Es wirkt fast wie ein schlechtes Omen: In einem Land, das sich mit dem Netzausbau schwer tut und dessen Kanzlerin das Internet als Neuland empfindet, wird jetzt auch noch das einstige "Festival der Digitalisierung" beerdigt. Doch das Cebit-Aus ist in Wirklichkeit eine gute Nachricht. Die Messe scheiterte, weil sie der realen Digitalisierung der deutschen Gesellschaft hinterherhinkte. Als Lehrstück für die Strategie anderer digitaler Leitmessen taugt sie dennoch.
Auf den ersten Blick überzeugt die These. "Die Zukunftsfähigkeit der Messe hat mit der Verbreitung der Digitalisierung und anderer technologischer Trends in allen Branchen abgenommen", begründete der niedersächsische Wirtschaftsminister Bernd Althusmann die Einstellung der Cebit. Tatsächlich entstand die Messe in den 1970er Jahren als Plattform für sehr spezialisierte Technologiefelder, die mit dem Alltag des Durchschnittbürgers wenig zu tun hatten. Ihr ursprünglicher Name war Programm: Centrum der Büro- und Informationstechnik.
Die Computer haben längst das Ghetto der Bürotechnik verlassen und sind aus keinem Lebensbereich der Menschen mehr wegzudenken. Insofern ergibt es keinen Sinn mehr, in einer künstlichen Trennung von digitalen Maschinen und restlicher Wirtschaft zu denken. Und doch liegt Althusmann mit seiner Analyse falsch. Denn der Gesprächsbedarf zur Digitalisierung und damit auch der Bedarf an entsprechenden Großveranstaltungen ist nach wie vor hoch.
Die Ifa hat sich zum jährlichen Globalereignis für die digitalisierte Konsumelektronik entwickelt, die Gamescom ist als jährlicher Wallfahrtsort für die Fans der digitalen Unterhaltungsbranche europaweit ohne Konkurrenz, bei der Dmexco drückt sich die globale Elite der digitalen Kommunikation die Klinke in die Hand und mit der Re:Publica hat Deutschland sogar ein jährliches Großevent, auf der die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung verhandelt werden.
"Zukunftsfähigkeit" ist also definitiv kein Problem der digitalen Leitevents. Mangelnde Agilität kann es allerdings sehr schnell werden.
Dass die Cebit letztlich den Anschluss an die Gesamtentwicklung verlor, hat auch viel damit zu tun, dass sie zu lange gedanklich in ihrer alten Welt der digitalen Büromaschinen blieb und den Anschluss an die Rituale einer jungen Generation von Entscheidern verlor. Die Ifa konnte ihrerseits an Relevanz gewinnen, indem sie immer neue Produktkategorien in ihr Programm aufnahm. Eine Veranstaltung, die einmal als Internationale Funkausstellung begann, thematisiert heute ganz selbstverständlich auch das Potenzial von autonom fahrenden Autos.
Wie fließend der Markt der Themen ist, sollte für Eventveranstalter Motivation und Warnung zugleich sein. Events wie die Re:publica haben sicher noch ungenutztes Potenzial für Marken, um über gesellschaftliche Themen mit digital-affinen Zielgruppen ins Gespräch zu kommen. Umgekehrt müssen beliebte Großevents wie die Online Marketing Rockstars früher oder später beweisen, dass sie mehr sein können als eine unterhaltsame Klassenfahrt für die Start-up- und Agenturszene.
Denn die Konkurrenz schläft nicht. Gerade bei einem globalen Thema wie Digitalisierung muss sich jedes deutsche Event an den Großevents der anderen Kontinente messen lassen. Messen wie die CES in Las Vegas und die South-by-West (SXSW) in Austin stehen in direktem Wettbewerb um die Meinungshoheit und um zahlungskräftige Sponsoren. In Europa hat man zumindest den Mobile World Congress in Spanien und die Internet World auf dem Radar. Aber die Herausforderung kann auch aus völlig neuen Richtungen kommen. Was hindert die Kölner Möbelmesse IMM, sich das Thema Smart Home aggressiv zu erschließen? Warum sollte sich die Anuga nicht als Forum für die digitale Transformation der Food-Branche etablieren?
Das Schöne an der Digitalisierung in Deutschland ist, dass sie mittlerweile mitten in der Gesellschaft angekommen ist und damit das Potenzial hat, jeden Bereich zu verändern. Das Publikum und die wirtschaftliche Kompetenz dafür sind zwischen Rhein und Oder zweifelsohne vorhanden. Laut dem vom Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichten
Report "Monitoring-Report Deutschland DIGITAL – der IKT-Standort Deutschland im internationalen Vergleich" haben sich die Bedingungen sogar verbessert. Der Digitalstandort Deutschland steht im internationalen Vergleich sogar besser da als der japanische. Jetzt ist nur die Frage, ob es Unternehmer gibt, die dieses Potenzial mit der nötigen Kreativität und Neugier erschließen wollen. Doch dafür braucht es kein Festival der Digitalisierung mehr. Wir leben schon längst in der digitalen Realität.
cam