Werden in Zukunft autonome Fahrzeuge unser Straßenbild bestimmen? Wie ist es dann um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer bestellt? In einer Studie untersuchte das Spiegel Institut, welche Erwartungen und Anforderungen an eine Kommunikation mit autonom fahrenden PKWs auf Passantenseite bestehen, wenn es zu einer Begegnung im Parkhaus kommt. Philip Rigley, Senior Director, stellt die Ergebnisse vor.
Den Grundstein unserer Konzeptüberlegungen bildeten Beobachtungen in Parkhäusern. Zunächst fiel uns auf, dass es vorrangig implizite Informationen sind, die von allen Beteiligten erfasst und gedeutet werden. Auf diese Weise läuft die Begegnung von Autofahrern und Fußgängern heutzutage in aller Regel ohne Überraschungen und Störungen ab: Schritte, Türen schlagen, Motorstart und aufleuchtende Scheinwerfer kündigen einen Ausparkvorgang an. Ein langsamer werdendes und Abstand haltendes Fahrzeug verdeutlicht dem Passanten, dass der Fahrer ihn wahrnimmt. Durch Blickkontakt wird diese Annahme oftmals zusätzlich überprüft. Kommt es doch mal zu Störungen, werden diese meist schnell durch Kopfnicken oder Handzeichen aufgelöst. Erst wenn die Störung größer wird, steigt auch der Kommunikations- und Interaktionsbedarf.
Der Autor
Philip Rigley ist als Senior Director beim Spiegel Institut für User Experience Empowerment zuständig und unterstützt Unternehmen dabei, ihre Strategie und ihre Entwicklungsprozesse nutzerzentriert auszurichten.
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Neue Signale, die jeder versteht: Botschaften an alle Verkehrsteilnehmer
Im Gespräch mit den Passanten wurde deutlich, dass es bislang keine konkreten Erwartungen gibt, wie sich dieses implizite Kommunikationsverhalten ändern sollte, wenn ein Fahrzeug plötzlich fahrerlos und autonom durch das Parkhaus manövriert. Weitgehende Einigkeit herrschte nur darüber, dass neue Anzeigen oder Signale vermutlich erst erlernt werden müssten und dass das nicht immer gelingen dürfte.
Das Ziel unserer Konzeptüberlegung war daher ein Fahrzeugverhalten, das von allen umstehenden Verkehrsteilnehmern ohne Aufwand gedeutet werden kann – unabhängig von deren Alter, Vorerfahrung oder Seh- und Hörvermögen. Sehr schnell wurde deutlich, dass die Kommunikation eindeutiger wird, wenn sich die Botschaft des Fahrzeugs an alle Umstehenden richtet und nicht an eine bestimmte Person: „Ich bleibe stehen“ ist unmissverständlicher als „Du kannst gehen“, wenn mehr als eine Person um das Auto herumsteht.
Gratwanderung zwischen zurückhaltendem und bestimmtem Verhalten des Fahrzeugs
Auch die „charakterlichen“ Eigenschaften des autonomen Fahrzeugs spielten eine Rolle in unseren Konzeptüberlegungen: Auf der einen Seite benötigen wir ein zurückhaltendes, zuvorkommendes Verhalten des autonomen Fahrzeugs, um das Sicherheitsempfinden der anderen Verkehrsteilnehmer zu erhöhen. Auf der anderen Seite hilft ein bestimmteres Verhalten, um möglicherweise entstehende Konfliktsituation aktiv zu lösen und Patt-Situation auflösen zu können.
In der Konzeptphase verfolgten wir eine Vielzahl an Ansätzen, um den Passanten das Verhalten des Fahrzeugs zu verdeutlichen: grafische und textuelle Anzeigen am Fahrzeug, Projektionen von geplanten Manövern, relevante Abstände und bestehende Konflikte, holografische Repräsentationen und Anpassungen der Fahrmanöver. Ausgestattet mit diesem bunten Strauß an guten Konzeptideen stellte sich schnell die Frage: Wie überprüfen wir diese Vielzahl an neuartigen Kommunikationskonzepten (die noch nicht entwickelt wurden) mit einem autonom fahrenden Fahrzeug (das noch nicht alleine fährt) in einer alltäglichen Situation (die noch nicht erlebbar ist)?
Durch VR-Experience zu neuem Erkenntnisgewinn
Eine virtuelle Versuchsumgebung bot hier genau die Freiheiten und Möglichkeiten, die wir benötigten, um die verschiedenen Konzeptansätze bei unseren Teilnehmern schnell erlebbar zu machen. Hierzu bildeten wir ein bestehendes Parkhaus virtuell nach, platzierten darin ein autonom fahrendes Fahrzeug und implementierten die verschiedenen Anzeigekonzepte. Unsere Teilnehmer tauchten mit Hilfe der VR-Brille in die entworfene 3D-Welt ab und erlebten so die virtuelle Parkhaus-Szenerie.
Wichtig für den Erkenntnisgewinn und zugleich eine Herausforderung für die Umsetzung war dabei die Interaktivität des Versuchsablaufs: Da die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Passant zu großen Teilen aus den impliziten Signalen des jeweiligen Bewegungsverhaltens besteht, wollten wir auch die virtuelle Szenerie interaktiv gestalten. Die Teilnehmer konnten sich mit der VR-Brille bewegen und so ihre Position in der virtuellen Welt bestimmen. Standen sie im geplanten Fahrweg des Fahrzeugs, fuhr dieses um sie herum oder wartete, bis der Fahrweg wieder frei war.
Implizite Signale bisher ausreichend
Der hohe Aufwand dieser Studie hat sich gelohnt. Wir konnten unseren Teilnehmern durch die virtuelle Versuchsumgebung einen sehr guten und intensiven Eindruck dieser zukünftigen Szenerie bieten und in kurzer Zeit sehr viele Konzeptansätze überprüfen. Das Fazit der Studie: Weniger ist wie so oft auch in diesem Fall mehr. Der Kommunikationsbedarf ist aus Sicht der Passanten nicht sehr hoch und wird durch die impliziten Signale des Bewegungsverhaltens des Fahrzeugs bereits abgedeckt. Neuartige Anzeigen oder Signale stoßen schnell an die Grenze der Selbsterklärbarkeit – und die ist in den hier betrachteten kurzen Ad-hoc-Begegnungen entscheidend.
Autonome Fahrzeuge sollen sich zu erkennen geben
Begrüßt wurde von vielen Teilnehmern eine Kennzeichnung des autonom fahrenden Fahrzeugs, sei es als optische Anzeige, akustisches Signal oder auch nur über eine spezielle Gestaltung des Fahrzeugs. Dies würde nach ihrer Einschätzung dazu führen, die Interaktion mit diesem neuartigen Fahrzeug bewusster und aufmerksamer zu gestalten. Und sich über die nächste Begegnung zu freuen. Wie sich diese Typisierung der autonomen PKWs in Hinblick auf das Sicherheitsbedürfnis aller Teilnehmer des Straßenverkehrs dann in der Praxis tatsächlich umsetzen lässt, ist eine andere Frage. Und mit dieser Frage wird sich das Spiegel Institut auch weiterhin beschäftigen.