Wäre das Internet ein Unternehmen, bräuchte es dringend eine Krisenkampagne. Die Imagewerte liegen – gefühlt – tief im Keller. Es gibt derzeit kaum etwas, an dem das Netz nicht schuld sein soll. An der schlechten Werbung. Am Erfolg der AfD. Am Hass. An der Verachtung der Medien. Am Irrsinn dieser Welt. Am Wahlsieg Donald Trumps.
Je komplizierter die Welt wird, desto einfacher macht man es sich bisweilen.
Aber das Internet ist nicht an Donald Trump beziehungsweise dem, wofür das System Trump steht, schuld. Auch die Werbe-Pop-ups, die jeden nerven, werden nicht vom Internet erzeugt. Es sind immer noch Agenturen, die von ihren Kunden beauftragt (und schlecht bezahlt) wurden, um schlechte Digitalwerbung zu kreieren. Für miese TV-Spots machte man in den 90er Jahren auch nicht TV (oder RTL und Pro Sieben) verantwortlich, sondern die unfähigen Agenturen, die keine Storys erzählen können, und die Kunden, die zu wenig Mut zum kreativen Risiko haben.
Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Twitter-CEO Jack Dorsey ist nicht der Absender der sexistischen, größenwahnsinnigen und dämlichen Tweets von Donald Trump. Und weder Facebook, Twitter noch Instagram haben die politische (Un-)Kultur hervorgebracht, von der die AfD profitiert. Aber sie bieten die technischen Plattformen, auf denen ziemlich viel guter, aber genauso viel irrsinniger Content kreiert wird.
Kein Mensch wäre in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts auf die Idee gekommen, das Radio für die Nazis verantwortlich zu machen. Warum macht man Facebook und seinen Gründer Mark Zuckerberg quasi persönlich haftbar für die Verrohung des politischen Diskurses – und nicht die, die den Hass predigen?
Dass die mächtigen Chefs der mächtigen US-Internet-Konzerne gut daran täten, mehr gesellschaftspolitische Verantwortung zu tragen, ist eine ganz andere Frage. Sie müssen lernen, Stellung zu beziehen. Damit sind keine Wahlaufrufe für Politiker X oder Politiker Y gemeint. Sergey Brin (Google), Mark Zuckerberg (Facebook), Jack Dorsey (Twitter) und all die anderen Plattform-Chefs müssen ihren Algorithmen „Humanismus“ und „Demokratie“ beibringen. Die Google-Suchmaschine, schreibt „Spiegel Online“, ist ein „Roboter, der keine Ahnung hat, was Rassismus oder Antisemitismus ist“. Und der Facebook-Roboter kann wirkliche Nachrichten nicht von Lügengeschichten unterscheiden. Aber genau das sollte er können.
Schon aus Eigeninteresse müssen Google & Co handeln. Der Wahlsieg Trumps, aber auch der Erfolg von ultrarechten Politikern in Europa, speist sich auch aus einer Angst gegenüber globalen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, für die diese Unternehmen stehen.
Was sich zeigt: Das Internet, das lange als ein Medium gefeiert wurde, das die Welt wieder zu einer Scheibe macht, hat in Wirklichkeit aus dem Planeten Erde ein wild vernetztes Universum gezaubert. Die Büchse der Pandora ist offen, nur weiß keiner, wie er damit umgehen soll. Nach dem Wahlsieg Trumps sollte dem verbohrtesten Nerd klar sein: Mit ein paar Algorithmen alleine lässt sich die Welt nicht besser machen. Leider.
Wie 2016 hat nicht nur der Hass auf das Netz, sondern auch der Hass im Netz explosionsartig zugenommen. Zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, lassen das Schlimmste für den Bundestagswahlkampf 2017 befürchten.
Da ist zum einen der Wahlsieg Donald Trumps. Der Mann, der von den meisten Journalisten viel zu lange als lautstarker, rassistisch-sexistischer, geistig minderbemittelter Milliardär verspottet wurde, hat die politische Kommunikation mit Hilfe der Internets revolutioniert – nicht zum Guten, wohlgemerkt.
Auch in den Wahlkämpfen zuvor spielten Plattformen wie Facebook und Twitter in den USA eine wichtige Rolle, um beispielsweise Obamas Botschaften („Yes, we can“ 2008, „Forward“ 2012) zu vermitteln. Doch diese Kampagnen orientierten sich im Prinzip an klassischen (Polit-)Kampagnen, bei denen ein einzelner Slogan allen Wählern möglichst reichweitenstark präsentiert wurde.
In den letzten vier Jahren haben sich die technologischen Möglichkeiten im Internet dramatisch verändert. Das hat Trumps Team perfekt ausgenutzt. Es wurde nicht eine Message lanciert, sondern je nach Zielgruppe und deren psychologischer Befindlichkeit wurden zahllose Nanokampagnen lanciert, Fake-News, Manipulations-Schlachtrufe, perfide Verbalausbrüche inklusive.
Banal gesprochen: Trump hat das, was Programmatic Advertising verspricht und ermöglicht (wenn man es nicht nur als automatisierte Aussteuerung von Kampagnen begreift, sondern als Tool, das individualisierte Botschaften lancieren kann), für die politische Kommunikation eingesetzt.
Die meisten von uns werden in den vergangenen Tagen mit offenen Mündern und leicht ungläubig den Text des Schweizer Magazin gelesen haben, in dem detailliert geschildert wird, wie es das ominöse Beratungsunternehmen Cambridge Analytics schaffte, mit einer Facebook-Kampagne Trump zum Wahlsieg zu verhelfen.
Der Text liest sich wie ein Politthriller, gegen den „House of Cards“ wie Kinderprogramm wirkt. Und bei allen Zweifeln an der vermeintlichen Entscheidungsmacht einer einzelnen Netz-Plattform muss man sich eingestehen: Internet-Technologie öffnet die Türen für extrem fokussierte, hoch manipulative und emotionale Polit-Kampagnen. Meine Wette: Ähnlich angelegte Wahlkampfmanöver werden wir 2017 in Deutschland erleben.
Wie schmutzig der Bundestagswahlkampf werden könnte, zeigt sich an anderer Stelle: den Hassausbrüchen gegenüber Gerald Hensel, Executive Strategy Director Digital von Scholz & Friends, und seiner privaten #KeinGeldfürRechts-Initiative. Wenn man sich die zahllosen Beschimpfungen der letzten Tage zu Gemüte führt, hat man den Eindruck: Wutbürger, Trolls, Nationalkonservative und ihre journalistischen Lautsprecher bringen sich jetzt schon für einen Wahlkampf in Stellung, der offiziell noch gar nicht begonnen hat.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob es gelingt, auf den diversen Internet-Plattformen einen halbwegs vernünftigen Diskurs über die politische Zukunft Deutschlands zu führen. Das Internet ist die größte Plattform für Aufklärung, die die Menschheit jemals entwickelt hat. Sie ist aber auch das mächtigste Instrument, das Demagogen, Hass-Rednern und Verschwörungstheoretikern an die Hand gegeben wurde.
Was wurde in den letzten zwei Jahren nicht alles der neuen medialen Wunderdroge Content Marketing zugesprochen. Sie sei die Alternative für Digitalwerbung. Sie würde für Relevanz sorgen. Sie mache aus Unternehmen Medien. Und aus den Konsumenten Menschen, die nicht (nur) Unternehmensprodukte kaufen, sondern Unternehmensinhalte lesen wollen.
Die Realität sieht ernüchternder aus. Bislang nutzen Dienstleister unterschiedlicher Provenienz das Buzzword vor allen Dingen für die neumodische verbale Neuinterpretation ihres alten Geschäftszwecks. Corporate Publisher machen weiter Corporate Publishing – nennen es aber CM. Werbeagenturen entwickelen virale Spots – und verkaufen es als CM (oder Brand Entertainment). PR-Agenturen betreiben Öffentlichkeitsarbeit – und verkaufen dies unter Content Marketing. Und die Big Player Territory und C3 wechseln sich vierteljährlich mit Nachrichten von Übernahmen und Expansionen ab, während halbjährlich ein wichtiges Mitglied aus dem Content Marketing Forum austritt.
Zur DNA einer Agentur gehört, ihre Kunden über all das zu informieren, was gerade Trend oder der angesagte Hot Shit ist. Das war einfach in Zeiten, in denen Werbung und Kommunikation einfach waren. Doch die Kommunikationswelt ist bekanntlich ziemlich kompliziert geworden. Und jede Woche wird eine neue digitale Sau durchs Dorf getrieben.
Das ermöglicht Agenturen zwar – theoretisch – permanent New Business. Doch de facto stellt der Fortschrittsglaube, der der Werbeindustrie eingepflanzt ist, die gesamte Branche vor immense Aufgaben. Diese fangen bei Organisation und Struktur von Marketing-Unternehmen nicht an und hören bei Fragen zu Werbestandards und -währungen noch lange nicht auf.
Ein Alexander, der diese gordischen Knoten lösen kann, wird es nicht geben.
Was hilft? Werbungtreibende und ihre Agenturen müssen es schaffen, sich im Arbeitsalltag wie in der Unternehmensstrategie zu fokussieren.
Auch hier kann man von den Big Four Google, Amazon Facebook, und Apple viel lernen. Als Facebook 2012 an die Börse ging, gab es keinen einzigen Banner auf Facebook mobil. Ein halbes Jahr später präsentierte Mark Zuckerberg die Mobile-First-Strategie. Ende 2013 machte das soziale Netzwerk auf Smartphones und iPads so viel Werbeumsatz wie im stationären Internet. Und inzwischen werden 80 Prozent des Umsatzes mobile erwirtschaftet.
Es wäre schön, wenn man solche Erfolgsgeschichten in den kommenden Monaten öfter von Unternehmen lesen könnte, die nicht im Silicon Valley sitzen.