Deutsche sehen laut GfK pro Tag durchschnittlich 213 Minuten fern. Aber das wird immer weniger. Für TV-Werbung ist das ein Problem. Um näher an die Zuschauenden und Konsumierenden heranzukommen, wurde Adressable TV entwickelt. Lynn Knappheide, Projektmanagerin bei der Seven.One Entertainment Group München und Tobias Keil Partner beim Institut The Insight Zoo und Professor für Werbepsychologie an der TH Aschaffenburg haben untersucht, unter welchen Bedingungen die neue Werbeform akzeptiert wird.
Der TV-Konsum in Deutschland ist rückläufig. Insbesondere jüngere Generationen wenden sich vom linearen Fernsehen ab und lassen sich durch TV-Werbung kaum noch erreichen. Im Jahr 2021 schauten die deutschen 14- bis 19-Jährigen durchschnittlich gerade einmal 37 Minuten fern. Bei den 20- bis 29-Jährigen waren es noch 75 Minuten. Die Folge: Die Werbeumsätze im analogen TV sinken, während digitale Werbeformate etwa auf Streaming-Plattformen rasant zunehmen.
Addressable TV versucht die Umsätze im analogen TV zu halten und die Netto-Reichweite und Durchschnittskontakte von Werbemaßnahmen im linearen Fernsehen zu erhöhen sowie die Attraktivität von Fernsehwerbung für Werbetreibende zu steigern. Doch erfährt diese neue Technologie auch eine ausreichende Akzeptanz bei den Zuschauenden?
Was ist Addressable TV (ATV)?
12,3 Millionen Geräte können in Deutschland mit Addressable TV (ATV) erreicht werden. Wer ein Smart-TV mit dem HbbTV-Standard hat und die entsprechenden Nutzungsbedingungen bestätigt, kann nicht nur personalisiertes Programm, sondern auch auf die Nutzenden zugeschnittene Werbung ausgespielt bekommen. Die individuellen Inhalte werden dabei über den analogen Werbeblock des linearen Programm gelegt oder in das Programm integriert.
Die Werbevermarkter haben spezielle Formate für ATV entwickelt. Bei Seven.One Media ist das am häufigsten eingesetzten ATV-Werbeprodukten etwa der „Switch In XXL“, ein L-förmiges Banner am Bildschirmrand mit der personalisierten Werbebotschaft. Mit Hilfe der farbigen Tasten der Fernbedienung können Zuschauende weitere Informationen zu den beworbenen Inhalten auf interaktiven Microsites abrufen.
Durch den Einsatz unterschiedlicher Targeting-Technologien - Audience-Targeting greift etwa auf die Informationen des AGF/GfK-Panel zu -, können Alter oder Geschlecht der Zuschauenden identifiziert werden. Mittels Cross-Device-Targeting und der IP-Adresse eines Endgerätes wird eine geräteübergreifende Zielgruppenansprache auf Haushalts-Ebene ermöglicht. Auf dieser Basis lassen sich Personas und Verticals bilden, bei denen zwischen Kategorien wie Trendsettern, Heimwerkern oder Romantikern unterschieden wird, um passende Segmente oder weiterführende Webseiten zu erstellen. Weitere Varianten punktgenauer Ansprachen können IP-basierte Geo- und Regio-Targeting-Ansätze umfassen.
Aktuelle Marktforschungsstudien prognostizieren, dass zukünftig 30 bis 50 Prozent der europäischen Fernsehwerbeausgaben auf ATV entfallen werden. Aber knapp zwei Drittel der Deutschen ab 18 Jahren nehmen Werbung im Privatfernsehen als störend oder sehr störend wahr. Unabhängig vom Alter wird Fernsehwerbung mit Zapping aus dem Weg gegangen. Mit personalisierter Werbung, wie sie bereits aus dem Internet bekannt ist, fühlen sich die meisten Befragten sogar beobachtet und noch unwohler. Die ausgeprägte Furcht, dass die eigenen Daten in die falschen Hände gelangen und missbraucht werden können, deutet auf eine eher geringe Akzeptanz der ATV-Produkte hin.
Andererseits kommt eine aktuelle Studie des BDW zu dem Ergebnis, dass sich die Generation der 14- bis 25-Jährigen nicht nur gerne mit neuen Technologien auseinandersetzt, sondern auch gegenüber personalisierter Werbung eine deutlich höhere Offenheit aufweist. Männer sind insgesamt gegenüber personalisierter Werbung aufgeschlossener als Frauen.
Das Autorenteam
Lynn Knappheide ist Projektmanagerin bei der Seven.One Entertainment Group München M.Sc. Wirtschaftspsychologie.
Prof. Dr. Tobias Keil (MBA) ist Partner bei The Insight Zoo Frankfurt/Main, Professur für Werbepsychologie TH Aschaffenburg.
Um die Akzeptanz von ATV-Produkten besser zu verstehen, haben wir deutschlandweit 155 Personen zwischen 18 und 68 Jahren online befragt. Die Grundgesamtheit waren Personen ab 18 Jahren aus Deutschland, die im Besitz eines TV-fähigen Empfangsgerät sind über das ATV ausgespielt werden kann. Etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden war weiblich, knapp jede oder jeder Zweite verfügte über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss und das durchschnittliche monatliche Netto-Einkommen lag zwischen 2000 bis 3000 Euro. In der Stichprobe lag eine durchschnittliche Akzeptanz für personalisierte Fernsehwerbung vor, die psychologische Reaktanz und Kaufimpulsivität hatte ebenfalls eine durchschnittliche Ausprägung. Die Technikbereitschaft der Teilnehmenden war hingegen überdurchschnittlich ausgeprägt. Im Rahmen der Technikbereitschaft wird beispielsweise erfragt, ob eine Abneigung oder Neugier gegenüber neuen Technologien und ein Wunsch diese auszuprobieren besteht und ob die Person überzeugt ist, diese bedienen und damit umgehen zu können oder sich eher überfordert fühlt.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen unter anderem, dass überraschenderweise weder das Alter noch das Geschlecht einen signifikanten Einfluss auf die Akzeptanz von ATV haben. Weniger überraschend lässt sich feststellen, dass Menschen mit einer hohen psychologischen Reaktanz stark negativ auf personalisierte Werbeinhalte reagieren. Signifikant positiv wirken sich auf die Akzeptanz von Addressable TV hingegen sowohl eine hohe Technikbereitschaft als auch eine hohe Kaufimpulsivität aus.
Mit anderen Worten: Menschen, die eine größere Offenheit gegenüber neuen Technologien aufweisen, weil sie diese in gleicher oder ähnlicher Form bereits aus anderen Bereichen kennen, ihre Nutzung gewohnt sind oder glauben, die Technologie einschätzen und kontrollieren zu können, sehen eher Chancen, Vorteile und Möglichkeiten in der Ausspielung von personalisierter Fernsehwerbung. Ebenso verhält es sich bei Personen, die ein ausgeprägtes Konsuminteresse haben. Wird die Technologie hingegen als eine Black Box wahrgenommen, deren Absicht die Manipulation der Nutzenden zu sein scheint, steigt die Ablehnung. Kann etwa bei einem angeschlossenen Smart TV nach der Zustimmung zu den Datenschutzrichtlinien keine aktive Entscheidung für oder gegen personalisierte Werbeinhalte getroffen werden, nimmt die negative Einstellung gegenüber ATV zu.
Aus der vorliegenden Studie lassen sich mehrere Handlungsempfehlungen ableiten, wie die Akzeptanz von Addressable TV gesteigert werden kann. Zuvorderst die folgenden zwei:
1. Es sollte über die Werbeform transparent aufgeklärt und den Zuschauenden signalisiert werden, wann eine Ausspielung personalisierter Inhalte stattfindet. Dies kann auch zu einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber den beworbenen Inhalten führen und insbesondere für kaufimpulsive Menschen die Attraktivität der beworbenen Produkte erhöhen. Durch die Anpassung von ATV an die individuellen Bedürfnisse der Konsumentinnen und Konsumenten, erhöhen sich die wahrgenommenen Freiheitsgerade. Wenn beispielsweise Fernsehkonsumentinnen und -konsumenten HbbTV Optionen wie Mediatheken nutzen, aber personalisierte Werbung abwählen können, werden einige Zuschauende zwar nicht mehr mit ATV erreichbar sein, die Akzeptanz von Addressable TV insgesamt wird jedoch steigen.
2. Da vor allem technikaffine Menschen eine hohe Akzeptanz gegenüber ATV aufweisen, sollten die technischen Barrieren zum Empfangen der Werbeform möglichst niedrig sein. Eine breite Informationskampagne zu den Vorteilen und Möglichkeiten von HbbTV kann dazu beitragen, dass mehr Zuschauende die Internetfähigkeit ihres Fernsehgerätes nutzen.
Werden sowohl die Einflüsse der werbetreibenden Kundschaft der Sendergruppen als auch die Wünsche der Zuschauerinnen und Zuschauer nach einer höheren Transparenz und Entscheidungsmacht in der Produktentwicklung berücksichtigt, kann Addressable TV die Lücke zwischen der personalisierten Online-Werbung im Internet und der linearen Fernsehwerbung weiter schließen.