Der International Market Research Day wird inzwischen die ganze erste Mai-Woche begangen. Vier Marktforschungsverbände aus dem deutschsprachigen Raum (ADM, DGOF, VMÖ, Swiss Insights) diskutierten über Nachhaltigkeit und die Notwendigkeit, die Ziele der Vereinten Nationen nicht nur selbst zu befolgen, sondern ihnen auch zu Nachdruck zu verhelfen. Vielleicht geht es auch um die Erweiterung der Standesregeln.
Bei dem Online-Treffen waren über 50 Forscherinnen und Forscher aus Instituten und Unternehmen mit dabei und es wurde intensiv diskutiert. Zuvor brachten drei Impulsvorträge den nötigen Input: Sebastian Götte, ADM-Vorstand und Geschäftsführer von Aproxima legte die Grundlagen zu den Sustainable Development Goals und stellte die notwendigen Fragen: Was bedeutet das für unsere Branche? Wie wollen wir wirtschaften? Wofür wirtschaften wir? Im Laufe des Abends ist wohl noch die Frage dazu gekommen: Wann fangen wir endlich an?
Doch zunächst kam der Input von Ines Imdahl, qualitativer Forscherin vom
Rheingold Salon, die sich kürzlich in ihrem Buch „
Warum Frauen die Welt retten werden“ mit den Notwendigkeiten nachhaltigem Verhaltens und den Widersprüchen im menschlichen Handeln auseinandergesetzt hat. Sie macht deutlich: Solange das Lustprinzip für nachhaltiges Handeln fehlt, wird sich nichts ändern. Nachhaltigkeit werde immer mit Verzicht in Zusammenhang gebracht. Ihre Beobachtung aus Gesprächen mit Unternehmenslenkern: Je visionärer diese Leute denken, desto eher nehmen sie das Wort „Regulierung“ in den Mund. Beispiel Plastiktüten. In zahlreichen Umfragen haben sich Konsumentinnen und Konsumenten gegen einen Obolus für Tüten im Handel gewandt. Jetzt, nach der Einführung dieser Abgabe, finden das 70 bis 80 Prozent der Befragten gut.
Stephan Teuber, Geschäftsführer der
GIM, findet Forschung und Nachhaltigkeit sei ein „perfect match“. Durch Forschung zum Thema und zu der Einstellungen der Verbraucher könne man das Thema virulent halten. Die GIM hat einen Nachhaltigkeitsatlas für 15 Branchen erstellt. Aber natürlich müssen sich Marktforschungsunternehmen auch selbst fit machen. Dabei geht es nicht nur um ökologisches Wirtschaften, es gehöre auch Social Corporate Responsibility dazu – faires Handeln gegenüber Mitarbeitenden und Teilnehmenden von Befragungen. Wichtiger Punkt: Eine nachhaltige Unternehmenskultur schafft die Voraussetzung.
In der Diskussion bringen sich zudem Alice Flammant (Magenta) und Robert Sobotka (
Telemark Marketing) aus Österreich und Michael Buess (Demoscope) aus der Schweiz mit ein.
Während der Impact, den Marktforschungs-Institute durch ökologische Unternehmensführung – Reiseverhalten, Homeoffice, Heizen, Dämmen etc. – leisten können, allgemein als notwendig aber doch eher gering eingeschätzt wurde, wurde die Chance, Einfluss auf die Auftraggeber auszuüben, kontrovers diskutiert. Sind wir nur Datenlieferanten oder stehen wir in der Verantwortung das Mindset zu ändern? Wie weit kann und will ich gehen? Lehne ich Aufträge ab, wenn sie dem Nachhaltigkeitsziel widersprechen?
Hier kommt die Frage nach der Neutralität der Wissenschaft auf und die Erwiderung: Sind wir wirklich Wissenschaftler? Ein Großteil der Institute sieht sich als Berater ihrer Kunden und könnte / sollte diesen Einfluss nutzen. „Jeder Tropfen höhlt den Stein.“
In der sozialen Verantwortung sieht Robert Sobotka einen größeren Hebel: Indem man bei Interviewern auf Diversität in jeder Beziehung achtet und Teilnehmenden an Befragungen eine Spende anstatt eines kleinen Geldbetrages als Incentive anbietet.
Bettina Klumpe (ADM) weist auf die Notwendigkeit hin, dass nicht nur im CATI-Studio, sondern vor allem auch in den Chefsesseln Diversität herrschen müsse. Und da gebe es vor allem bei weiblichen Führungskräften in der Branche eindeutig ein Nachholbedarf. Das bestätigen einige Vertreter in der runde, zumindest aus Deutschland und der Schweiz.
Zum Ende der Diskussion macht Otto Hellwig (DGOF) noch einen ganz praktischen Vorschlag: Die Standesregeln der Marktforschung, die sich mit Moral und Ethik auseinandersetzen, um den Punkt Nachhaltigkeit zu ergänzen. Der Vorschlag findet Anerkennung. Und: Der Rat der Marktforschung könnte auch Anlaufstelle für nicht nachhaltiges Verhalten in der Marktforschung werden. Da müssen die Standesregeln wohl erneut überarbeitet werden.