Künstliche Intelligenz nimmt immer mehr Einzug in die Werbebranche.
IBMs Supercomputer Watson kreiert eine eigene Kampagne und in Japan stellt McCann Erickson einen Roboter als Kreativdirektor vor: Einige Schlagzeilen der letzten Wochen lassen vermuten, dass Kreative bald durch künstliche Intelligenz ersetzt werden.
Im Ringen mit dem Menschen haben künstliche Intelligenzen (KI) schon heute in vielen Bereichen des Alltags die Nase vorn. Die autonomen Fahrzeuge von Tesla, Google oder Audi navigieren unfallfreier durch die Straßen als jeder Mensch. IBMs Supercomputer Watson ist in der Lage, seltene Erkrankungen präziser zu diagnostizieren als jeder Arzt aus Fleisch und Blut. Und mit cleveren Sprachassistenten - etwa von Apple, Amazon und zuletzt von Google in seinem neuen Smartphone Pixel - soll uns zukünftig jeder Wunsch von den Lippen abgelesen werden.
Experten sind sich einig: KI wird unsere (Arbeits-)Welt grundlegend verändern. Heißt: weniger Taxifahrer, weniger Radiologen, weniger Verkäufer. Auch in der Werbebranche sind solche Verdrängungsprozesse bereits zu beobachten. Algorithmen steuern heute einen Gutteil der Abwicklung von Werbung.
Online-Marketing-Spezialisten wie Project-A-Chef Florian Heinemann gehen davon aus, dass mittelfristig nahezu jedes Werbemittel in jedem digitalen Medium programmatisch und in Echtzeit gehandelt werde. Klassische Media-Berater und -Planer - so die Ansicht vieler Branchenbeobachter - werden dadurch perspektivisch überflüssig. Das macht nicht zuletzt IBMs KI Watson deutlich,
die ab Ende des Jahres sämtliche programmatische IBM-Kampagnen steuern soll. Der Computer ersetzt den Werbeprofi.
Künstliche Intelligenz
Amazon, Google, Facebook, IBM und Microsoft verbünden sich - ohne Apple
Die großen Player machen gemeinsame Sache: Amazon, Google, facebook, IBM und Microsoft haben gestern die sogenannte "Partnership on Artificial Intelligence" gegründet. Gemeinsam wollen die Tech-Konzerne Forschungsprojekte zum Thema künstlicher Intelligenz umsetzen. ...
Doch wie sieht es in der Werbekreation aus? Kreative, so das Vorurteil, lieben gute Ideen und hassen Daten. Müssen auch sie die cleveren Algorithmen fürchten? Macht künstliche Intelligenz auch ihren Job obsolet? Und die noch spannendere Frage: Kann eine KI überhaupt kreativ sein? Ja, meint zumindest KI-Experte
Neil Jacobstein:
"Wir können kreative Wesen schaffen." Im vergangenen Jahr seien entsprechende Maschinen vorgestellt worden, sagt er. Und diese können den Kreativen in den Werbeagenturen zukünftig erheblich das Wasser abgraben, sagt
Claus Lenz gegenüber HORIZONT Online, der sich als Geschäftsführer von Blue Ocean Robotics seit vielen Jahren mit KI-Systemen beschäftigt und beispielsweise auf Events wie "Year of the Monkey" über das Thema spricht. "Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass auch Kreative durch künstliche Intelligenz starke Konkurrenz bekommen – das dauert aber vermutlich im Vergleich zu anderen Berufszweigen noch länger."
Nach einer
Studie der Oxford-Universität werden Computer in den nächsten zwei Jahrzehnten fast die Hälfte aller Jobs an sich reißen. Kassierer und Versicherungsvertreter aus Fleisch und Blut werde es der Auswertung zufolge dann kaum noch geben. Zu 98 Prozent werde intelligente Software ihre Arbeit übernehmen. Ebenso hart erwischt es Köche (96 Prozent). Deutlich widerstandsfähiger seien kreative Berufe. Architekten (1,8 Prozent), Designer (2,1) und Fotografen (2,1) haben nichts zu befürchten. Berufe aus der kreativen Werbeindustrie werden in der Oxford-Studie zwar nicht gesondert ausgewiesen, die Ergebnisse lassen aber erahnen, dass die "Computerisierung" ihres Berufsstandes - wenn überhaupt - noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen dürfte.
Wenn Watson den ersten selbst erfundenen Witz erzählt, über den ich Tränen lachen muss, erst dann mache ich mir Sorgen.
Stephan Vogel, Kreativchef bei Ogilvy & Mather Deutschland
Erste Anzeichen für diese Entwicklung sind bereits zu beobachten. Beispiel:
Für den Science-Fiction-Film "Morgan" kreierte IBM’s Watson eigenständig einen Filmtrailer. Watson analysierte zuvor 100 Trailer und war daraufhin in der Lage, anhand der Personen, der Tonlage der Stimmen und der Location, die geeignetsten Abschnitte aus dem Film zu einem Trailer zusammenzufassen. Der Computer hat also gelernt, wann eine Sequenz spannend, wann eine handelnde Person traurig oder wann die Hintergrundmusik düster ist. Und das in gerade einmal 24 Stunden. Warum also nicht auch den perfekten Slogan texten oder das beste Key Visual zeichnen können?
"Wenn Watson den ersten selbst erfundenen Witz erzählt, über den ich Tränen lachen muss, erst dann mache ich mir Sorgen", kommentiert
Stephan Vogel, Kreativchef bei Ogilvy & Mather Deutschland, die jüngsten Schlagzeilen der cleveren Roboter. Seiner Ansicht nach ist nicht abzusehen, dass Kreative in absehbarer Zeit überflüssig werden. Dieser Ansicht sind auch viele andere von HORIZONT Online befragte Branchenexperten, etwa
Matthias Schrader, CEO der Digitalagentur Sinner Schrader. Trotzdem gibt er zu bedenken: "Die Bedeutung der klassischen Kreation verringert sich." Kreative und Marketer müssten sich künftig darauf fokussieren, neue relevante Produkte und Services zu schaffen, statt Kampagnen zu entwerfen. Grund: Marketer würden an den Relevanz-Streams der Nutzer vorbeiarbeiten. Ganz anders als Google, Facebook und Co, deren Algorithmen die Aufmerksamkeit nach individueller Relevanz lenken.
Ähnlich sieht das auch
Bernd Wagner, VP Marketing Cloud bei Salesforce. Der Cloud-Spezialist hat ebenfalls eine KI namens "Einstein" im Angebot und tüftelt am Stammsitz in San Francisco an immer schlaueren Computern. Doch in Sachen Kreativität sieht Wagner einen großen Unterschied zwischen Vision und Ist-Zustand: "Stand heute sehe ich nicht, dass künstliche Intelligenz den größten Mehrwert in der Kreation bringen kann." Der Einsatz solcher Kreativroboter klinge zwar interessant und innovativ, dürfe aber kein Selbstzweck sein - im Mittelpunkt solle stets der tatsächliche Mehrwert für den Kunden stehen. In die gleiche Richtung argumentiert auch Digitalexperte Schrader: "KI ist ein Segen, weil wir uns mehr darauf konzentrieren können, sinnstiftende Dinge zu kreieren."
Um zu sehen, wie die Zukunft von KI in der Werbekreation aussehen könnte, ist nicht mal mehr ein Blick in die Glaskugel notwendig - ein Blick nach Japan reicht. Dort hat nämlich McCann Erickson jüngst einen Roboter zum Creative Director befördert. "AI-CD" heißt die künstliche Intelligenz und soll etwa herausfinden, wie das Wetter, Orte oder Events eine bestimmte Kampagne beeinflussen. Ogilvy & Mather-Kreativchef Vogel könnte sich einen Roboter als CD durchaus vorstellen, aber nur, wenn Watson ihn tatsächlich mit einem Witz zum Lachen bringe. "Vorher ist das nur ein PR-Gag."
ron