Jérôme Cholet, McCann Worldgroup
Börsengang

Warum Snapchat für Marken sexy bleibt

Vor drei Jahren begann Snapchat als Sexting-App, nach einer erstaunlichen Performance wagt Gründer Evan Spiegel nun den Gang an die Börse. Das Wachstum bei den Millennials hat sich zwar ein wenig verlangsamt, das Engagement ist aber hervorragend. Ausbleibende Mitbestimmung der zukünftigen Aktionäre, Streits mit Investoren und Druck seitens von Whatsapp und Instagram, die sich Snapchat-Funktionen einverleiben, machen den Börsengang nun holprig. In seinem Gastbeitrag auf HORIZONT Online stellt sich Jérôme Cholet, PR & Communications Director bei McCann, deshalb die Frage: Wird die App für Marken attraktiv bleiben?
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Im Antrag von Snap Inc. für den Börsengang findet sich 87 Mal das Wort „Risiko“, dabei hat das Unternehmen, das Snapchat betreibt, einen enormen Start an den Tag gelegt. Die Nutzerzahlen sind hoch, insbesondere unter den Millennials. Das tägliche Engagement liegt in den Vereinigten Staaten von Amerika pro User bei etwa 25 Minuten am Tag.

Das Geheimnis des Erfolgs von Snapchat lag in seinen vier USPs: Diskretion, Kurzweiligkeit und vor allem Spontanität und Spaß. Anfangs nur mit Filtern, Masken und 24-Stunden-Stories wurde Snapchat alsbald zur ernsten Konkurrenz für Facebook. Die App kooperierte mit Marken und Medien, um eigene Stories zu produzieren und schaffte trotz ihrer Diskretion virale Erfolge für Unternehmen wie Taco Bell oder Künstler wie  Ed Sheeran.

Durchmarsch

Allein im vergangenen Jahr hat sich Snapchat von der einstigen Nutzer-zu-Nutzer-App zu einem Social Network entwickelt und zahlreiche neue Funktionen wie Chat-Sticker, Voice- und Video-Calling, 3D-Sticker, Memories, Bitmojis, Geostickers, Group-Chats, Paintbrush und die neue Brille Spectacles eingeführt, meistens zuerst in den USA. Evan Spiegel und sein Unternehmen strotzen vor Innovationskraft und haben durch Zukäufe solide Grundlagen geschaffen.

Im Dezember hat Snap Inc. das israelische Augmented-Reality-Startup Cimagine für etwa 30-40 Millionen US-Dollar übernommen. Das Unternehmen ist auf den Einsatz von AR im Verkaufssegment spezialisiert, zu seinen Kunden zählt unter anderem Coca-Cola. Ebenso kaufte Snap den Ad-Tech Anbieter Flite für Werbung, Bistrips für personalisierte Emojis, Seene Technology zum Erstellen von 3D-Selfies und Vurb für die App-Suche.
Während Facebook bei Millennials und der Generation Z den Status eines luxuriösen Kreuzfahrtschiffes bekommen hat, wirkt Snapchat wie ein attraktives, wendiges Jet Ski.
Jérôme Cholet
Dabei hat Snapchat  sich den Wünschen der großen Marketingabteilungen geöffnet - denn seine einzige Geldquelle sind Anzeigen -, allerdings auch seine USPs aufgeweicht. Aber: die 24-Stunden-Kurzweiligkeit war immer eine Illusion, wenn auch eine nachhaltige; der Aspekt der Diskretion ist durch die Such-Funktion obsolet, was niemanden zu stören scheint und den Weg zum Network geebnet hat. Nur Facebook wird Evan Spiegel sehr gefährlich: nachdem das Unternehmen mit Übernahmeangeboten gescheitert war, übernimmt es einfach Snapchats Funktionen. Was vor einem halben Jahr erst Instagram mit seiner Stories-Funktion probte, rollt nun aus Irland - direkt in die Facebook Hauptapplikation integriert - über die Vereinigten Staaten von Amerika auch nach Europa. Und die Nutzer sind begeistert. Instagram brauchte nur  5 Monate nach der Lancierung, bis 150 Millionen Menschen täglich das Story-Format nutzten. Zwar gibt es noch keine vergleichenden Zahlen, aber Snapchats Nutzerwachstum hat sich verlangsamt. Und seit wenigen Tagen bietet auch Whatsapp, das wie Instagram zu Facebook gehört, eine Stories-Funktion mit Statusmeldungen, die sich nach 24 Stunden wieder löschen.

Arm aber sexy?

Snapchat muss es im Kampf um Funktionen, Innovationen, Anzeigenkunden und Personal mit harter Konkurrenz aufnehmen. Der Börsengang könnte also holprig werden. Für Marken ist Snapchat jedoch weiterhin interessant und sein Potenzial ist gerade in Europa noch längst nicht ausgeschöpft. Denn während Facebook bei Millennials und der Generation Z mittlerweile den Status eines luxuriösen Kreuzfahrtschiffes bekommen hat, wirkt Snapchat weiterhin wie ein attraktives, wendiges Jet Ski. Die Filter und Masken sind noch immer einmalig und werden fast täglich aktualisiert. Die Verweildauer auf Snapchat nimmt konstant zu und das Unternehmen sammelt immer mehr Daten. Die jungen Menschen folgen ihren Influencern zunehmend auf der gelben Gespenster-App und lieben die verwackelten Blicke hinter den Kulissen und die durch Filter verzauberten Promi-Gesichter. IPG hat jüngst eine Zusammenarbeit mit Snapchat angekündigt.

Snapchat-Gründer Spiegel hat sich zudem Michael Lynton, ehemaliger Chef von Sony, für den Börsengang an die Seite geholt und baut nun in Hamburg und London eigene Zentralen für den infrastrukturell noch nicht durchdrungenen Markt Europa auf. Auch wenn die Bewertung an den Börsen ein erster Dämpfer werden könnte, sollten Marken weiterhin kurz- und mittelfristig den Kanal für sich erobern, um junge Menschen anzusprechen und an ihre Produkte zu binden.



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