Studie von Rheingold Institut zum Gendern

Warum der sprachliche Stolperstein auch verbinden kann

Das Gendern ist umstritten, jetzt wird sogar ein Unternehmen wegen der Vorgabe zu gendern verklagt
IMAGO / Christian Ohde
Das Gendern ist umstritten, jetzt wird sogar ein Unternehmen wegen der Vorgabe zu gendern verklagt
Gendern wird häufig als eine Verschandelung der Sprache wahrgenommen. Viele finden es nervig, sinnlos oder übertrieben. Allerdings sehen auch 44 Prozent der Befragten in einer Studie des Rheingold Instituts in Kooperation mit der Employer-Branding-Agentur Castenow die Diskussion als (eher) wichtig und gerechtfertigt. Vor allem jüngeren Frauen finden Gendern gut.
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Die Rheingold-Studie befragte 16- bis 35-Jährige und hatte einen Fokus auf Anzeigen zur Personalsuche. Bei den Ergebnissen differenzieren sich vier verschiedene Hintergründe für die Aufregung und Polarisierung in der Debatte ums Gendern heraus:
1. Ansprüche auf Gleichberechtigung sind längst noch nicht erfüllt
2. Sinn und Bedeutung des Genderns ist vielen nicht klar
3. Gendern wird zum Stellvertreterkrieg für gesellschaftliche Gaps
4. Ein Miteinander wird durchs Gendern paradoxerweise erfüllt und verletzt

Eine gleichberechtigte Gesellschaft ist noch fern

Der Blick auf das Geschlechterverständnis ist spürbar im Wandel. Zwar sind die klassischen Rollenbilder nach wie vor vorhanden. Allerdings ordnen sich in der Studie überraschend nur 73 Prozent ganz klar dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zu – 27 Prozent ordnen sich dazwischen ein. Zudem löst die Wirklichkeit das Ideal einer gleichberechtigten Gesellschaft nicht ein. Nur 3 Prozent der Frauen und 11 Prozent der Männer sehen die volle Gleichberechtigung erreicht. 53 Prozent der Frauen (und 41 Prozent der Männer) sagen: Es gibt wenig bis keine Gleichberechtigung. 57 Prozent der Frauen fühlen sich mindestens „ab und zu“ als Frau im Alltag oder Berufsleben benachteiligt. Da Wirklichkeit und Ideal an dieser Stelle noch recht weit auseinanderklaffen, sorgt dies psychologisch für Unmut.
Studiendesign
Qualitative Befragung: N=46, Geschlecht: 50% Frauen, 50% Männer, Alter: 14-35 Jahre, deutschlandweit. 2 rheingold videoGroups™ und 36 rheingold videoInterviews™

Quantitative Befragung: N= 2000, Geschlecht: 50% Frauen, 50% Männer, Alter: 16-35 Jahre, bevölkerungsrepräsentativ nach Alter, Geschlecht, Bildung und Bundesland.

Was soll das mit dem Gendern?

Vielen Befragten ist gar nicht genau klar, was das Gendern überhaupt bewirken soll bzw. wofür es steht. Der eigentliche Hintergrund einer besseren sprachlichen Sichtbarmachung der Frauen wird daher oft nicht erkannt. Nur 36 Prozent aller Befragten glauben, dass das Gendern Frauen in der Sprache stärker berücksichtigt und für mehr Gleichstellung sorgen soll. Mehr als 50 Prozent denken, dass damit Neutralität zwischen allen Geschlechtern geschaffen werden soll, 33 Prozent sehen darin eine Inklusion von Menschen jenseits von Mann und Frau und 20 Prozent sehen das Gendern als einen Ausdruck von Feminismus. 23 Prozent kennen den Begriff nicht oder kennen die Bedeutung nicht genau.

Stellvertreterkrieg für gesellschaftliche Gaps

Durch diese Unklarheit wird das Gendern oft zur Chiffre für allgemeine gesellschaftliche Missstände. Dadurch entspinnt sich über das Gendern ein Stellvertreterkrieg gegen verschiedenste Gaps und Versäumnisse unserer Gesellschaft: von fehlender Integration des Weiblichen, mangelnder Diversität, dem Gender Pay Gap, bis hin zur mangelhaften Integration von Flüchtlingen und dem Problem des Rassismus. Alle diese Themen führen oft zu verbitterten Grabenkämpfen im Alltag. „In der Schule bin ich schon aus dem Raum gegangen, weil alle sich angeschrien haben wegen einer Genderfrage.“ (m, 16)

„Stolperfalle“ Gendern kann auch verbinden

In einer durch viele Krisen und Debatten der letzten Jahre zunehmend zerrissenen Gesellschaft wächst die Sehnsucht nach einem besseren Miteinander, nach Inklusion und Toleranz. Psychologisch betrachtet kann diese Sehnsucht durch das Gendern paradoxerweise ebenso bedient als konterkariert werden. Vor allem die Pause, die durch das Gendern im Sprachfluss erlebt wird, „ist wie ein holpriges, abruptes Loch“ (Interview-Zitat), das irgendwann vom Inhalt wegbringt und ablenkt. Dieses Loch wird häufig wie eine sprachliche „Stolperfalle“ beschrieben, die jedoch ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Die einen sehen sie als Behinderung im Sprachfluss, die das Trennende eher verstärkt als aufhebt: „Durch die Gendersprache wird der Unterschied zwischen Männern und Frauen viel mehr dargestellt, das wird krasser auseinanderdividiert, das soll es doch gerade nicht“. 
„Wo ein *innen, da ein Außen.“
Die anderen - insbesondere die jüngere Generation - sehen das Gendern als ein Zeichen für Toleranz und Modernität. Die Stolperfalle ist für sie eine freundliche Erinnerung, die für ungelöste gesellschaftliche Probleme nicht nur in puncto Gleichberechtigung sensibilisiert.

Da Sprache Wirklichkeit nicht nur abbildet, sondern auch schafft, soll und kann das Gendern zumindest auf diese Defizite aufmerksam machen. Maßvoll eingesetzt fördert das Gendern somit ein besseres Miteinander.
„Gendern hat für mich etwas von einem Stolperstein, eine holprige Info die zeigt: wir haben hier eine Ungleichheit. Es ist gut, dass man über diesen sprachlichen Stolperstein stolpert, doch wenn man zu oft stolpert, verliert der Stein seine Funktion. Wenn es zu überladen ist, ist man ja nur noch mit dem Versuch beschäftigt, nicht hinzufallen.“

Prognose: Widerstände werden weichen, flexible Umgangsformen etablieren

Viele Befragte, die bereits aktiv gendern, beobachten, dass „die Stolperfallen der Sprache zwar zu Beginn sehr störend wirken, jedoch auch schnell Gewöhnung eintritt.“ Zur Spaltung komme es eher, wenn fehlendes Gendern zu aggressiv und zu strikt eingefordert wird. Der Übergang zum Gendern kann durch eine entspannte Haltung und flexible Umgangsformen erleichtert werden:

1.

Genderräume beachten

Der Stellenwert, die Relevanz und Akzeptanz des Genderns sind stark von den Kontexten und den sprachlichen Räumen abhängig. Insbesondere in offiziellen Kontexten ist Gendern eine Form des Respekts, die mittlerweile zum guten Ton gehört und unbedingt zu empfehlen ist. Auch ist der schriftliche Kontext deutlich relevanter als der mündliche, da mündliche Sprache im Sinne einer pragmatischen Kommunikation flexibler bleiben darf. Das zeigen auch die Zahlen. Mehr als 50 Prozent finden Gendern im Schriftlich-Öffentlichen, in der schriftlichen Kommunikation mit offiziellen Institutionen oder Behörden, bei Vorträgen/Konferenzen eher wichtig bis sehr wichtig. Im privaten Freundes-/Bekanntenkreis finden dies nur 26 Prozent.

2.

Kein Miteinander ohne Toleranzspielräume

Ein Thema das gesellschaftlich für mehr Toleranz und ein inklusives Miteinander wirbt, darf selbst nicht zu kategorisch und rigide auftreten. Im Umgang mit der Genderdebatte sind Flexibilität, Toleranz, Humor und Fehlerkultur notwendig, damit es sich nicht in sein Gegenteil verkehrt. Die Befragten wünschen sich am häufigsten, dass Gendern tolerant gehandhabt wird (39 Prozent) – jeder so, wie und wo er/sie es will; und locker und flexibel (31 Prozent) – es nicht bis auf Kleinste durchziehen. Nur 11 Prozent sind dafür, es überall und konsequent durchzusetzen.

Genderformen sollten die Lücke nicht abbilden

Bei den konkreten Genderformen sind all jene zu empfehlen, die gesellschaftlichen Lücken nicht zu deutlich sprachlich aufzeigen, sondern sich eher fluide in das sprachliche Gefüge eingliedern. Gendern sollte als freundliche Erinnerung verstanden werden, dass wir gesellschaftlich immer wieder erneut für mehr Inklusion und ein gutes Miteinander eintreten wollen.

Hier sind die ‚und‘ Formen, der Schrägstrich (als gelernter Teil der deutschen Sprache) und der Genderstern als ein Symbol für die Fußnote (alle, die nicht im Text genannt werden können, sind inkludiert) zu empfehlen. Auch in der Quantifizierung zeigen sich diese Formen als bevorzugt im Ranking7. Insbesondere der Unterstrich ist unbeliebt, denn er versinnbildlicht visuell den Gap. Er sollte möglichst vermieden werden, da er nur Wunden aufreißt, die aktuell gesellschaftlich noch nicht geschlossen werden können.

Gendern im Employer Branding ein Muss

Auch im Employer Branding insgesamt ist Gendern ein wichtiges Signal zeitgemäßer und individualisierender Ansprache. Fehlendes Gendern lässt den Arbeitgeber eher altmodisch und für jüngere Zielgruppen weniger attraktiv erscheinen.

In der Studie zeigte sich, dass die Teilnehmer*innen in Bezug auf die verschiedenen Formen des Genderns jedoch recht tolerant sind. Es ist wichtig, DASS gegendert wird, aber nicht unbedingt WIE. Auch im Employer Branding gilt es, einen entspannten Umgang mit dem Thema zu finden. Übertriebenes Gendern wirkt als Störer und lenkt eher vom Inhalt ab. Eingebürgert hat sich hier das beigefügte (m/w/d). Auch sollte nicht explizit mit dem Thema geworben werden, sondern der Inhalt des Jobs im Vordergrund stehen.

Gendern auch in Bildsprache relevant

Außerdem ist eine ‚gegenderte Bildsprache‘ von Bedeutung. Hier verhält es sich jedoch ähnlich wie beim Schriftlichen: Frauen müssen in der Bildsprache stattfinden, jedoch nicht vorherrschen. Inhalt, Jobprofil und Atmosphäre stehen hier deutlich im Vordergrund. Klischees und Rollentypisierungen in Jobanzeigen werden von der jungen Generation als diskriminierend empfunden und abgelehnt. Auch provokative Gleichstellungs-Kampagnen, die mit Stereotypen und Klischees spielen, wirken kontraproduktiv und machen den Arbeitgeber eher unattraktiv.




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