Vergangene Woche haben viele nach Austin geschaut. Da war die SXSW. Diese Woche schauen wir in Deutschland nach Hamburg. Da finden die Online Marketing Rockstars statt. Wir sind fasziniert, inspiriert, einige sogar berauscht von neuen Technologien und digitaler Entwicklung. Das ist auch gut.
Wir sollten aber auch mal ganz woanders hinschauen! Nämlich zum Beispiel nach Südchina. Da entsteht im Perlflussdelta gerade die Greater Bay Area. Zwischen Macao und Hongkong. Und wenn man da hinschaut, ist man erst fasziniert. Wenig später aber schlottern einem die Knie. Die chinesische Regierung verbindet da Millionenstädte zu einem innovativen Tech- und Innovationshub. Da soll die Zukunft entstehen. Da soll ein chinesisches "Silicon Valley" gebaut werden. Und tatsächlich sitzen da heute schon viele der größten und innovativsten Fortune-500- und Fortune-100-Unternehmen.
11 Städte, 66 Millionen Einwohner, ein großer Plan
11 Städte mit 66 Millionen Einwohnern. Mittendrin: Shenzhen. Vor 30 Jahren noch ein kleines Fischerdorf. Die Städte werden gerade infrastrukturell miteinander verbunden. Jede der 11 Städte erhält eine übergeordnete Fokusaufgabe. Die eine zum Beispiel: Führend zu werden in Sachen Künstlicher Intelligenz. Und die jeweilige Stadt richtet fortan alles darauf aus: Zum Beispiel die Verwaltung, die Wirtschaftsförderung, auch die Kindergärten sowie die Grund- und weiterführenden Schulen.
Auch die Universitäten werden konsequent darauf getrimmt. Und die Stadtverwaltung selbst hat die Aufgabe, für zukunftsweisende Anwendungsbeispiele zu sorgen. Und je nach Fokusaufgabe siedeln sich Start-ups an, die dort dann massiv unterstützt werden. Sie bekommen Räume, für die sie keine Miete zahlen müssen, und Services, für die sie keine Gebühren entrichten müssen. Schon jetzt werden dort Budgets für Forschung & Entwicklung aggregiert, die in Staunen versetzen. Das Ziel ist, mittelfristig Wirtschaftshubs wie das Silicon Valley, Tokio oder New York zu überrunden – in Sachen Wirtschaftsgröße, aber auch internationaler Bedeutung und Innovationskraft.
Wir haben Patente, aber keines für die Zukunft
So, und nun richten wir mal den Blick nach Deutschland. Schauen wir mal in einen deutschen Kindergarten oder eine Grundschule, zählen da die Rechner und Tablets und suchen Programmieren & Co. im Lehrplan. Wir sehen Lehrer, die mit Kreide an die Tafel schreiben. Wir sehen Lehrer, die die Computernutzung vermeiden. Und dann gucken wir uns weiter um. Wir sehen regionale, ja lokale Wirtschaftsförderungsprogramme, die im Wettbewerb stehen. Und wir sehen eine
Staatsministerin für Digitalisierung, die von Flugtaxen und Twitter-Trollen faselt.
Ich bin überhaupt kein Fan des chinesischen Machtapparats. Null. Überhaupt nicht. Menschenrechtsverletzungen, Bürgerbespitzelung und Demokratiemangel machen mich wütend. Aber ich bin mit Blick nach China ob des Weitblicks, der Ambition und Konsequenz beeindruckt. Vor allem werde ich nervös. Ich mache mir Sorgen. Und ich bin der Meinung: Wir brauchen in Deutschland endlich einen Plan. Und zwar einen großen Wurf! Ich befürchte: Uns hier in Deutschland läuft schlicht die Zeit davon! Schön, dass wir noch so viele wertvolle Patente besitzen. Ein Patent für die Herausforderungen der Zukunft haben wir nicht.