Vor wenigen Tagen fand in San Francisco die jährliche Mega-Konferenz des Softwaregiganten Salesforce statt. Vor Ort war auch Stephan Ritter, Senior Client Partner bei Publicis Sapient, der seine Erfahrungen in seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online aufgeschrieben hat. Unter anderem haben die neue Cross-Cloud-Technologie Customer 360 und die Partnerschaft zwischen Salesforce und Apple einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ich komme gerade zurück von der jährlichen Mega-Konferenz des Softwaregiganten Salesforce in San Francisco – von den Teilnehmern auch liebevoll ‚Dreamforce’ genannt. Der gesamte Event stand auch in diesem Jahr unter dem Motto "Four days of innovation, inspiration & learning, equality, giving back and fun".
Geschätzte 170.000 Partner, Kunden, Admins und User zelebrieren – man kann es nicht anders sagen – eine ganz eigene Unternehmenskultur, die Salesforce selbst "Ohana" nennt. Diese Kultur beschränkt sich nicht wie so oft auf postulierte Key Values und schwungvolle Purpose-Altruismen. Vielmehr stellt sie Themen wie Diversity, Giving-back, Inklusion oder das Salesfoce-eigene 1/1/1-Modell, in dem das Unternehmen jeweils ein Prozent seines Eigenkapitals, seiner Produkte sowie der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter für gemeinnützige Zwecke einbringt, ins Zentrum des Handelns. Dies spiegelte sich auch in der Agenda der Deamforce wieder – ein gutes Drittel des Programms und selbst die Keynote standen im Zeichen von "Ohana".
"Einstein Voice"
Das steckt hinter dem Business-Sprachassistenten von Salesforce
Amazon hat Alexa, Apple hat Siri, Microsoft hat Cortana, Samsung hat Bixby und Google seinen Google Assistant. Nun gesellt sich auch der IT-Riese Salesforce dazu. Und zwar mit dem digitalen Assistenten "Einstein Voice", der für den Einsatz in Unternehmen konzipiert ist. ...
Auch bei der Party am zweiten Konferenztag ging Salesforce eigene Wege: Nicht – wie bei Konferenzen üblich – Pop-Musik oder Mainstream-DJs begleiteten den geselligen Teil der Veranstaltung. Das übernahmen die Rock-Ikonen von Metallica auf einem eigens für sie mitten in der Innenstadt San Franciscos errichteten Festivalgelände. Wer jetzt mit einem weichgespülten Konzert rechnete, kam aus dem Staunen nicht heraus: Die Menge rockte zu ‚Creeping Death’ (Metallicas 2. Album) oder ‘Master of Puppets’ – kaum vorstellbar auf einem Summit der Konkurrenz.
Nun aber zu den Inhalten. Der Software-Gigant hatte wieder einiges zu bieten. In mehr als 2.700 Sessions ging es um neue Produktfunktionen, Allianzen, die generelle Richtung der Plattform und fast überall um AI, AI, AI.
Hier einige Highlight-Themen der vier Tage – aus der Retail-Perspektive zusammengestellt:
Customer Centricity
Während Technologie unsere Welt kontinuierlich verändert, scheinen nach wie vor einige Unternehmenslenker überrascht von den neuen Ansprüchen des modernen Kunden. Doch die zunehmende Digitalisierung macht es zwingend erforderlich, den Konsumenten auch bei der IT-Strategie eines Unternehmens ins Zentrum aller Aktivitäten zu stellen, statt monolithische ERP-, CMS- oder E-Commerce-Systeme zu entwickeln.
In der Retail-Keynote zeigte Salesforce an den Beispielen von Ralph Lauren, Shinola und Brunello Cucinelli wie Daten-getriebene Kundenorientierung mit erster Unterstützung von AI-Features aussehen kann. Dabei gilt es, nicht nur den Standard zu erfüllen, sondern integrierte, intelligente und innovative Markeninteraktionen zu schaffen. Weitere Wortbeiträge wie der Vortrag von Shep Hyken mit dem Titel "Creating Brand Advocates: Let’s Give Them Something to Talk About" gingen in die gleiche Richtung. Die Quintessenz: Wenn 71 Prozent der Empfehlungen auf positive Erlebnisse zurückzuführen sind, heißt die beste Marketingstrategie ‚Customer Experience’. Und hier sieht Salesforce die große Chance für seine Systeme in der "4th Industrial Revolution", wie das Unternehmen die digitale Transformation nennt. Diese wird durch AI und intelligente Services in einer immer vernetzter werdenden Welt geprägt.
Salesforce-Gründer
Software-Milliardär Marc Benioff kauft Time Magazine
Ein weiterer traditionsreicher Name aus der amerikanischen Medienwelt gehört künftig einem Tech-Milliardär: Der Software-Unternehmer Marc Benioff und seine Ehefrau Lynne kaufen das Magazin Time. Der Kaufpreis liegt bei 190 Millionen Dollar in bar. ...
Akquisitionen von Salesforce
Salesforce hat im letzten Jahr wieder beeindruckende Akquisitionen durchgeführt. Besondere Aufmerksamkeit bekam der Kauf von MuleSoft – mit 6,5 Milliarden US-Dollar die teuerste Akquisition bislang. MuleSoft beschreibt sich selbst als "Anwendungs-Netzwerk" (Experten sprechen eher von Enterprise Service Bus). Die Plattform wird nun Teil der Salesforce Integration Cloud, so dass Kunden die Fähigkeit erhalten, eigene Micro-Services zu entwickeln. Vereinfacht: Mulesoft übernimmt die Datenintegration per API aus jeder beliebigen Anwendung – inklusive ERP-Systemen.
Ebenfalls interessant und ausschlaggebend für die strategische Richtung der Plattform sind die Zukäufe von CloudCraze, Datorama und Attic Labs. Mit CloudCraze wird die Commerce Cloud (Ex-Demandware) B2B-freundlicher, Datorama wird weitere AI- und Machine Learning-Fähigkeiten für die Marketing Cloud erbringen und Attic Labs erweitert das hierzulande noch nicht sehr verbreitete Kollaborations-Tool Quip mit neuen Backend-Fähigkeiten.
Die Experten sind sich einig, dass auch diese Akquisitionen wieder sehr viel Augenmaß und eine sehr konsequente Strategie demonstrieren, um Unternehmen aus der ERP-dominierten Denkweise zu führen und den Konsumenten ins Zentrum zu stellen.
Customer 360
Die neue Cross-Cloud-Technologie Customer 360 verbessert künftig die Integration der Salesforce-Produkte B2C Marketing, Commerce und Service. Das System soll in der Lage sein, via AI-Technologie zusammengehörige Datensätze zu identifizieren und adäquat zu adressieren. Eine Besonderheit ist, dass die Datensätze hierbei nicht zusammengeführt werden – etwa in einer CDP-Plattform. Betrachtet man die bisherige Produktstrategie, ist das durchaus sinnvoll. Benötigt man die zusammengeführten Daten jedoch perspektivisch in Echtzeit, ist hier noch einiges offen. Die gezeigte Demo war aber schon recht eindrucksvoll.
Verbesserte Integration
Salesforce hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und macht es sich zur Aufgabe, neue Funktionalitäten und akquirierte Services stärker und konsistenter in die eigenen Dienstleistungen und Software-Lösungen zu integrieren. Hier kommt die neue MuleSoft-Plattform ins Spiel, die künftig einen wesentlichen Beitrag dazu liefern wird. Denn in der Vergangenheit hatten Kunden verstärkt darüber geklagt, dass viele der hinzugekauften Lösungen zu einer neuen Segmentierung des Salesforce-Gesamtangebots geführt hätten. Auf der Dreamforce verpflichtete sich das Unternehmen nun, diese Herausforderung stärker zu adressieren. Das war längst überfällig.
Partnerschaft mit Apple
Salesforce ist mit Apple eine neue Partnerschaft eingegangen, um ihre Anwendungen mit Features wie Siri, Face ID, Business Chat und iMessage zu erweitern. Die jetzt angekündigte neue App soll Anfang 2019 auf den Markt kommen. Für Salesforce fügt sich die Partnerschaft in eine Reihe ähnlicher Abkommen mit IBM Watson, Google und Amazon ein.
Direkt im Anschluss an diese Bekanntmachung entbrannte eine heftige Diskussion auf Twitter. Teilnehmer wollten nun wissen, wie sich Siri und Einstein verstehen und wer das Nachsehen im Rennen der KIs haben wird. Zumindest die Keynote-Live-Demo war schon einmal beeindruckend: Sie zeigte, wie Sales Cloud User nach Ende eines Kundenmeetings einfach die Ergebnisse in ihr Smartphone diktieren und Einstein diese als Opportunities, Next Steps und Detail Updates kategorisiert und übernimmt.
Diese Themen werden früher oder später auch hierzulande die Unternehmens-, Retail- und Marketingverantwortlichen sämtlicher Branchen beschäftigen und ihnen neue Potenziale auf dem Weg der digitalen Business Transformation eröffnen.