Lebensmittel einkaufen ist Routine. Es ist Teil des Alltags und passiert meist wenig reflektiert. Beim Einkaufen laufen wir quasi auf Autopilot. Das zu untersuchen, ist eine forscherische Herausforderung. Was passiert im Rahmen dieser Routinen? Und beginnt das Einkaufen nicht schon zu Hause und nicht erst im Geschäft? Fridtjof Nicklas von Point Blank setzt auf mobile Ethnographie.
Doch zuerst sollte die methodische Frage etwas abstrakter formuliert sein: Wie kann man authentische Einblicke in die alltäglichen und habitualisierten Verhaltensweisen von Konsumenten erhalten, ohne sie dabei zu sehr zu beeinflussen? Vor genau dieser methodischen Herausforderung standen wir auch bei einer Forschung für einen großen deutschen Lebensmittelhändler.
Die Aufgabe: Wie gehen Konsumenten im digitalen Zeitalter bei ihrem Einkauf vor? Welche Einflüsse und Hilfsmittel spielen dabei eine Rolle, von der (digitalen) Einkaufsliste, über Sprachassistenten bis hin zu Kochbüchern, Ernährungshinweisen, Rezeptvorschlägen oder Angebotsprospekten. Und welche Bedürfnisse werden letztendlich durch diese Vorgehensweisen erfüllt?
Fridtjof Nicklas
ist Senior Research Consultant bei Point Blank. Zuvor war er sechs Jahre in der quantitativen und qualitativen POS Marktforschung bei der GIM beschäftigt. Bei Point Blank ist er seit zwei Jahren verantwortlich für die Durchführung von strategischen Innovationsprozessen, eingebettet in qualitative Marktforschung. Hauptsächliche Tätigkeitsfelder sind Consumer Behavior & Patterns: Food & Beverage, Consumer Electronics, Mobility, Digital Services.
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Ziel der Studie war es, unterschiedliche Typen herauszuarbeiten und, darauf aufbauend, Rückschlüsse für eine unterstützende und aktivierende Angebotskommunikation abzuleiten, aber auch relevante Insights für die Entwicklung digitaler Support-Angebote und Services zu identifizieren, um für Kunden das Einkaufen im Supermarkt und die Vorbereitung des Einkaufes noch bedarfsorientierter zu gestalten.
Mit mobiler Ethnographie dem Kunden ins reale Leben folgen
Mobile Ethnographie erschien uns die geeignetste und forschungseffizienteste Lösung zu sein, um dem Konsumenten bei dieser Fragestellung näher zu kommen und reale Einblicke in seine Einkaufsgewohnheiten zu erlangen. Heutzutage kann man davon ausgehen, dass ein Großteil der Konsumenten ein Smartphone besitzt und es auch im Alltag in unterschiedlichen Situationen einsetzt. Durch Instagram und Co. sind wir es mittlerweile gewohnt, Momente unseres Alltags per Foto und Video fest zu halten und zu kommentieren. Von diesen modernen (selbst-)dokumentarischen Kulturtechniken kann auch die Marktforschung profitieren. Deshalb sahen wir in der Methode der mobilen Ethnographie die Möglichkeit, möglichst offene, unbeeinflusste und direkte Einblicke in alltägliches Einkaufsverhalten zu erhalten.
Studiendesign
Um einen soziodemographisch breiten Zugang zu unterschiedlichen Haushalten zu bekommen, wurden für die Studie 30 Teilnehmer in vier Samplepoints rekrutiert, die unterschiedliche Strukturen und Einkaufsgegebenheiten vorweisen konnten. Wir sind davon ausgegangen, dass habitualisierte Einkaufsprozesse an individuelle Lebensentwürfe und -situationen gekoppelt sind. Dementsprechend haben wir Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren und in unterschiedliche Lebensphasen rekrutiert: Singles, In Partnerschaft Lebende, Familien und Senioren.
Die Hauptaufgabe für alle Teilnehmer bestand darin, uns für 14 Tage an ihrer ‚Welt des Einkaufens‘ und der damit verbundenen Einkaufsvorbereitungen teilnehmen zu lassen. So wurden wir eine Art virtueller Gast und hatten die Möglichkeit, im digitalen Close-Up den Alltag mit zu erleben. Wir schauten 30 Menschen mit unterschiedlichen Gewohnheiten und Handlungsmustern über die Schulter, um zu verstehen, wie sie ihre Planung für den Einkauf strukturieren.
Für uns Researcher war es eine faszinierende Erfahrung, zwei Wochen lang in die Welt der Alltagsprozesse einzutauchen und viele kleine Dinge zu erleben, die im unmittelbaren Moment schwer rationalisierbar sind, die aber alle im Zusammenhang und Prozess der Vorgehensweisen einen Sinn ergeben. In diesem Meer aus unterschiedlichen Handlungen ergaben sich interessante Schnittmengen und Verhaltensmuster, wie jeder Shopper letztendlich an sein Ziel kommt und vor allem damit zufrieden ist. Denn eine erste Erkenntnis kristallisierte sich bereits früh heraus: Jeder ist mit seinem eigenen Einkaufsverhalten subjektiv zufrieden. Das liegt zum einen daran, dass man beim Einkaufen praktisch zum Erfolg verdammt ist – man braucht schlichtweg Lebensmittel. Also geht man größeren Herausforderungen aus dem Weg, arrangiert sich und entwickelt seine eigenen Work-Arounds um ans Ziel zu kommen. Zum anderen vermeiden wir gerne kognitive Dissonanzen – vor allem, wenn es um alltägliche Routinen geht. Spannender als die generelle Zufriedenheit mit dem eigenen Einkaufsverhalten sind jedoch die Unterschiede, die divergierenden Vorgehensweisen, Einkaufsstile und Motive.
Methodisch hat die Studie gezeigt, dass die Entscheidung, einen Moderator auszuklammern und den Weg offener mobiler (Selbst-) Ethnographie zu gehen, richtig war. Mit einer passenden Konzeption und richtigen Anleitung kann mobile Ethnographie gut eingesetzt werden, um alltägliche individuelle Verhaltensweisen und Routinen transparent zu machen und zum Sprechen zu bringen. Sie ist ein geeignetes Mittel, um implizite, versteckte Dimensionen und Aspekte habitualisierter Prozesse greifbar und entscheidende ‚feine Unterschiede‘ nachvollziehbar zu machen.