Gerade erst hat
die Stiftung Warentest einem der zurzeit größten Hype-Themen im E-Commerce einen Dämpfer verpasst: Die meisten Matratzen-Start-ups genügten aus verschiedenen Gründen nicht den Ansprüchen der Tester. Nichtsdestotrotz ist der Markt spätestens seit dem Deutschlandstart des US-Pioniers Casper gehörig in Bewegung, denn neben dem New Yorker Unternehmen buhlen eine Reihe deutscher Start-ups um die Gunst der Kunden. Was man nun über den Hype wissen sollte.
Woher kommt der Boom der Online-Matratzen-Händler?
Der Matratzen-Kauf gehört seit jeher nicht zu den Paradebeispielen einer gelungenen
User Experience: Der Offline-Markt wird von einer Vielzahl großer Möbelhäuser, Discounter und Fachgeschäften besetzt, so wird die Wahl der richtigen Schlafunterlage mitsamt Probeliegen schnell zur
Sisyphusarbeit. Die teure Preisgestaltung mit zwar vielen Rabatten, aber instransparenten Margen macht es nicht besser. Dem gegenüber stehen die Online-Start-ups, die in der Regel ein einziges
"One fits all"-Produkt im Sortiment haben, den Kunden 100 Tage
Probeschlafen anbieten - und dabei noch deutlich günstiger sind als die Offline-Konkurrenz. Die Retourenquote beträgt nach Markteinschätzungen ca. 5 Prozent. Um Bekanntheit für das Geschäftsmodell und die eigene Marke aufzubauen, agieren die Firmen derzeit mit aggressivem Marketing in TV und OOH.
Welche Start-ups tummeln sich im Markt?
Definiert hat die noch junge Branche
Casper. Der US-Pionier ist seit zweieinhalb Jahren am Markt und vor wenigen Wochen in Deutschland gestartet. Im Heimatmarkt sorgte Casper unter anderem wegen prominenter Investoren wie Leonardo diCaprio und Tobey Maguire für Aufsehen, interessant ist das Unternehmen aber vor allem wegen seiner Strategie, eigentlich biedere Matratzen als Lifestyle-Objekt zu inszenieren. "Wir haben einen neuen Markt erfunden", sagt Global Managing Director Constantin Eis. Er muss sich hierzulande mit einigen Mitbewerben auseinandersetzen, darunter das mit viel Kapital ausgestattete deutsch-britische Start-up
Eve, zudem
Emma,
Muun,
Bruno oder
Buddy. Das Geschäftsmodell der Marktteilnehmer ist weitgehend deckungsgleich.
Matratzen-Markt: Alle Motive der Casper-Kampagne
Wie sieht das Marketing aus?
Kaum eine Großstadt, die derzeit nicht mit den
Casper-Plakaten im Comic-Stil zuplakatiert ist. Insgesamt sechs Motive hat das Unternehmen inhouse kreiert, zudem läuft ein
TV-Spot. In den Werbeblöcken trifft Casper auf Emma, kommende Woche startet auch Eve einen ersten TV-Aufschlag. Muun betreibt neben
Influencer Marketing und einer kreativen OOH- und Online-Video-Kampagne (
Kreation: Amsterdam Berlin) einen
Flagshipstore, weitere sollen folgen. "Das Kernproblem beim Thema Schlafen ist, dass es keine Brand Awareness gibt", sagt Gründer Vincent Brass. Alle Marktteilnehmer äußern sich positiv über den Casper-Start. So sagt Helmut Müller, Geschäftsführer von Eve: "Natürlich hilft es der ganzen Branche, dass Casper in Deutschland gestartet ist." Brass spricht von einem "Glücksfall für die gesamte Schlafindustrie weltweit", weil der Pionier mit hohen Marketingbudgets für Aufmerksamkeit sorge.
MUUN - GERMAN SOFTNESS
Wie reagieren die etablierten Player?
Der
Fachverband Matratzen-Industrie beeilte sich zu Caspers Deutschlandstart Ende Juli mit einer kritischen Stellungnahme zur "One fits all"-Idee - und kann sich von der Stiftung Warentest erstmal ein Stück weit bestätigt fühlen. Für Casper & Co ist die Reaktion aber ein Ritterschlag. Der zeigt, dass sich die verschnarchte Branche ernsthaft mit den Playern aus der Online-Welt beschäftigt, oder besser: beschäftigen muss. Beispiel
Beter Bed Gruppe: Das Mutterunternehmen unter anderem von Discounter
Matratzen Concord hat mit Marcus Diekmann diese Woche erstmals einen Director für die Bereiche Digital, E-Commerce und Omnichannel an Bord geholt, will das Unternehmen so zum führenden Omnichannel-Händler Europas entwickeln. Noch ist der Anteil des Online-Verkaufs von Matratzen insgesamt zwar gering - zwischen 5 und 10 Prozent - die neuen Unternehmen bringen aber Dynamik in das Business.
Wie wird sich die Branche entwicklen?
Klar scheint: Ein halbes Dutzend Start-ups mit einem
vergleichbaren Geschäftsmodell wird auf Dauer nicht profitabel koexistieren können. "Der Markt wird nicht so schnell wachsen, dass es sich für alle Player rentieren würde", sagt Unternehmensberater Winfried Titze, der sich seit über 25 Jahren mit der Branche beschäftigt. Für einen "Winner takes all"-Markt hält er Matratzen aber auch nicht. Bei der gesamten Möbelindustrie wächst der Anteil des Internetgeschäfts jährlich um etwa 1,5 Prozent - beim Matratzengeschäft erwartet Titze noch deutlich
höhere Steigerungsraten. Alle Start-ups planen bzw. haben bereits
Line-Extensions im Angebot - so wie Bettwäsche, Kissen, Schlafkleidung etc. Casper geht wie gewohnt noch einen Schritt weiter: Seit kurzem hat das Unternehmen in den USA ein Hundebett im Sortiment.
fam