Seit über zwölf Jahren forscht das Institut concept m in China und im gesamten asiatischen Raum und beobachtet tiefgreifende Transformationen. Die Geschäftsführer Dirk Ziems und Rochus Winkler haben gemeinsam mit Sami Wong, Managing Director Asia-Pacific, die deutlich gewandelte Situation im Reich der Mitte beschrieben und erklären, was dies für Unternehmen und Marken bedeutet.
Die Volksrepublik China ist für westliche Konzerne nach wie vor ein potenter Markt, mit dem große Wachstumshoffnungen verbunden sind. Und auch die Unternehmen aus China haben ein unverändertes Interesse daran, auf den Märkten Europas und Nordamerikas Fuß zu fassen. Doch die Rahmenbedingungen, unter denen sich der Warenaustausch in beide Richtungen vollzieht, haben sich in den vergangenen Jahren signifikant gewandelt.
Wo früher die Euphorie eines ewig währenden Wachstums vorherrschte, verbunden mit der als Automatismus empfundenen immer stärkeren Integration und Verzahnung der beiden Systeme – Stichwort: Wandel durch Handel –, ist das Stimmungsbild nun deutlich vielschichtiger geworden und mit Unsicherheiten und Misstrauen beiderseits durchsetzt. Insbesondere nach dem 20. Parteitag nimmt das Vertrauen im Westen ab, dass China den bisherigen wirtschaftsfreundlichen Kurs fortsetzt.
Dabei schien es eine so schöne Win-win-Situation zu sein. Der Westen erschließt in einem Land mit einer aufstiegsorientierten Milliardenbevölkerung neue Absatzmärkte und die chinesische Regierung ergreift die Chance zum Aufstieg in die Riege der Global Player mit dem Resultat: fortdauerndes Wachstum und stetig steigender Wohlstand.
Doch inzwischen mehren sich die Stimmen, die eher den Fokus auf die Konkurrenzsituation zwischen den beiden Systemen setzen und die sogar für eine stärkere Abschottung plädieren. Aktuell beispielsweise beim Verkauf von Hochtechnologie nach China oder auch beim geplanten Einstieg in den Hamburger Hafen.
Das Autorenteam
Dirk Ziems (links) und
Rochus Winkler sind Geschäftsführer der globalen Forschungs- und Beratungsboutique concept m. Gemeinsam mit
Sami Wong, Managing Director von concept m Asia-Pacific, forscht das Institut seit über zwölf Jahren im asiatischen Raum und beobachtet dort regelmäßig tiefgreifende Markt-Transformationen. Interkulturelle Insights zum Verhältnis westlicher Unternehmen und Marken zu den chinesischen Konsumenten stehen im Mittelpunkt.
Aus der Perspektive vieler Menschen in China ist das grober Undank. Als billige Werkbank sei man geschätzt worden, nun aber, wo die Nation anfange, die Früchte des eigenen Ehrgeizes zu ernten, blockiere der Westen und gönne den Chinesen ihren Erfolg nicht. Aus unseren zahlreichen Interviews ergibt sich: Viele Chinesen neigen zur Ansicht, dass ihre Chancen auf dem Weltmarkt bewusst beschnitten werden.
Die kaufkräftige chinesische Mittelschicht lockt
Bei aller rasselnder Rhetorik sollte allerdings nicht vergessen werden, dass China auf lange Sicht ein essenzieller Konsummarkt für westliche Marken sein wird, allein schon wegen Hunderter Millionen Menschen aus der in den vergangenen Jahren gewachsenen Mittelschicht mit einer beträchtlichen Neigung zum Konsum und der dafür nötigen finanziellen Ausstattung. Für die Unternehmen des Westens besteht also weiterhin die Notwendigkeit, sich intensiv mit den Besonderheiten des chinesischen Marktes auseinanderzusetzen, insbesondere gerade dann, wenn die Zeiten sehr volatil geworden sind.
Das gegenseitige Verständnis ist also wichtig. Der Austausch hat jedoch in den nunmehr zwei Jahren der Pandemie sehr gelitten. So ist die Zahl der Menschen aus dem Westen, die beispielsweise in China studieren und so aus erster Hand etwas über die Mentalität des Landes erfahren, sehr klein geworden.
Dabei gäbe es viel zu studieren, was die Märkte und die Konsumenten in China aktuell bewegt. Das Land steht vor dem Jahr drei mit Corona, doch der kompromisslose Weg bei der Bekämpfung der Seuche, auf den die Führung lange Zeit so stolz war, ist zunehmend belastend. Das Damoklesschwert eines möglichen Lockdowns sorgt für Verunsicherungen im Alltag.
Von einem Augenblick zum anderen kann das öffentliche Leben lahmlegt werden mit einer für uns im Westen unvorstellbaren Härte und Konsequenz. Gleichwohl hüten sich die meisten Menschen, den Kurs der Regierung zu kritisieren. Aber die Fragilität des Alltagslebens ist ihnen sehr wohl bewusst und wirkt sich auch auf ihre Bereitschaft zum Konsum aus. Krisen großer chinesischer Konzerne zeigen, welche Auswirkungen eine Konsumzurückhaltung der Bevölkerung hat.
Die unklare Gemengelage für die Konsumenten führt zu einem vorsichtigen Agieren, es werden Rücklagen gebildet, Ausgaben werden hinterfragt oder zurückgestellt, trotz des immanenten Wunsches, das bisherige Konsumniveau beizubehalten. Außer Frage gestellt ist jedoch die hochstehende Esskultur, die ein stabilisierender Kern der chinesischen Mentalität ist.
Die chinesische Regierung begegnet der volatilen Stimmung mit weiteren Investitionen, beispielsweise in die Infrastruktur der Second und Third Tier-Städte. Damit soll der Bevölkerung signalisiert werden, dass trotz eines unruhigen Umfeldes die große Richtung bestehen bleibt und die Entwicklung des Landes weiter vorangetrieben wird.
Mit vielen Unwägbarkeiten müssen entsprechend auch die Konzerne des Westens agieren. Dabei hat die chinesische Bevölkerung ein feinfühliges Sensorium dafür entwickelt, wie sie die Unternehmen und deren Marken wahrnimmt. Unterschieden werden drei Kategorien: die Illoyalen, die Loyalen und die Freunde.
Die Loyalen, die Illoyalen und die Freunde
Als illoyal gelten etwa H&M sowie Zara und ihre Tochtermarken Bershka und Stradivarius, aber in Ansätzen auch die Sports-Fashion-Anbieter Adidas und Nike. Sie haben ihr Engagement in China sichtlich heruntergefahren, Filialen geschlossen und sind in der Werbung weniger aktiv. Als loyal angesehen werden dagegen viele westliche FMCG-Marken wie Colgate, Pampers, Pantene Shampoo, aber auch die Küchengeräte-Marken Siemens und Bosch. Ihre Aktivitäten in China werden so wahrgenommen, als ob sie den Chinesen die Treue halten und tief in den Alltag integriert sind. Den besten Stand freilich haben Marken, die schon als halb chinesisch wahrgenommen werden. Zu den von den Chinesen „adoptierten“ Marken gehören beispielsweise Volkswagen, aber überraschenderweise auch die Fast-Food-Kette KFC, wo das Angebot an Reisgerichten und Frühstück im „chinese style“ an die einheimischen Gewohnheiten adaptiert ist.
Signale wie dieses spezielle Frühstücksangebot kommen bei den Chinesen gut an, denn sie zeigen, dass der aus der Fremde stammende Konzern auf die Eigenheiten in Fernost eingeht und den Menschen gewogen ist. Ebenfalls gut zu Gesicht steht den Unternehmen Bescheidenheit. Übertriebene Zurschaustellung der eigenen größeren Stärke, Arroganz und andere Gesten der Überlegenheit stoßen in China auf Unverständnis und werden keinesfalls als Akt des Selbstbewusstseins interpretiert.
Vermarktung in China findet eigene Kanäle
Im Fashion- und Lifestyle-Sektor müssen sich die Unternehmen auf eine wachsende Konkurrenz aus China selbst einstellen. Sie punkten mit ihrer chinesischen Identität und spielen den Heimvorteil aus. Vieles im Marketing läuft über im Westen unbekannte Plattformen wie RED (Kleines rotes Buch) und Douyin (eine Art TikTok), auf denen junge Chinesen sich selbst vermarkten. Dieser Influencer-Status wird von chinesischen Unternehmen genutzt.
Auf dem chinesischen Markt tätige Unternehmen aus dem Westen sollten sich im Übrigen davor hüten, die chinesische Bevölkerung in ihrer Diversität zu unterschätzen. Es gibt erhebliche Unterschiede zum Beispiel auch zwischen den Generationen.
Die Angehörigen der Generation Z sind die Ersten, die sich seit längerem in der frühen Phase ihres Erwachsenenlebens mit Themen wie Arbeitslosigkeit und schwankenden Wirtschaftsaussichten auseinandersetzen müssen. Geprägt sind sie allerdings in der Regel von der Generation ihrer Großeltern, die sie betreuten, während die Eltern beide berufstätig waren. Sie identifizieren sich mit der Öffnungsgeneration, sie gehen aktiv auf die Welt zu und sehen bei allem in erster Linie noch Chancen. Im Konsum verhalten sie sich unauffällig, bemühen sich aber, mit kleinen Insignien Individualität auszudrücken, beispielsweise bei der Wahl der Sneaker. Aus der Generation Z stammen viele Start-up-Gründer wie beispielsweise der Athlet Il Ning, der nach seiner erfolgreichen Karriere als Turner eine populäre Sports-Fashion-Marke gegründet hat, die Nike und Adidas bei den jungen chinesischen Konsumenten deutlich Konkurrenz macht.
Die Vorgängergenerationen Y und X hingegen blicken weniger erwartungsvoll in die Zukunft. Sie fühlten sich eingeklemmt wie ein Sandwich. Die chinesische Tradition erwartet von ihnen, sich um die Eltern zu kümmern, zugleich aber sehen sie sich gezwungen, in die Bildung und das Fortkommen ihrer Kinder zu investieren.
Von den Angehörigen dieser Generationen heißt es, sie sind zu alt, um etwas Neues anzufangen, und zu jung, um sich zur Ruhe zu setzen. Bei ihnen gibt es eine hohe Sensibilität für ökonomische Turbulenzen – beispielsweise den bekannten Problemen im Wohnungsbau. Ihr Konsum ist auf kleine Fluchten aus einem belastend erlebten Alltag ausgerichtet, beispielsweise in Form von Kurzurlauben in chinesischen folkloristischen Hotels.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Auch wenn die Euphorie vergangener Jahre verflogen ist, bleibt China ein Eckpfeiler des Welthandels, sowohl als eine Nation mit 1,5 Milliarden potenziellen Konsumenten als auch als eine sich immer noch entwickelnden Wirtschaft. Doch die Rahmenbedingungen sind komplexer geworden, und damit ist auch der Bedarf gestiegen, die Mentalität der chinesischen Konsumenten deutlich tiefgreifender und differenzierter zu analysieren und zu verstehen.
Zuerst erschienen in planung&analyse 4/2022