Bei der Forschung zur Werbewirkung treffen Welten aufeinander – hier die Institute, die konkrete Projekte begleiten und Methoden entwickeln, und dort die Agenturen und Medien, die die Werbetreibenden von ihrer Leistung zu überzeugen versuchen. Jürgen Scharrer, Chefreporter von HORIZONT, beobachtet diesen Teil der Werbewirkungsforschung seit Jahren und fasst für planung&analyse seine Beobachtungen zusammen.
Wenn in der Werbeindustrie über Werbewirkungsforschung geredet wird, geht es immer auch und bestimmt nicht zuletzt um: Geld. Ist das schlimm? Nein, natürlich nicht, es sollte einem halt nur stets bewusst sein, dass Werbewirkungsforschung nicht von reinem Erkenntnisinteresse getrieben ist, sondern hinter (fast) jeder Studie auch kommerzielle Interessen stehen. Das gilt natürlich vor allem dann, wenn der Absender ein Medienunternehmen ist – ein Verlag, ein TV-Konzern, eine Social-Media-Plattform. Ziel ist immer, die Werbetreibenden davon zu überzeugen, Teile ihrer Werbebudgets von der einen Mediengattung in die andere – vorzugsweise in die eigene – zu switchen.
1.
Zum Zustand der Werbewirkungsforschung in Deutschland
Um mit dem Positiven zu beginnen: Die Wirkungsforschung erlebt in Deutschland seit zwei, drei Jahren eine echte Renaissance. Lange Zeit war das Mediageschäft vor allem von der Frage geprägt, welche Mediaagenturen bei den Vermarktern die höchsten Rabatte herausholen. Das ist immer noch wichtig, steht aber längst nicht mehr so im Zentrum wie früher. Das liegt – aber das gilt ja für fast alle Entwicklungen im Wirtschaftsleben – vor allem an der Digitalisierung. Je mehr Medienkanäle, in die man sein Werbegeld stecken kann, und je größer der Anteil der digitalen Spendings am Gesamtbudget, desto drängender stellt sich die Frage nach der Werbewirkung.
Was die Mediaagenturen betrifft, ist bemerkenswert, dass gerade die inhabergeführten Firmen Pilot und Mediaplus eine wichtige Rolle in der Werbewirkungsforschung spielen, wobei Letztere mit Facit sogar ein eigenes Marktforschungsunternehmen im Rennen hat. Aber auch die großen Networks, die das Mediageschäft seit Jahrzehnten dominieren, sehen Forschung zunehmend als Wettbewerbsfaktor. 2020 sorgte vor allem der Marktführer Group M mit seiner Veranstaltung „Content Gipfel“ für einiges Aufsehen. Die große Frage ist, wie ernst es Group M mit seiner angekündigten Forschungs-Offensive wirklich meint. Die eigentlichen Treiber, wenn es um Werbewirkungsforschung geht, sind allerdings nicht die Agenturen, sondern die Medien, und da allen voran die TV-Konzerne.
Was sollte man lesen, welche Studien aus den vergangenen zwölf Monaten sind besonders wichtig? Meine subjektive Liste lautet:
Erstens: Mediaplus hat mit dem 2. Teil seiner Medienäquivalenzstudie („Video Kontakt +“) und dem Ansatz Medienwirkungsdifferenziale 2020 zwei bemerkenswerte Arbeiten vorgelegt. In beiden Fällen war Facit das ausführende Institut, in beiden Fällen arbeitete man mit Medienhäusern zusammen: einmal mit Seven-One, dem Vermarkter von Pro Sieben Sat 1, einmal mit Axel Springer. Eine der zentrale Thesen hinter beiden Arbeiten lautet: „Wenn sich Mediaplanung wie bisher am tradierten Dreiklang von Reichweite, Affinität, Tausend-Kontakt-Preis (TKP) ausrichtet, greift das zu kurz. Wollen wir den ROI von Kampagnen steigern, müssen wir die Wirkmechanismen der einzelnen Medien im Zusammenspiel und abhängig von ihrer Rezeptionssituation untersuchen.“
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Zweitens: Die wahrscheinlich aufwendigste und methodisch anspruchsvollste Studie aus dem vergangenen Jahr trägt den Absender Screenforce und heißt „Not all Reach is equal“. Screenforce, eine Gattungs-Initiative der TV-Konzerne, beauftragte die renommierte australische Wissenschaftlerin Karen Nelson-Field, die Werbewirkung von Video-Ads auf unterschiedlichen Plattformen zu untersuchen. Das aufwendige Studien-Design förderte Ergebnisse zutage, die für YouTube, vor allem aber für Facebook niederschmetternd waren.
Drittens: Die intellektuell anspruchsvollste Veröffentlichung 2020 stammt aus dem Hause Seven-One Media. Tatsächlich zählt die Studie „Video Impact“ wahrscheinlich zum Besten, was in den vergangenen Jahren zum Thema Werbewirkungsforschung veröffentlicht wurde. Das liegt zum einen daran, das mit Guido Modenbach einer der schlausten Köpfe der Branche hinter der Arbeit steht, und zum anderen daran, dass hier der Versuch unternommen wird, die Befunde einzelner Studien miteinander zu verbinden sowie ausführlich auf den Stand der internationalen Forschung einzugehen. Wer sich für die grundlegenden Mechaniken hinter TV- und Videowerbung interessiert, ist hier an der richtigen Adresse.
Viertens: Eine eher schwache Rolle spielen bisher die Werbungtreibenden. Mediaplus-Geschäftsführer Andrea Malgara mahnt bei den Unternehmen sehr zu Recht „eine größere Bereitschaft an, in Werbewirkungsforschung zu investieren“. Tatsächlich würden die Werbetreibenden „nicht einmal ein Prozent ihrer Kommunikationsausgaben in die Messung von deren Wirkung“ investieren.
Aber es gibt eben auch Ausnahmen. Zu nennen ist hier vor allem die Deutsche Telekom und ihr „Media Moods“-Ansatz. Die Arbeit untersucht die Bedeutung unterschiedlicher Rezeptionsverfassungen (Moods) auf die Wirkung von Werbung. Die aufregende Schlussfolgerung lautet: Targeting funktioniert auch ohne den exzessiven Einsatz von Third-Party-Cookies – und wenn man es richtig macht und die richtige Forschung darunterlegt, sogar besser.
2.
Digitalisierung: Das süße Gift der Daten
Werbewirkungsforschung rückt mehr ins Zentrum und die Studien werden besser – alles gut also? Nein, mitnichten, eher im Gegenteil. Der ungelösten Probleme sind gar viele. Zu beklagen sind eine Reihe von Fehlentwicklungen und Kollateralschäden einer allzu technologisch geprägten Sicht der Dinge. Um wenigstens drei davon kurz anzureißen:
Problem 1: Daten können helfen, viele Fragen besser und verlässlicher zu beantworten, sie sind aber auch ein süßes Gift. Die Mediabranche beschäftigt sich seit fast einem Jahrzehnt vornehmlich mit einer möglichst effizienten Aussteuerung von Werbung. Im Netz werden wie besessen Userdaten gesammelt, um Werbung so individuell wie möglich ausspielen zu können. Gesellschaftspolitisch ist das ein ziemlicher Albtraum (um exakt zu wissen, was ein Mensch will, muss man ihn möglichst vollständig tracken – willkommen im Überwachungs-Kapitalismus), werbetechnisch dagegen das größte Versprechen, seit es Reklame gibt. Allerdings nur auf den ersten Blick. Folge dieser Konzentration auf Media-Logistik war, die Bedeutung des Umfelds auf Werbewirkung zunehmend aus dem Blick zu verlieren. Das aber ist fatal. Dass die Wirkung einer Werbebotschaft auch von dem Umfeld abhängt, in dem sie erscheint, ist so banal wie richtig – und in unzähligen Studien immer wieder nachgewiesen worden.
Problem 2: Wir leben – gerade die Werbeindustrie – in einer Zeit der Disruptions-Gläubigkeit. Was gestern war, ist vorbei und gilt nicht mehr. Das führt zu einer erstaunlichen Geschichts-Blindheit. Tatjana Damgaard, Geschäftsführerin von M-Science, der Forschungs-Unit von Group M, attestierte der Branche jüngst ein „furchtbar schlechtes Gedächtnis“, Guido Modenbach beklagt, dass „historische und aktuelle akademische Arbeiten in der Praxis nicht immer präsent sind“. Das ist überaus freundlich formuliert. Tatsächlich haben in vielen Mediaagenturen Planer das Kommando übernommen, die sich kaum je mit den Erkenntnissen aus 100 Jahren Kommunikationsforschung beschäftigt haben.
Problem 3: Zwar sprechen alle immer von Crossmedialität, dem Einreißen von Silos und „ganzheitlichen“ Konzepten – tatsächlich regiert aber allzu oft intellektuelle Einfalt. Ein Beispiel: Um zu beurteilen, wie effektiv Suchmaschinen-Marketing ist, genügt es eben nicht, nur Klicks und Conversion-Rates zu zählen. Tatsächlich hängt die Anzahl der Klicks maßgeblich auch davon ab, wie massiv eine Marke gerade in klassischen Massenmedien beworben wird – je mehr TV-Werbung, desto mehr Klicks. Generell gilt: Je stärker eine Marke (dank klassischer Marketing-Aktivitäten) in den Köpfen der Menschen verankert ist, desto besser klappt es auch mit dem Search- und Social-Media-Marketing.
Big Data hat dazu geführt, vor allem auf das zu schauen, was sich kurzfristig und exakt messen lässt, also Parameter wie Klicks, Likes, Kommentare, Sales. Leistungs-Kennziffern, die komplexer, nicht so leicht zu messen und langfristig wirksam sind, drohen dabei in den Hintergrund zu geraten.
3.
Und noch ein Dilemma: Die Walled Gardens der Superriesen
Ein viertes Problem kommt hinzu: die „Walled Gardens“-Politik der US-Plattformen. Google und Facebook lieben es, die Menschen auf Schritt und Tritt im Netz zu verfolgen – wenn es um sie selber geht, sind sie jedoch Geheimniskrämer erster Ordnung. Das betrifft auch und vor allem das Teilen von Daten. Diana Degraa von der Mediaagentur Initiative sagt: „Gerade die großen Digitalunternehmen behalten in vielen Fragen ihre Intransparenz und verhindern oft medienübergreifende Forschungsansätze.“ Oder etwas ausführlicher mit den Worten von Mindshare-Chefin Katja Brandt: „In den klassischen Medien Fernsehen und Print haben wir ein großes Know-how über die Wirkungsweisen. Defizite und Nachholbedarf gibt es aber bei den digitalen Medien. Sieht man von direkt messbaren Parametern wie zum Beispiel der Click-Rate ab, gibt es hier viele Fragezeichen. Erschwert wird die digitale Werbewirkungsforschung durch die Walled Gardens der GAFAs, was unabhängige Drittforschung kompliziert und teuer macht.“ Das Blöde ist nur: Da Google/Youtube, Facebook/Instagram und Amazon das digitale Werbegeschäft inzwischen in einem atemberaubenden Umfang dominieren, ist Werbewirkungsforschung ohne deren Daten ein beschwerliches Geschäft.
4.
Wohin des Weges? Die Glaubensfrage
In der Werbebranche gibt es gerade einen durchaus konstruktiven Streit, welche Art von Werbewirkungsforschung die Branche eigentlich braucht. Mehr wissenschaftlich fundierte Grundlagenstudien oder im Gegenteil einen beherzten Befreiungsschlag von allzu komplizierten Ansätzen, die am Ende ja doch keinen Eingang in die konkrete Mediaplanung finden?
Für Georg Berzbach vom Media-Network Dentsu sind aufwendige Begriffsdefinitionen und neuropsychologische Studien im Grunde nur Umwege, die über kurz oder lang in eine Sackgasse führen. Überspitzt formuliert lässt sich Berzbach so zusammenfassen: Man muss gar nicht so genau wissen, warum etwas funktioniert – sondern nur dass beziehungsweise wie gut etwas funktioniert.
Tatsächlich ist das eine der Kernfragen: Soll sich Werbewirkungsforschung endlich konsequenter und ernsthafter echter Grundlagenforschung widmen oder im Gegenteil Ballast abwerfen? In einem Interview mit Horizont sagte Berzbach: „Man kann endlos abstrakt über unterschiedliche Impact-Faktoren theoretisieren, aber all diese Erkenntnisse sind sehr schwer in der täglichen Planung zu operationalisieren.“
So sieht es Berzbach, tatsächlich scheint aber die Gegenbewegung aktuell über die größere Wucht zu verfügen. Ohne echte Grundlagenforschung, sagt etwa Boris Schramm von Group M, könne man keine Erkenntnisse generieren, „wie wir lesen und wie wir Bewegtbild rezipieren“. Dieses Wissen sei aber unverzichtbar für ein Marketing, das nicht nur Werbekontakte optimiert – sondern eben auch Werbewirkung. Schramms Chefin Karin Ross bringt das Dilemma so auf den Punkt: „Die Schwierigkeit in der Werbewirkungsforschung ist, sie zugleich grundlegender als auch in der Praxis valide anwendbar zu machen. Wir benötigen eine einheitliche Erklärbarkeit, wie und warum verschiedene Medienkontakte wirken, um daraus für die Mediaplanung die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Das ist aus unserer Sicht nur mit Grundlagenforschung möglich.“
5.
Und jetzt, was bleibt?
Die schlechte Nachricht ist: In der aktuellen Werbewirkungsforschung ist einiges zu beklagen, viele Ansätze der vergangenen Jahre drohen in eine Sackgasse zu führen. Das Positive: Das Bemühen, sich mit einer neuen Ernsthaftigkeit dem Thema zu widmen, ist mit Händen zu greifen. Und immer mehr Vertretern der Werbeindustrie ist bewusst, dass man dazu auch der Hilfe der klassischen Marktforschung und der wissenschaftlichen Kommunikationsforschung bedarf.