Packaging Design optimiert

Auf dem Weg zu einem datengestützten Designentwicklungsprozess

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Es gibt immer noch zu viele Flops im Regal. Ein Grund dafür kann ein Produktdesign sein, das nicht oder nur unzureichend mit der Konsumentenmeinung abgesichert wurde. KI kann diesen Prozess optimieren und neben den bekannten Vorteilen – dem Einsparen von Zeit und Geld – auch strategische Entscheidungen datengestützt untermauern. Christian Dössel, Senior Vice President von Behaviourally, beschreibt, wie das gehen kann.
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Wir alle kennen das: Marketing und interne oder externe Designteams arbeiten mit Hochdruck an neuen Verpackungsdesigns. Die Deadlines sind straff, Druckdaten müssen geliefert werden, und vorher sollen die vielversprechendsten Designs noch getestet werden. Oftmals ist der gesamte Prozess für Marketing und Designagentur sehr stressig, es gibt viel Hin und Her, vieles beruht auf Bauchentscheidungen und oft fehlt die Stimme des Verbrauchers in dieser frühen Phase gänzlich.

Was wäre, wenn es einen Weg gäbe, der bei der Auswahl der ersten Entwürfe mehr Transparenz liefert und sich die Designauswahl faktenbasiert und quantifiziert begründen ließe? Der Einsatz von KI ermöglicht das; genauer gesagt, der Einsatz von Bilderkennung in Verbindung mit vielen Daten aus Befragungen mit Verbrauchern zum Antrainieren der KI.
Der Autor
Christian Dössel
Behaviorally
Christian Dössel
arbeitet als Senior Vice President für Behaviorally quantitativ und qualitativ an der Schnittstelle von Konsumentenforschung und Behavioral Science an Fragestellungen zu Verpackung, Shopperverhalten und Productexperience. Er leitet die Geschäfte von Behaviorally in Deutschland mit Standorten in Hamburg und Frankfurt am Main. Seit 23 Jahren ist er in der Marktforschung
aktiv.

Trainingsdaten sind das A und O bei der KI

Wie bei jedem auf KI basierten Algorithmus ist die Qualität der Trainingsdaten ein entscheidender Faktor für die Prognosegüte. Einseitige, unvollständige oder irrelevante Trainingsdaten werden zu ebenso einseitigen, unvollständigen und irrelevanten Vorhersagen führen. Gut, wenn man die weltweit größte Datenbank mit Studien zum Konsumentenverhalten am PoS hat. Unsere Datenbank besteht aus mehreren Millionen Datenpunkten auf Basis von Befragungen und Beobachtung zu unterschiedlichen Verpackungsdesigns.

Um bei der Designauswahl zu unterstützen, haben wir eine KI entwickelt, die auf Bilderkennung (Computer Vision) basiert. Sie funktioniert ähnlich wie die Gesichtserkennung, die ein Smartphone entsperrt, weil sie Details eines Gesichts erkennt. Unsere KI erkennt alle Details einer Verpackung. Pixelgenau: Logo, Bilder, Zeichnungen, Größe, Struktur, Form, Farben. Etwa 256 unterschiedliche Variationen von Rot, Grün und Blau (sowie alle Kombinationsfarben). Erkannt werden auch die Verpackungen im Regalkontext.
Wie bewertet Flash.AI neue Verpackungsdesigns?
Behaviorally
Wie bewertet Flash.AI neue Verpackungsdesigns?
Damit die KI die Verpackungen genauso verstehen kann, wie Verbraucher es tun, muss das Modell darauf trainiert sein, diese zu erkennen und zu verarbeiten. Im zweiten Schritt kommen also die Trainingsdaten ins Spiel. Jedes Design in unserer Datenbank hat visuelle Attribute und diese sind mit Tausenden von Datenpunkten zur Performance der bereits getesteten Verpackungen verbunden: Sichtbarkeit im Regal, Kaufrate, Qualitätswahrnehmung, Relevanz und vieles mehr. Nach Hunderten und Tausenden von bekannten Verknüpfungen zwischen visuellen Attributen – etwa einer Farbe – und entsprechenden Bewertungsmerkmalen – wie guter Qualität – lassen sich Ergebnisse für den Verbrauchereindruck vorhersagen. Unser Modell ist darauf trainiert, Muster zu erkennen und vorherzusagen, wie diese voraussichtlich bewertet werden. In unzähligen Validierungen und dem Vergleich der Vorhersage durch die KI mit tatsächlichen Ergebnissen aus Befragungen stellte sich heraus, dass die KI in 85 Prozent der Fälle recht hatte und das stärkste Design identifizieren konnte.

„85 Prozent richtig ist 100 Prozent falsch“ könnte man sagen. Stimmt, daher braucht es weiterhin „Human Intelligence“, die Bewertung und das Weiterdenken von erfahrenen Forscherinnen und Forschern. Die KI ist auf Bilder programmiert, Sprache versteht sie nicht. Das häufigste Manko der 15 Prozent falsch vorhergesagter Designs war, dass die Sprache die einzige Informationsquelle auf der Verpackung war. Auch ist die KI blind für strategische Ziele, die mit einem Relaunch oder einer Neuprodukteinführung verbunden sind. Hier braucht es den Menschen.

Wie KI die Verpackungsforschung demokratisiert

Schaut man sich den Nutzen der KI-Lösung für Teile des Ökosystems „Verpackung“ an, so kommen natürlich zunächst Zeit- und Budget-Ersparnis als Argumente in den Sinn. Unser Tool Flash.AI validiert Bewertungen von Verpackungsdesigns in Stunden und zu einem Bruchteil der üblichen Kosten und durch den Einsatz kann die Floprate signifikant gesenkt werden. Für wen kann diese Anwendung nützlich sein?

Designagenturen mit einem Fokus auf Verpackung sind einer der wichtigsten Akteure im Designentwicklungsprozess eines neuen Produktes. Die KI kann Agenturen dabei helfen, ihre Designideen im frühen Stadium einem Screening zu unterziehen, um starke von weniger starken Routen zu unterscheiden. Argumente für oder gegen einzelne Routen sind nicht von Einzelmeinungen abhängig, Entscheidungen werden faktenbasiert getroffen.

Endkunden aus der Industrie können mit einem KI-gestützten Screening die passende Agentur für die Designentwicklung finden. Die KI kann auch alle existierenden Wettbewerber bewerten. Bei neuen Produkten wird das Benchmarking der Designideen gegen diejenigen von relevanten Wettbewerbern oder Repräsentanten einer Kategorie zu einem Kinderspiel.
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FMCG-Startups haben oft gute Ideen für neue, unique Produkte, sie sind manchmal genial und revolutionär. Fertigung und Logistik haben aber einen hohen Stellenwert. Wenn es um die Verpackung geht, steht bei ihnen meist Material und Funktionalität (insbesondere unter Gesichtspunkten von Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit) an erster Stelle, Verpackungsdesigns werden häufig als zweitrangig angesehen. Für Startups, deren Listung und Distribution vom Lebensmitteleinzelhandel abhängt, ist die Performance am Regal aber der zentrale Parameter. Mit KI-gestützten Designvalidierungstools können früh, agil und günstig die Designvorschläge überprüft werden.

Co-Packer und B2B-Produzenten. Auch Intermediäre wie Großhändler können von KI-gestütztem Verpackungsscreening profitieren und eine Servicelücke schließen. Neben Rohstoffen, Supply-Chain, Logistik, Verpackungsmaterialien und -formaten gehören dann auch auf harten Zahlen belegte Designs zum Angebot.
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Special-Interest-D2C-E-Retailer. Schließlich sollte klar sein, dass die Anwendung nicht auf die Verpackung im Regal beschränkt bleiben muss. Sie funktioniert auch für die Optimierung von Bildern auf Product-Detail-Pages (PDP) auf E-Commerce-Seiten. Je effektiver und leistungsstärker diese Bilder sind, desto höher die Konversion. Zum Beispiel spielen in FMCG-Kategorien bei etwa 90 Prozent aller Kaufentscheidungen die Produktbilder eine entscheidende Rolle. Werden die Bilder auf den Webseiten optimiert, können wir einen Sales-Lift von im Schnitt 45 Prozent messen.

Was wird uns in Zukunft erwarten?

Momentan steht die Marktforschungsbranche noch am Anfang der Implementierung von KI. Sie wird in erster Linie für Prognosezwecke genutzt. Es werden in der Regel Erfolgswahrscheinlichkeiten von unterschiedlichen verbalen oder visuellen Stimuli mit Hilfe von KI berechnet. Doch das ist sicherlich nicht das Ende der Fahnenstange. Zunehmend wird das Thema KI-gestützte „Empfehlung“ wichtig und möglich. Dann wird man nicht nur in der Lage sein zu sagen, welcher Stimulus am vielversprechendsten funktioniert, sondern auch, wie die einzelnen Elemente besser arrangiert und gestaltet werden können, um größere Wirkungskraft zu entfalten.

Noch einen Schritt weiter wird KI für die „Kreation“ eingesetzt. Es wird sehr spannend sein zu beobachten, wie Algorithmen das ideale Verbalkonzept oder das ideale Verpackungsdesign kreativ gestalten. Dass dies keine Science-Fiction ist, zeigen sogenannte „Text-to-Image AI Converters“ wie etwa Nightcafe oder Starry AI, auch Google hat einen entsprechenden Ansatz im Angebot. Bei der Entwicklung für die Kreation von geschriebenen Worten zeigen Anyword (Data Driven Copy Writing), Mutiny (Hyper Personalization von Webseiten-Content) oder Gong (Optimierung von Verkaufsgesprächen) den Weg.

Hier ergeben sich dann jedoch mittelfristig interessante und spannungsgeladene Fragestellungen. Wenn sich Kreativität ausschließlich aus dem Vergangenem speist (Stichwort: Trainingsdaten), wie kommt dann das Neue in die Welt? Wenn sich alles mit dem vergleicht, was schon erfolgreich war, wie geht dann Disruption? Es bleibt auf jeden Fall spannend und das ist ja das Schöne an der Marktforschung.

Erschienen in planung&analyse 3/2022
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