Der jungen Generation wird eine kritische Einstellung zum Auto nachgesagt. Doch die Umfragedaten aus der Kantar-Studie TGI Europa zeigen ein differenziertes Bild: Viele Junge sind von Autos fasziniert. Allerdings existiert ebenfalls eine skeptische Haltung – sie ist aber nicht auf die jungen Zielgruppen beschränkt, wie Deborah Kuhn und Stefan Bauer erläutern. Autoskepsis ist Teil des Zeitgeistes und ein internationales Phänomen.
Den Autoherstellern wird eine düstere Zukunft prophezeit. Die Zeiten, in denen ein eigener Wagen eine Selbstverständlichkeit war oder sogar ein Zeichen von Unabhängigkeit und Freiheit, seien vorbei. Millennials – also junge Menschen, die um die Jahrtausendwende geboren wurden und heute im Alter zwischen 15 und 25 Jahre sind – wird eine eher kritische Haltung zum Auto nachgesagt. Mobilität sei für sie nicht an ein Fahrzeug gebunden, sondern eher eine Frage der Kommunikationstechnologie. Ihnen sei das Smartphone wichtiger als das eigene Auto, so berichten viele Experten und Trendforscher auf einschlägigen Konferenzen oder in warnenden Presseartikeln. Autos seien für die jüngste Generation keine Statussymbole mehr und eher Relikte der „Old Economy“. Das würde zukünftig schlechte Geschäfte für die Automobilindustrie bedeuten.
Millennials sind nicht autofeindlich
Autokritische Einstellungen (Basis: Deutsche ab 15 Jahre)
Doch ist dieses Bild der jungen Generation überhaupt richtig? Schaut man sich die Einstellungen der jungen Deutschen im Alter von 15 bis 25 Jahre zu Autos und Mobilität an, sind kaum Anhaltspunkte für eine ausgeprägte autofeindliche Haltung zu finden. In der internationalen Markt-Media-Studie TGI Europa werden regelmäßig Verbraucher in vier Ländern befragt, darunter Deutschland. Die aktuellen deutschen Ergebnisse zeigen, dass sich die Millennials nur wenig von älteren Bevölkerungsgruppen unterscheiden.
Das Autorenteam
Stefan Bauer ist Sales Executive bei Kantar in Deutschland. Er ist seit 20 Jahren in der Medienforschung tätig. Seit 2006 leitet er die internationale Konsumentenstudie TGI und ist zudem Ansprechpartner für Werbebeobachtung in Deutschland.
Deborah Kuhn ist Key Account Manager TGI und Head of Marketing&Presales Qualification für den Medienbereich bei Kantar. Sie ist seit mehr als vier Jahren für Kantar und die internationale Konsumentenstudie TGI tätig.
Tatsächlich gibt es bei vielen jungen Deutschen eine deutliche Skepsis beim Thema Auto. Der Aussage, „Ich habe kein Interesse an dem Auto, und ich will so wenig wie möglich damit zu tun haben“, stimmen immerhin 21 Prozent der 15-bis 25-Jährigen zu. Allerdings befinden sie sich in guter Gesellschaft: Auch bei den Menschen, die älter als 25 Jahre sind, findet das Statement ähnliche Zustimmungswerte: 19 Prozent geben an, das sie der autokritischen Aussage sehr oder ziemlich zustimmen. Ein Drittel der Befragten würde gerne ohne ein Auto auskommen, wenn dies möglich wäre. Hier unterscheiden sich die Millennials nur wenig von den Älteren: Fast 37 Prozent stimmen der Aussage zu, bei den Über-25-Jährigen sind es immer noch 33 Prozent.
Die Studie: TGI Europa
In den vier wichtigsten europäischen Märkten Deutschland, GB, Frankreich und Spanien wird die TGI Europa mit einem nahezu identischen Fragebogen erhoben und liefert somit vergleichbare Daten. 60.000 Interviews werden jedes Jahr für die TGI Europa durchgeführt, repräsentativ für 214 Millionen Verbraucher ab 15 Jahren (in Spanien ab 14 Jahren). Dabei werden Informationen zu über 4.000 Marken und 500 Produktbereichen abgefragt. Um psychografische Profile und Personas zu erstellen, stehen über 350 Einstellungen, Motivations- und Lebensstil-Fragen zur Verfügung. Neben Konsum- und Zielgruppen-Daten wird auch die Mediennutzung detailliert erhoben, wodurch die TGI Europa für die nationale und internationale Mediaplanung eingesetzt werden kann. Die TGI Europa Studie erscheint zweimal im Jahr. Herausgeber ist Kantar, internationaler Spezialist für Medien- und Zielgruppen-Daten.
Was die vermutete autoskeptische Haltung der Millennials betrifft, so lässt sich bestenfalls eine schwache Tendenz ausmachen. Die zeigt sich zum Beispiel bei der Aussage „Wann immer ich zwischen Auto und Bahn wählen kann, wähle ich die Bahn“. Hier stimmen die Befragten bis 25 Jahre zu 29 Prozent zu, die Über-25-Jährigen nur zu knapp 22 Prozent. Gleichzeitig halten weniger Millennials ein Auto für unentbehrlich, um ihre Freizeit optimal zu gestalten – doch es sind immer noch 38 Prozent und damit nur sechs Prozent weniger, als in der Altersgruppe über 25 Jahre. Bei der Sorge über die Umweltbelastung durch Autos übertrumpfen die Älteren sogar die Millennials.
Junge Leute achten auf die Optik Autofreundliche Einstellungen (Basis: Deutsche ab 15 Jahre)
Wenn man aber einen Blick auf andere Aspekte des Autobesitzes wirft, gibt es durchaus Unterschiede zwischen Jung und Alt – aber sie zeigen eine ganz andere Richtung. Millennials achten mehr auf Design und Innovation bei Autos als die älteren Generationen. Sie sehen das Auto stärker als Ausdruck ihrer Persönlichkeit als die älteren Zielgruppen. Die Zahl der regelrechten Autofans ist dabei übrigens insgesamt eher klein: Nur elf Prozent der Über-25-Jährigen stimmen dem Satz zu „Ich bin ganz versessen auf mein Auto.“ Bei den Millennials sind es sogar ein bisschen mehr: 15 Prozent. Ähnlich überschaubar ist die Zahl derer, die ihr Auto als zweites Zuhause ansehen.
Autos sind auf dem Land wichtiger Einstellungen zum Auto im Stadt-Land-Vergleich (Basis: Deutsche ab 15 Jahre)
Einen Aspekt muss man allerdings noch in Betracht ziehen: Mobilität hat in Großstädten eine andere Bedeutung als in kleineren Städten und ländlichen Gegenden. Während in den Metropolen ein breites Angebot an öffentlichem Personen-Nahverkehr existiert, sind viele Menschen im ländlichen oder kleinstädtischen Umfeld stärker auf das Auto angewiesen. Ist die von Trendforschern beschworene „Autodämmerung“ vielleicht ein Ausdruck des urbanen Lebens? Auch hier sind die Zahlen für Deutschland aus der TGI Europa eindeutig: Befragte aus kleineren Orten sprechen dem Auto eine höhere Wichtigkeit zu. Doch selbst hier sind die Unterschiede zwischen Metropolen und Kleinstädten nur graduell: beispielsweise würden 29 Prozent der Kleinstädter gerne ohne Pkw auskommen, bei den Großstädtern sind es 38 Prozent und bei den 15- bis 25-Jährigen 42 Prozent.
Autoskepsis: Ein internationales Phänomen Autokritische Einstellungen in Europa (Basis: Befragte in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien ab 14/15 Jahren)
Die wahrgenommene Zurückhaltung der jungen Generation gegenüber dem Automobil zeigt sich in den Daten der TGI Europa kaum. Vielmehr sind viele junge Leute nach wie vor von schicken und neuen Autos fasziniert, so wie es schon bei vergangenen Generationen war. Die Autoskepsis ist kein besonderes Merkmal der Millennials, eher kann man sie als einen Aspekt des Zeitgeistes sehen – denn sie findet sich bei den älteren Bevölkerungsgruppen in ähnlichem Ausmaß und sogar in den Kleinstädten und auf dem Land, wo ohne Autos vieles nicht geht. Damit steht Deutschland übrigens nicht allein, in Frankreich, Spanien und Großbritannien findet man ein ähnliches Bild – wobei die Briten sich als etwas autofreundlicher präsentieren. Die Botschaft an die Automobilindustrie ist also keine Entwarnung: Die kritische Haltung zum Auto ist ein Teil des Zeitgeistes und nicht nur ein Phänomen in den jüngeren Geburtskohorten.