufspringen, die oftmals noch gar nicht marktreif sind. In Deutschland aber sehe ich zwei Probleme: Erstens gibt es hierzulande mehr Regularien, die die Einführung solcher Technologien verlangsamen. Zweitens meiden Unternehmen die Technologie, weil sie glauben, es erfordere ein großes Investment, etwa ein großes Data-Warehouse.

Ist diese Skepsis denn unbegründet? Auf jeden Fall. Dadurch, dass diese Technologien als "Software-as-a-Service" (SaaS), also in der Cloud, angeboten werden, braucht es kein eigenes riesiges Data-Warehouse mehr. Ich denke, in diesem Bereich passiert gerade ein großer Umbruch: Durch SaaS reduzieren sich vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen die Hürden, in diese Thematik einzusteigen. Ich erwarte, dass wir in Deutschland nun rascher vorankommen und bald zahlreiche Projekte starten können. Dazu müssen wir aber erst den Mythos ablegen, dass diese Technologie komplex, schwierig und teuer sei.

Ein Positiv-Beispiel sorgte vor wenigen Tagen für Aufsehen: In Japan hat Watson bei einer Frau eine seltene Krebserkrankung diagnostiziert und ihr damit das Leben gerettet. Ist MedTech also für Watson das Einsatzgebiet der Zukunft und Marketing nur ein Nebenschauplatz? Keine Frage: Der medizinische Bereich ist bei IBM ganz hoch aufgehängt. Wir geben viel Geld für die Forschung aus, vor allem in der Krebstherapie, und sind viele Partnerschaften eingegangen. Aber die Watson-Technologie soll sich nicht auf ein Themengebiet beschränken, das Marketing soll also kein Nebenschauplatz sein. Der Unterschied: Im Marketing sprechen wir ganz klar von einem wirtschaftlichen Nutzen, also Umsatzsteigerungen. Im medizinischen Bereich stehen gesellschaftlich relevante Ziele im Vordergrund. Das würde ich nicht direkt miteinander vergleichen.

Neben IBM drängen derzeit weitere IT-Riesen wie SAP oder Adobe mit viel Technik-Knowhow in den digitalen Werbemarkt und kaufen munter Agenturen zu. Sie haben sich jüngst mit den Dienstleistern Aperto und Ecxio verstärkt. Wollen Sie die klassischen Mediaagenturen ersetzen? Es geht uns nicht darum, die klassischen Mediaagenturen zu verdrängen, sondern vielmehr darum, einen ganzheitlichen Service zu bieten. Unser Ziel ist es, eine End-to-End-Betreuung zu gewährleisten und nicht nur ein Produkt oder eine bestimmte Lösung. Aus meiner Sicht wird das nicht die klassischen Mediaagenturen aus dem Markt verdrängen. Wir werden nebeneinander bestehen. Es wird Kunden geben, die den Service klassischer Mediaagenturen bevorzugen und es wird Kunden geben, denen eine End-to-End-Partnerschaft lieber ist.

Wird IBM in Zukunft weitere Agenturen zukaufen? Dazu kann ich mich konkret nicht äußern. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass in diesem Bereich noch Überraschungen bevorstehen und es zu weiteren Akquisitionen kommen kann. Wir konzentrieren uns derzeit aber vor allem auf die Integration der Unternehmen, die wir jüngst hinzugekauft haben. Interview: Giuseppe Rondinella




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