Felix Schirl, trbo
Voice, Blockchain & Co

Hört endlich auf mit Trendhopping und macht eure Hausaufgaben!

Die Marketingbranche treibt ständig eine neue Sau durchs Dorf. Künstliche Intelligenz, Blockchain, Voice und 5G heißen beispielsweise die aktuellen digitalen Mutterschweine. Nur handelt es sich bei vielen dieser Säue eher um kleine Ferkel, die noch lange nicht schlachtreif sind, beobachtet Felix Schirl, Geschäftsführer des Technologieanbieters Trbo in unserer Gastbeitragsreihe "Nerd Alert". Sein Appell an die Branche: "Hausaufgaben machen statt Trendhopping betreiben!"
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Woher die Redewendung "Eine Sau durchs Dorf treiben" genau kommt, darüber liefert das Netz keine eindeutige Interpretation. Eine der gängigen Erklärungen: Wenn in früheren Jahrhunderten  eine Sau durch ein Dorf getrieben wurde, entstand hohe Aufmerksamkeit. Aus zwei Gründen: Erstens: Ein Schwein wird geschlachtet! Bald gibt es Wurst und Fleisch. Zweitens: Um das Schwein aus dem Stall durchs Dorf zum Metzger zu treiben, braucht es Menschen, die diese Tätigkeit mit Lärm untermalen. Das Ergebnis war in beiden Fällen: Das Dorf hatte ein Tagesthema. Und am Ende wurde die Sau geschlachtet.

Die Säue der Neuzeit heißen im Marketing beispielsweise Künstliche Intelligenz, Blockchain, Voice, Mixed Reality oder 5G. Auch sie werden heute lautstark durch das digitale Dorf getrieben. Bevorzugt zu Großevents wie dem Mobile World Congress, den Online Marketing Rockstars oder der Dmexco. Nur leider sind – um im Bild zu bleiben - viele der Säue eher kleine Ferkel, die noch lange nicht schlachtreif sind.

Die Säue der Neuzeit heißen im Marketing Künstliche Intelligenz, Blockchain oder 5G. Nur leider sind viele der Säue eher kleine Ferkel, die noch lange nicht schlachtreif sind.
Felix Schirl, trbo
Gerade Marketer sind als Berufsgruppe nicht immun gegen das Trendhopping. Wir reden über den Megatrend "Personalisierung" und ich bekomme immer noch Mails, die mich mit "Hallo Schirl, Felix" anschreiben. Wir propagieren "Customer Centricity" und ich hänge zehn Minuten in einer Hotline, die mir dann den Chatbot im Web als Alternative empfiehlt. Wir fürchten uns vor dem exzessivem Ausspähen von Daten und das real existierende Retargeting ist so dumm, dass es mir ein bereits erworbenes Produkt auch noch zwei Wochen nach dem Kauf anbietet.

Wir schwärmen von den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz, nur leider liegen die zentralen Kundendaten in den Unternehmen in verschiedenen Datenbanken, -Formaten und über mehrere Abteilungen hinweg verstreut. Wir haben es als Branche allzu häufig noch nicht geschafft, den Trend von gestern ernsthaft im Unternehmen umzusetzen, da jagen wir schon wieder eine neue Sau durch das digitale Dorf. Kennen Sie das? Wie wäre es stattdessen, wenn wir 2019 einfach mal unsere Hausaufgaben ordentlich erledigen? Lassen Sie uns die Sau lieber vernünftig mästen, statt sie durchs Dorf zu treiben!
Wir fürchten uns vor dem exzessivem Ausspähen von Daten und das real existierende Retargeting ist so dumm, dass es mir ein bereits erworbenes Produkt auch noch zwei Wochen nach dem Kauf anbietet.
Felix Schirl, trbo

Hausaufgaben machen statt Trendhopping betreiben

Bevor wir uns also Gedanken über die Potentiale von Voice Commerce und Mixed Reality machen, sollten wir ein paar deutlich erlösrelevantere Aufgaben in Angriff nehmen:

1.

Marketing Automation seriös anpacken

Mensch oder Maschine? Nein, Mensch UND Maschine. Auch im Zeitalter der Marketing-Automation spielt die humane Intelligenz der Entscheider eine ganz wesentliche Rolle. Vor allem bei zwei grundlegenden Aufgaben:


1. Es braucht menschliches Know-How und jede Menge Erfahrung, um das für die jeweilige Firma passende Technologie Stack für eine erfolgreiche Marketing-Automation zusammenzustellen und ins Laufen zu bringen.

2. Liefern Hard- und Software dann die ersten Ergebnisse, müssen diese analysiert und bewertet werden und der Erkenntnisgewinn in eine stetige Optimierung des Systems überführt werden.

Beide Punkte sind alles andere als banal: Gerade bei der Vielzahl vorhandener Tools und Softwarelösungen (mit einer Fülle an Funktionalitäten) ist das Zusammenstellen einer kompatiblen und funktionsfähigen, aber gleichzeitig auch finanzier- und bedienbaren Lösung eine wahre Herkulesaufgabe. Und dann braucht es noch Experten für Datenanalyse und mit Gespür für Marketing, die mit strategischem Geschick und einem Blick auf das große Ganze einzelne Komponenten im Räderwerk sinnvoll verändern. Und vor allem aus den Ergebnissen schnell lernen.

Nerd Alert
In der Gastbeitragsreihe "Nerd Alert" kommen wöchentlich Branchenexperten zu Wort, die ihr Wissen in Know-how-Beiträgen zu aktuellen Tech- und Digital-Themen weitergeben.

2.

Qualifizierte First-Party-Daten als Basis für KI

Wie soll Künstliche Intelligenz in naher Zukunft arbeiten, wenn die humane Intelligenz es bisher nicht fertig bringt, den Rohstoff für KI bereit zu stellen? Unternehmen ohne aussagekräftige First-Party-Daten ihrer Kunden werden es künftig sehr schwer haben, im Wettbewerb der Systeme zu bestehen. Wer Insights über seine Zielgruppen vor allem dominanten Plattformen überlässt oder einkauft, erzielt keinen Erkenntnisgewinn und macht sich abhängig. Erst eine vernünftige Menge ausreichend qualifizierter und DSGVO-konform erhobener Daten liefert die Basis für maschinelles Lernen. Wenn Daten das Öl der Neuzeit sind, dann sollte jedes Unternehmen eine Strategie für originäre Schürfrechte entwickeln und sich intensiv darüber Gedanken machen, wie und wo Daten erhoben und ausgewertet werden. Sonst wird es nichts mit der eigenen KI-Strategie ab 2020.

3.

Bessere Verzahnung der Abteilungen und Aktivitäten

Sollen die Daten und Erkenntnisse unterschiedlicher Bereiche (z.B. Direct- und Performance Marketing, Social und Display Advertising) sinnvoll miteinander verknüpft werden, müssen die Abteilungen, die diese Daten erheben, miteinander reden und in der Praxis auch miteinander arbeiten. Sonst klappt es mit der zentralen Customer Data Platform (CDP) nicht, die aber die Basis für eine personalisierte Ansprache der Kunden darstellt.

Abteilungsübergreifende Organisationsstrukturen sind zwar auf dem Vormarsch, aber scheitern in der Praxis häufig noch an allzu menschlichen Befindlichkeiten und historisch gewachsener Machtverteilung bzw. Budgethoheit. Schließlich geht es bei einer ganzheitlichen Betrachtung eventuell auch um die Neuverteilung von Budgets. Statt Energie im Abwehrkampf einzelner Abteilungen untereinander zu vergeuden, sollten Unternehmen Anreize für eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit entwickeln. Je größer die Firma, umso wichtiger ist diese Aufgabe.

4.

Werbung UND Onsite-Personalisierung

Viele Firmen geben viel Geld aus, um immer wieder - auch über Suchmaschinenwerbung und Display Advertising  – potentielle Neukunden auf die Webseite bzw. in den Webshop zu bringen. Und dann? Werden die teuer eingekauften Interessenten nur allzu oft wenig kreativ und kaum personalisiert bedient. Mit entsprechend negativen Auswirkungen auf den Return on Advertising Spend. Dabei sind die zusätzlichen Mittel für eine sinnvolle Onsite-Personalisierung überschaubar und ein absolut lohnenswertes Investment. Auch ist ein Fokus auf Neukunden wenig effizient. Oft sind es die Bestandskunden, die mit intelligenten Angeboten versorgt, die Bilanz deutlich effektiver verbessern.




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