Einkaufsverhalten in Krisenzeiten

Wie wir aktuell einkaufen und was unsere Kaufentscheidung beeinflusst

Aktionsware ist bereits ausverkauft - hier im Rewe
IMAGO / Manfred Segerer
Aktionsware ist bereits ausverkauft - hier im Rewe
Es gibt viele verschiedene Einflussfaktoren, die uns dazu bewegen, dass wir schlussendlich ein Produkt auswählen bzw. kaufen, und hier ‚tickt‘ jeder von uns ein wenig anders. Aber gibt es – vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Situation – generalisierbare Muster bei unseren Kaufentscheidungen? Wie gehen wir mit den aktuellen Preisentwicklungen aufgrund von Inflation und drohender Regression um? Lassen sich Strategien beobachten, mit denen wir diesen Problemfeldern entgegentreten? Und was ist mit anderen Einflussfaktoren ganz abseits von Preis, Rabatten und Sonderaktionen? Was triggert uns noch? Skopos hat seine qualitative Community Skopos Explorers befragt und Anja Kreutzer stellt die Erkenntnisse vor.
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Das Statistische Bundesamt veröffentlichte vor ein paar Tagen eine Pressemeldung mit den aktuellen Zahlen in Bezug auf Verbraucherindizes, Verteuerungs- und Inflationsraten. Und sie belegen nur das, was wir alle erwartet haben: besorgniserregende Entwicklungen, die – im Vergleich zum Jahr 2021 – zu einer Rekord-Jahresteuerungsrate von 7,9 Prozent im Jahr 2022 führen. Im Oktober 2022 lag die monatliche Inflationsrate sogar bei 10,4 Prozent. Auf einem derart hohen Niveau befand sich die Inflationsrate zuletzt im Herbst 1981, nachdem der erste Golfkrieg zu steigenden Mineralölpreisen geführt hatte.

Auslöser für die aktuellen Dauerhochs sind krisen- und kriegsbedingte Sondereffekte, wie Lieferengpässe und deutliche Preisanstiege. Insbesondere die Energiekosten mit einer Teuerungsrate verglichen mit 2021 von 34,7 Prozent und Nahrungsmittel mit 13,4 Prozent, treiben die Inflationsraten nach oben. Und höhere Inflationsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern.
Statistisches Bundesamt
Kein Wunder also, dass wir umdenken müssen – jeder für sich und für seine eigene Lebenssituation. Da die aktuellen Entwicklungen zu einem stark veränderten Preisgefüge bei Nahrungsmitteln geführt haben, betrifft dies auch den Einkauf von Lebensmitteln.

Insgesamt 124 Teilnehmende haben mit uns ihre Gedanken, Sorgen, Nöte und Strategien geteilt und uns Einsicht in ihr aktuelles Kaufverhalten gewährt. Dabei lassen sich sechs Fakten ableiten, die das Kaufverhalten beim Lebensmittelkauf vor dem Hintergrund der aktuellen Situation gut beschreiben:

Fakt 1: Einkäufe werden zunehmend systematisch

Die Mehrheit der Befragten lebt eine systematische Einkaufsroutine. Häufig werden dabei ein bis zwei große Einkäufe pro Woche getätigt, manchmal ergänzt durch kleinere Einkäufe, die sich vor allem auf die Frische-Kategorie fokussieren (zum Beispiel Obst und Gemüse).

In Vorbereitung auf diese Einkäufe werden in den meisten Fällen Einkaufslisten erstellt und die benötigten Produkte notiert. Die aktuellen Handzettel, die am Wochenende verteilt werden und die die Sonderangebote für die anstehende Woche ausweisen, werden bei der Einkaufsplanung berücksichtigt und zu Hilfe genommen. Häufig werden die entsprechenden Einkäufe auch um interessante Angebote „herumgeplant“. Manche kaufen sogar in höherer Frequenz und in verschiedenen Geschäften ein, um Aktionsangebote möglichst gut auszunutzen.
Die Autorin

Anja Kreutzer
Skopos
Anja Kreutzer ist seit 2005 in der Marktforschung tätig. Sie startete bei Produkt+Markt in der Pharma-Sparte mit nationalen und internationalen Studien aus dem Rx- und OTC-Bereich. Nach einem Wechsel zu Dialego im Jahre 2011 erweiterte sie ihr Portfolio um Erfahrungen aus dem FMCG-Bereich. Seit 2019 ist sie bei Skopos tätig und beschäftigt sich in ihrer aktuellen Rolle als Director Research & Development mit der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen und Tools, sowie mit der strategischen Implementierung und Umsetzung.


Dieser Trend der systematischen Einkaufsplanung zeichnet sich schon länger ab, gewinnt aber derzeit zunehmend an Bedeutung. Zudem wird deutlich, dass sich der Anteil derer, die mehrmals pro Woche kleinere Einkäufe bzw. Spontan-Käufe tätigen, aktuell verringert bzw. sich bereits auf einem geringen Niveau befindet. Für den „kleinen Einkauf“ spricht jedoch aus Sicht der Konsumierenden, dass man die eingekauften Produkte direkt konsumiert und somit weniger Lebensmittel verschwendet bzw. dass man die Möglichkeit hat, spontan das einzukaufen, auf das man Lust hat.

Fakt 2: Orientierung am POS ist bereits während der Planung wichtig

Die Orientierung am Point-of-Sale ist für die Teilnehmenden ein sehr relevanter Faktor. Einkäufe werden häufig in den gleichen Geschäften getätigt, dadurch fällt die Orientierung im Supermarkt recht leicht. Darüber hinaus werden – nicht zuletzt aufgrund der vorangegangenen Planungen – regelmäßig dieselben Produkte als Basis-Produkte gekauft. Und die meisten wissen genau, wo diese zu finden sind. Manche sortieren bereits bei der Planung ihre Einkaufsliste gedanklich nach der Ordnung der Produkte im Supermarkt oder es werden alle Regalreihen nacheinander abgelaufen.

Daher ist eine einfache Orientierung im Markt für viele sehr wichtig – wird ein Geschäft umgeräumt, reagieren manche ziemlich verärgert.

Auch am Regal finden sich die meisten gut zurecht – besonders wenn es um Produkte geht, die regelmäßig eingekauft werden. Wird die Entscheidung für ein bestimmtes Produkt erst am Regal getroffen, so orientieren sich viele an den Preisschildern (auch an den Preisangaben pro 100 g) und an Hinweisschildern an den Regalen (zum Beispiel auf Aktionspreise oder Neuheiten).

Fakt 3: Eigene Bedürfnisse werden aufgrund der Preissteigerungen hinten an gestellt

Der Preis ist vor dem Hintergrund der aktuellen Situation DAS entscheidende Kaufkriterium für die meisten. Ein Teil der Konsumierenden ist sogar verärgert und fühlt sich „abgezockt“, weil sie glauben, dass einige Hersteller oder der Handel die Situation ausnutzen, um strategische Preissteigerungen durchzusetzen. Insgesamt wird daher eine große Sorge im Hinblick auf zukünftige Preisentwicklungen geäußert.

Die Preissteigerungen werden dabei als echte Belastung erlebt und viele entwickeln Strategien, um sie zu kompensieren. Der Großteil kauft bestimmte Artikel nur noch, wenn diese in einer Rabatt-Aktion verfügbar sind. Dabei werden häufig größere Mengen als sonst gekauft, um sich einen Vorrat zuzulegen. Coupons oder Gratis-Testen-Aktionen, die über den Handel verteilt werden oder am Regal verfügbar sind, werden auch gerne genutzt. Zudem wird der Speiseplan an aktuelle Aktionsprodukte angepasst oder aber es wird zu Produkten gegriffen, die aufgrund des anstehenden Verfalldatums rabattiert bzw. generell als zweite Wahl eingestuft wurden. 
Skopos

Fakt 4: Systematisch und impulsiv, das eine schließt das andere nicht aus

Obwohl viele einen Einkaufszettel nutzen, halten sich die wenigsten strikt an die Liste. Ein Großteil des Einkaufs besteht zwar aus Produkten, die – vor allem aufgrund guter Erfahrungen – immer wieder gekauft werden. Die meisten schauen sich aber auch gerne nach weiteren Produkten um und tätigen immer noch Impulskäufe. Dabei machen besonders Produktneuheiten und Aktionsprodukte neugierig und regen zum Ausprobieren an. Teils legt der Einkaufszettel auch nur die benötigten Produktkategorien fest und die genauen Produkte werden erst am Regal ausgewählt.

Das bedeutet, trotz des hohen Preisdrucks und der daraus resultierenden strukturierten Vorgehensweise, sind Konsumierenden – zumindest in Maßen – weiterhin empfänglich für Inspiration und unerwartete Impulse.

Fakt 5: Eigenmarken profitieren von den Entwicklungen

Die Meisten kaufen sowohl Markenprodukte als auch Eigenmarken. Markenprodukte werden häufig bevorzugt, wenn bereits gute Erfahrungen mit diesen Produkten vorliegen bzw. andererseits schlechte Erfahrungen mit Eigenmarken gemacht wurden. Eigenmarken dagegen werden sehr häufig bei bestimmten Produktkategorien präferiert. Das betrifft vor allem Produkte mit einem geringeren Interesse (etwa Margarine) oder aber Produkte, bei denen man einfach davon ausgeht, dass Unterschiede zwischen Marken- und No-Name-Produkt nicht existent sind bzw. nicht wahrgenommen werden können (zum Beispiel Milch, Butter). 

Bedingt durch die aktuellen Preiserhöhungen wird der Einkauf von Markenprodukten jedoch reduziert und man greift stattdessen vermehrt auf Eigenmarken zurück. Zudem geben einige an, dass sie Markenprodukte mittlerweile nahezu ausschließlich im Sonderangebot kaufen.
Skopos

Fakt 6: Werbung und Verpackung – nicht die höchste Priorität, aber trotzdem von Belang

Abseits vom Preis wird bei der Produktauswahl weiterhin auf Produkteigenschaften wie Inhaltsstoffe, Qualität, Frische, Bio-Erzeugung, Nachhaltigkeit und Regionalität geachtet. Das Verpackungsdesign hat bei der bewussten Kaufentscheidung für die meisten eine eher mittlere bis geringere Relevanz. Viele geben jedoch an, dass ansprechende oder auffällige Verpackungen sie auf neue Produkte aufmerksam machen. Darüber hinaus informiert man sich über Produkte anhand der auf der Verpackung aufgeführten Produktinformationen und legt Wert auf Umweltaspekte.

Werbe- und Kommunikationsaktivitäten sind Fluch und Segen zugleich. Die einen empfinden Werbung als Versuch der Manipulation bzw. Gewinnmaximierung und lehnen sie kategorisch ab. Andere empfinden es als vorteilhaft, dass sie auf neue Produkte aufmerksam gemacht werden. Eine explizite Sonderstellung nehmen Handzettel ein. Sie haben aufgrund der zunehmenden Nutzung bei der Einkaufsplanung eine sehr hohe Akzeptanz und werden überwiegend positiv bewertet.

Fazit: Das A und O – Sensibilität für die aktuellen Sorgen und Nöte

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass Konsumierende selten so preissensibel, umsichtig und vorsichtig bei ihren Kaufakten waren, wie sie es derzeit sind. Aber auch auf Unternehmensseite bemerken wir als Marktforschungsinstitut eine große Umtriebigkeit in unserem Kundenstamm.

Viele Unternehmen beschäftigen sich gerade mit dem aktuellen Konsum- und Kaufverhalten ihrer Kundschaft. Dabei geht es um mögliche Szenarien, wie sie auf gestiegene Rohstoff- und Beschaffungspreise reagieren sollen, ohne sie dabei zu verprellen. Oder aber um mögliche Distributions- oder Category-Management-Modelle, die zu einer Verbesserung von Sichtbarkeit, Auffindbarkeit oder Kaufaktivierung führen. Die Nachfrage nach Shopper-, POS- oder Shelf-Studien, aber auch nach einer längerfristigen Begleitung einzelner Teilnehmergruppen via Communities ist dabei sehr hoch.

Somit ist eine kluge und gute Aussteuerung von Produkt-, Preis- und Distributionsstrategien heutzutage so wichtig wie noch nie. Dabei sollte man für die aktuellen Sorgen und Nöte sensibilisiert sein, anstehende Business-Entscheidungen mit Augenmaß treffen und bei der Umsetzung auf maximale Transparenz, Authentizität und Glaubwürdigkeit setzen.

Denn eins ist uns allen klar: Wir befinden uns gerade in einer Zeit des Umbruchs und des Wandels. Das führt nicht nur bei jedem einzelnen von uns zu einer gewissen Unruhe, sondern bringt auch Bewegung in das Marktgefüge. Nicht alles davon ist negativ zu bewerten. Bewegung ist besser als Stagnation und allzu häufig kann sich eine solche Situation unternehmerisch auch als echte Chance entpuppen. Also lasst sie uns ergreifen!
Über die Befragung

Für ein Stimmungsbild wurde die Skopos-eigene qualitative Online-Community Skopos Explorers befragt.

Bei den Skopos Explorers handelt es sich um einen Pool von 24/7 verfügbaren und motivierten Teilnehmern, die sich gerne zu unterschiedlichen Themen austauschen und von Skopos aktiv betreut und moderiert werden.  Zu dem vorliegenden Thema wurde ein vierwöchiges Online-Forum mit insgesamt 124 Teilnehmenden moderiert und durchgeführt. Das Ergebnis: Viele spannende Erkenntnisse, die Einblick in das aktuelle Kaufverhalten, den Umgang mit steigenden Preisen und in für die Kaufentscheidung relevante Aspekte geben.

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