Research plus

Die Spannung zwischen „Real Life“ und „Digital Life“

Research plus Rhein-Neckar: Treffpunkt Taproom in Mannheim
Dirk Engel
Research plus Rhein-Neckar: Treffpunkt Taproom in Mannheim
Teenager im Social Web, die Vorhersage politischer Einstellungen und geschlechtstypische Sprachmuster in Stellenanzeigen – das war das breite Themenspektrum der jüngsten Research Plus Rhein Neckar. Dirk Engel berichtet für planung&analyse.
Teilen

Die Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung fand in einer Mannheimer Craft-Beer-Kneipe statt und führte rund 40 Experten aus Marktforschung und Wissenschaft zusammen. In kurzen Impulsvorträgen stellten Forscher ihre aktuellen Studien vor und stellten sich der Diskussion. So unterschiedlich die Projekte auch waren, sie alle berührten ein wichtiges Thema: Das Spannungsfeld zwischen unserem Verhalten in der digitalen Welt und im „echten“ Leben.

Diskrepanz zwischen Social Media und Real Life

Teenager präsentieren sich heute in den sozialen Netzwerken oft in einer kreativen und originellen Art und Weise, die oft im krassen Gegensatz zur alltäglichen Erscheinung steht. Diese Gegenüberstellung von „Digital Self“ und „Real Self“ widmeten sich die Forscherinnen Patricia Blau und Tina Choi-Odenwald von GIM Gesellschaft für Innovative Marktforschung mbH. Ihre Studie im Auftrag eines Herstellers von Beauty-Produkten ging an das Phänomen mit einem umfassenden Methodenmix heran: Im qualitativen Teil wurden 24 junge Menschen zu Hause interviewt und gleichzeitig beobachtete man ihre Social-Media-Aktivitäten. Hinzu kam eine quantitative Online-Umfrage mit einer repräsentativen Stichprobe.

Die Forscherinnen erkannten in Social Media eine Spielwiese, in denen sich junge Menschen jenseits der Handlungszwänge des Alltags ausprobieren können. Dieser mediale Freiraum ermöglicht es, verschiedene Seiten der Persönlichkeit auszuleben – von einem karnevalesken Ausbruch aus dem Gewohnten bis hin zu den typischen Aspekten des Erwachsenwerdens. So zeigten sich einige der minderjährigen Studienteilnehmerinnen zwar auf ihren Posts mit Lippenstift, obwohl ihre Eltern es ihnen nicht erlaubten, geschminkt aus dem Haus zu gehen. Auch werden Träume durch Social Media ausgelebt – manche simulieren etwa ein Leben mit einem höheren Status inklusive vielen Reisen und tollen Markenprodukten, andere inszenieren ihre Fitness und ihren Wunsch-Körper. Im Rahmen der Studie konnten die wichtigen sozialen Netzwerke – Facebook, WhatsApp, Snapchat und Instagram nach Funktionen positioniert werden. Die quantitative Umfrage bestätigte die Ergebnisse und zeigte die unterschiedliche Relevanz der jeweiligen Networks für bestimmte Altersgruppen.
Christoph Kern und Tina Choi-Odenwald
Dirk Engel
Christoph Kern und Tina Choi-Odenwald

Unsere digitalen Spuren verraten nicht alles

Einen methodisch wie inhaltlich spannenden Beitrag lieferte Christoph Kern, Wissenschaftler an der Universität Mannheim. Die von ihm vorgestellte Untersuchung widmete sich der Prognosekraft von sogenannten „Digital Trace Data“ – also den digitalen Datenspuren, die wir im Internet hinterlassen. Dazu gehören neben Aktivitäten auf sozialen Medien vor allem (meist durch Cookies) nachvollziehbare Online-Nutzungsdaten. Sie zeigen etwa, welche Websites besucht wurden. Mit Hilfe dieser Daten würden sich komplexe Einstellungen und Verhaltensweisen vorhersagen lassen – etwa Wahlverhalten oder Parteienpräferenzen. Das behaupten und befürchten zumindest viele Wahlkämpfer und Gesellschaftskritiker. Untersuchungszeitraum war der Bundestagswahlkampf 2017. In einem aufwendigen Verfahren wurden bei einer Stichprobe von Personen deren Online-Nutzung verfolgt, gleichzeitig wurden mehrere Befragungswellen durchgeführt, bei denen soziodemografische Merkmale und Fragen zur Wahl erhoben wurden. Mit komplexen Verfahren, die auf Machine Learning basieren, wurden Hypothesen geprüft. Können „Digital Trace Data“ Wahlverhalten besser voraussagen als die soziodemografischen Merkmale? Tatsächlich sind die Ergebnisse eher ernüchternd. Weder Wahlbeteiligung noch Parteipräferenzen ließen sich klar vorhersagen. Die relativ besten Ergebnisse konnten die Forscher erzielen, wenn sie die Website-Besuche dafür nutzten, die Wahl der AfD vorherzusagen – doch selbst hier waren die Zusammenhänge schwach. Die Hinzunahme von bestimmten soziodemografischen Variablen (Alter und Geschlecht) konnten die Vorhersagegüte etwas erhöhen. Selbst wenn diese Studie nur ein Schlaglicht auf das Thema wirft, so nährt sie doch die Skepsis über die Möglichkeiten des Behavioral Targeting und der befürchteten Allmacht der Algorithmen.

Sprachmuster im Fokus

Eine weitere Facette der Online-Forschung demonstrierte Daniel Spitzer, Head of Research bei dem Unternehmen „100 Worte“, das sich auf automatisierte Sprachanalysen spezialisiert hat. In seiner Studie zu Sprache von Stellenausschreibungen ging es um die Verwendung für geschlechtsspezifische Sprache und wie diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern verfestigt ist. Bei der Untersuchung von 32.000 Stellenangeboten fanden sie eine Dominanz typischer männlicher Sprachmuster. Bei traditionellen Frauen-Berufen waren hingegen die eher weiblichen Formulierungen stärker ausgeprägt. Mit Hilfe dieser Ergebnisse lassen sich Hinweise für eine fairere Wortwahl bei Stellenausschreibungen finden.
Daniel Spitzer und Oliver Tabino
Dirk Engel
Daniel Spitzer und Oliver Tabino
Wie gewohnt entwickelte sich bei dieser Research Plus eine angeregte Diskussion zwischen Gästen und Referenten. Unterstützt wurde die Veranstaltung von Q – Agentur für Marktforschung und dem Mannheimer Spiegelinstitut. Moderator war Oliver Tabino (Q).




stats