Key-Note auf der GOR22

"Die Schlagzeilen von übermorgen vermeiden"

Claudia Wagner
privat
Claudia Wagner
Das Vorausdenken und Vermeiden von Bias beim Einsatz von Algorithmen ist eine der Forderungen, die Claudia Wagner, Professorin für Angewandte Computational Social Sciences an der RWTH Aachen, an die Branche stellt. Auf der GOR wird sie in einer Keynote zeigen, dass Fragen der Validität, Zuverlässigkeit und Ethik von Algorithmen zentral sind.
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Frau Wagner, Sie sind Professorin für Angewandte Computational Social Sciences an der RWTH Aachen. Was ist unter Computer-Sozialwissenschaften zu verstehen? Computational Social Science ist ein interdisziplinäres Forschungsfeld in dem soziale und sozio-technische Phänomene mit der Hilfe von computerbasierten Methoden untersucht werden. Zum Beispiel werden Sensoren und Software genutzt um Spuren von menschlichem Verhalten aufzuzeichnen, mit anderen Datenquellen - etwa Umfragedaten - zu verknüpfen und mit statistischen Methoden, Textanalyseverfahren und Methoden des Maschinellen Lernens aufzubereiten und zu analysieren.

Claudia Wagner

ist Professorin (W3) für Angewandte Computational Social Sciences an der RWTH Aachen University und 
Leiterin der Abteilung Computational Social Science bei GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.

Sie beschäftigen sich auch mit Algorithmen. Welche unerwünschten Effekte kommen bei der Anwendung von Algorithmen vor? Die Bandbreite von unerwünschten Effekten ist groß. An erster Stelle muss hier die algorithmische Diskriminierung, Benachteiligung oder Stereotypisierung von Gruppen etwa  auf Grund von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Herkunft, Behinderung, Alter oder sexueller Präferenzen angeführt werden. Aber auch fehlerhafte Algorithmen, die falsche Anwendung von Algorithmen und eine fehlerhafte Interpretation von algorithmischen Ergebnissen in der Wissenschaft und Wirtschaft können zu unerwünschten Effekten führen. Zum Beispiel zur Zensur von Inhalten die fälschlicherweise als diskriminierend eingestuft werden.

Wie kann man diesen Bias auf die Schliche kommen?Hier gibt es unterschiedliche Möglichen, wie die Auditierung von Algorithmen, Benutzerbefragungen, analytische Studien zum Verhalten von Algorithmen, Simulationen oder auch ethnographische Studien die den sozio-technischen Kontext, in dem Algorithmen entwickelt und eingesetzt werden, beleuchten.

Finden diese Effekte genug Beachtung von offizieller Seite? Was wäre nötig? Beachtung findet das Thema immer dann, wenn unerwünschte Effekte bekannte werden. Es wäre wünschenswert, wenn wir dem Thema auch Abseits von Krisen Beachtung schenken. Die Entwicklung von Algorithmen schreitet rasant voran, Algorithmen und die Datenströme die sie nutzen werden immer dynamischer, anpassungsfähiger und intransparenter. Deshalb müssen wir Vorausdenken und Verfahren und Standards entwickeln, die es uns ermöglichen die Schlagzeilen von übermorgen zu vermeiden und die Entwicklung und den Einsatz von Algorithmen zu regulieren, ohne das Innovationspotential von Unternehmen zu gefährden.

 Wie sollten sich Unternehmen sich bei der Anwendung von Algorithmen verhalten? Es wäre wünschenswert, wenn sich Unternehmen nicht nur mit den klassischen Kenngrößen, die durch einen Algorithmus optimiert werden sollen  auseinandersetzen - also etwa die Zeit, die Nutzer auf einer Webseite verbringen, die Anzahl der Klicks auf Werbung oder die Zeitersparnis der Servicemitarbeiter in der Bearbeitung von Anfragen -, sondern auch mit möglichen unerwünschten Effekten. Hierfür ist es unter anderem notwendig sich regelmäßig mit den unterschiedlichen Nutzergruppen kritisch auseinanderzusetzen und diese Erkenntnisse in die Entwicklung und Anwendung von Algorithmen einfließen zu lassen. Wenn Algorithmen in sehr sensitiven Anwendungsfeldern, wie etwa dem Gesundheitswesen, genutzt werden, ist es ratsam Ethikerinnen oder Ethiker von Anfang an mit einzubeziehen.
General Online Research Conference
GOR22
DGOF
Die GOR ist die Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Online Forschung DGOF. Sie findet in diesem Jahr wieder live statt und zwar am 
7. bis 9. September 2022 in Zusammenarbeit mit und an der HTW Berlin in Berlin.
Zur Anmeldung und zum Programm 
Sie halten eine Keynote auf der GOR in Berlin. Auf was können sich die Besucher freuen? Ich plane das Thema Algorithmen aus zwei Perspektiven zu beleuchten. Einerseits Algorithmen als Werkzeug für die computer-basierten Sozialwissenschaften und andererseits Algorithmen als Teil von sozio-technischen Systemen. Mein Vortrag soll aufzeigen, dass Fragen der Validität, Zuverlässigkeit und Ethik von Algorithmen für beiden Bereiche zentral sind.

Vielen Dank für das Interview. Wir freuen uns auf den Vortrag auf der GOR.

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