"Das ist schon pervers"

Start-up-Experte Jan Thomas kritisiert Fokus auf große Exits und hohe Bewertungen

Jan Thomas ist Geschäftsführer von NKF Media
NKF Media
Jan Thomas ist Geschäftsführer von NKF Media
Zalando, Delivery Hero, HelloFresh: Die Berliner Gründerszene hat bereits einige international erfolgreiche und wertvolle Start-ups hervorgebracht. Doch Jan Thomas, Geschäftsführer von NKF Media warnt im Interview mit HORIZONT Online: "Wir sollten unseren Fokus darauf setzen, ob ein Start-up auch tatsächlich dazu beiträgt, die Welt zu einem besseren, nachhaltigeren Ort zu machen." Große Exits und hohe Firmenbewertungen seien nicht der Maßstab für Erfolg.
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Wenn der Start-up-Experte Jan Thomas am 8. September zum zweiten Mal den NKF Summit eröffnet, wird er auch die Chancen und Risiken der Berliner Gründerszene ansprechen. Im Vorfeld der Veranstaltung plädiert der Geschäftsführer von NKF Media nicht mehr nur auf Zahlen, sondern auf den gesellschaftlichen Nutzen des Geschäftsmodells zu schauen. Deutschland als Gründerstandort bescheinigt Thomas kein sehr gutes Zeugnis. Grund dafür sei vor allem die abschreckende Bürokratie.



Herr Thomas, wenn Sie heute ein Start-up gründen würden, was für eines wäre das? Das Start-up würde sich wahrscheinlich mit dem Thema Meinungsbildung beschäftigen. In der heutigen Zeit neigen viele Menschen dazu, sich ihre Meinungen sehr schnell zu bilden, Stichwort Fake News und Nachrichtenvertrauen. Ob diese Änderungen dann aber auch fundiert sind, sei einmal dahingestellt. Ich würde das gerne systematisch untersuchen und der Frage nachgehen, wie Meinungen eigentlich entstehen.

Das klingt nicht gerade nach einem sexy Geschäftsmodell á la Uber oder Airbnb. Ich weiß. Und ich finde das auch überhaupt nicht schlimm. Wir müssen uns mal die übergeordnete Frage stellen: Wann ist ein Start-up eigentlich erfolgreich? Wenn es hohe Bewertungen erzielt? Wenn es einen großen Exit hinlegt? Ich denke nicht. Ich plädiere dafür, dass wir unseren Fokus nicht mehr so stark auf die Zahlen setzen sollten sondern darauf, ob ein Start-up auch tatsächlich dazu beiträgt, die Welt zu einem besseren, nachhaltigeren Ort zu machen.
NKF Summit
Am 8. September findet zum zweiten Mal der "NKF Summit - Corporates meets Startups" im Berliner Radialsystem statt. Auf dem Summit werden circa 500 bis 600 Teilnehmern aus Geschäftsführern, CDOs und Innovationsexperten erwartet. Über 40 Speaker berichten in Vorträgen und Diskussionen von ihrem Know-how und ihren Best Practices. Mit dem Promo-Code "NKF_Horizont" können Interessierte hier noch Tickets zum Early-Bird-Preis bekommen.

Was meinen Sie damit? Schauen wir uns beispielsweise Delivery Hero an. Das Unternehmen hilft den Menschen dabei, den schnellen Hunger zu stillen und ging im Juni mit einer Bewertung von über vier Milliarden Euro an die Börse. Viel spannender aber ist doch ein Start-up wie ShareTheMeal, das versucht, den Hunger auf der ganzen Welt zu stillen. Es versucht nachhaltiger zu sein und die Welt zu verbessern, bekommt aber vielleicht nur eine halbe Million Euro Risikokapital, Delivery Hero stattdessen eine Milliarde. Das ist schon irgendwie pervers. Aus meiner Sicht ist ShareTheMeal das deutlich erfolgreichere Start-up, wenngleich der wirtschaftliche Erfolg von Delivery Hero für das Berliner Ökosystem wichtig war und ist.

Nach Delivery Hero steht mit HelloFresh ein weiterer deutscher Lieferdienst kurz vor dem Börsengang. Wie blicken Sie auf das Unternehmen? Unabhängig davon, ob HelloFresh mit seinem Geschäftsmodell die Welt verbessert oder nicht, glaube ich, dass der Börsengang eine Feuertaufe für Rocket Internet sein könnte. Der Start-up-Inkubator muss dringend zeigen, für was er steht: nämlich gutes Company-Building und sinnvolle Investments. Ich persönlich rechne HelloFresh durchaus viel Potenzial zu. Wenn man die Gründer pitchen hört, dann wollen sie im Prinzip irgendwann einmal einen Lieferdienst mit Supermarkt-Qualität aufbauen. In einer Welt, die dominiert wird von Amazon Fresh, könnte das durchaus sinnvoll sein, weil sich viele Kunden sicherlich einen zweiten starken Player im Markt wünschen werden.

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Delivery Hero und HelloFresh sitzen beide in Berlin. Welches Thema beschäftigt die deutsche Hauptstadt als Start-up-Standort derzeit am meisten? Zunächst einmal muss man konstatieren, dass Berlin mit Abstand das größte Gründer-Ökosystem in Deutschland ist. Andere Städte wie Hamburg, Köln und München wachen zwar so langsam auf, die Investitionen in Start-ups sind in der Hauptstadt aber immer noch doppelt so hoch wie im ganzen Rest der Republik. In den vergangenen Monaten ist vor allem zu beobachten, dass immer häufiger große Unternehmen versuchen, sich mit der Berliner Start-up-Szene zu assoziieren – in Form von Labs, eigenen Acceleratoren oder Zweigstellen. Oetker baut in Berlin beispielsweise gerade ein hundertköpfiges Digitalteam auf, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern.

Ist das nicht etwas zu spät? Gut möglich. Die deutschen Corporates haben die Digitalisierung zwar nicht komplett verschlafen, sind aber gehörig spät dran. Derzeit läuten bei den Unternehmen die Alarmglocken, weil sie registrieren, dass die großen Innovationen eben nicht aus Deutschland kommen sondern aus dem Silicon Valley und mittlerweile auch aus China. Das Spiel dreht sich gerade drastisch. Für eine Nation, die beispielsweise Weltmarktführer im Automobilbereich ist, ist das sehr schlecht. Das kann bedeuten, dass liebgewonnene Geschäftsmodelle, die bislang die Cash-Cows waren, in den nächsten fünf bis zehn Jahren einfach verschwinden.

Welchen Stellenwert hat der Start-up-Standort Berlin eigentlich im internationalen Vergleich? Immer wieder ist beispielsweise zu hören, dass hier nicht genügend Risikokapital zur Verfügung steht. Investorengelder sind für das Wachstum eines jungen Unternehmens natürlich sehr wichtig – und Berlin hat bei diesem Thema im Vergleich zu London oder Paris tatsächlich noch Nachholbedarf. Aber das ist ein deutsches, kein Berliner Problem. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen die bereits angesprochenen Corporates, die ja teilweise auf Unsummen von Geld sitzen, aber bei Investitionen im Digitalen bislang eher zurückhaltend waren. Das ändert sich jedoch gerade. Die Unternehmen entwickeln eine Weltanschauung, die im Silicon Valley schon seit über zehn Jahren gepredigt wird.
Was meinen Sie damit? Sie entwickeln eine Fehlerkultur und beginnen damit, sich mehr zu trauen. Früher hätten die Manager bei einem zu hohen Risiko noch mit dem Kopf geschüttelt. Heute tragen sogar Politiker wie FDP-Chef Christian Lindner diese Fehler- und Risikokultur sehr dogmatisch in die Welt hinaus. Oder nehmen wir das Beispiel Rocket Internet: Man kann von den Samwer-Brüdern halten was man will, aber die drei haben sich mit viel Mut und Risikobereitschaft zu Self-Made-Milliardären hochgearbeitet und ein großes Unternehmen aufgebaut. Wenn es in dem Laden aber mal kriselt, zeigt jeder Schadenfreude, anstatt einfach mal die großartige Leistung der drei zu honorieren. Das ist der Mentalitätsunterschied, der sich auch beim Thema Risikokapital widerspiegelt.

Sie hatten London angesprochen. Gibt es durch den Brexit Anzeichen dafür, dass Gründer von Großbritannien nach Berlin abwandern? Die ehemalige Wirtschaftssenatorin von Berlin, Cornelia Yzer, hatte vor einem dreiviertel Jahr mit einer Kampagne in Großbritannien für den Gründer-Standort Berlin geworben. Damals hieß es, innerhalb kürzester Zeit hätten daraufhin Hunderte Start-ups angekündigt, in die deutsche Hauptstadt zu ziehen. Das müsste man mal hinterfragen. Ich glaube nämlich, dass das eine komplette Luftnummer gewesen ist. Gehört habe ich tatsächlich nur von zwei Unternehmen, von denen ich mir nicht einmal den Namen merken konnte, weil sie unbedeutend klein waren. Ich glaube, dass die Londoner Start-ups noch in einer Art Abwart-Position sind und erst einmal schauen was passiert, wenn der Brexit tatsächlich abgewickelt wird.
Dass es in Berlin mittlerweile bis zu 50 Fintechs gibt beziehungsweise gab, ist eine Bankrotterklärung für Frankfurt.
Jan Thomas, Geschäftsführer NKF Media
Nehmen wir mal an, die Londoner Start-ups wandern tatsächlich ab. Würde dann nicht eher Frankfurt profitieren? Immerhin ist London die Finanz-Hauptstadt Europas. Leider nicht. Ich finde, Frankfurt hat das ganze Thema Fintech total verschlafen. Die Stadt versucht da gerade wieder Boden gut zu machen, aber eigentlich ist es schon zu spät. Dass es überhaupt ein Fintech-Unternehmen außerhalb Frankfurts gibt, ist meiner Meinung nach eine Niederlage für die Stadt. Die großen Finanz-Player, die dort sitzen, hatten alle Möglichkeiten gehabt, Synergien mit Start-ups zu nutzen und groß aufzuziehen. Dass es in Berlin mittlerweile bis zu 50 Fintechs gibt beziehungsweise gab, ist eine Bankrotterklärung für Frankfurt. Das mag sich vielleicht in Zukunft drehen, aber bislang merke ich noch nicht viel.

Was muss Berlin noch verbessern, um für junge Gründer noch attraktiver zu werden? Ich denke, dass erst einmal gewisse Bürokratiehürden aus dem Weg geräumt werden müssten. Es gibt sicherlich viele Menschen da draußen, die gute Ideen haben aber vor dem hohen bürokratischen Aufwand zurückschrecken, der beispielsweise mit der Anmeldung eines Unternehmens verbunden ist. Wie Entbürokratisierung  geht, habe ich mir erst vor kurzem in Estland anschauen können. Die Esten können im Prinzip alles vom heimischen Sofa mit dem Smartphone erledigen – außer heiraten, sich scheiden lassen und ein Haus kaufen. Kein Scherz. Eine Firma anmelden geht dort innerhalb von Minuten mit dem Handy. In Deutschland sind dafür erst einmal zig Behördengänge notwendig. Und das könnte zu einer großen Gefahr werden. Die Unternehmer kommen dann nämlich nicht nach Berlin sondern gehen dorthin, wo die Widerstände am geringsten sind.

Interview: Giuseppe Rondinella




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