Wir leben in einer Welt, die von Krise zu Krise schlittert. Nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahr 2008 folgten weitere Krisen, von der Flüchtlingskrise über die Corona- bis hin zur Energiekrise, die durch den Ukraine-Krieg ausgelöst wurde. Gleichzeitig hängt der Klimawandel mit seinen unvorhersehbaren Folgen wie ein großes Damoklesschwert über der Zukunft des Planeten und seiner Bewohner. Die Wissenschaft ist sich inzwischen sich einig, dass es „jetzt oder nie“ heißt, das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch erreichen zu können. Die letzten Krisen haben zu einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der westlichen Gesellschaft geführt, gleichzeitig herrscht dort in großen Teilen der Bevölkerung ein zunehmendes Misstrauen gegenüber den Regierungen.
Doch wie sind wir genau in diese Situation geraten?
Björn Welzel: Im Zuge der Entwicklung unserer Konsumgesellschaft, die durch den Wandel vom Industrie- zum Dienstleistungszeitalter entstanden ist, kam es zu einer extremen Individualisierung innerhalb der westlich geprägten Gesellschaften bei gleichzeitiger Fragmentierung der damit verbundenen Märkte. Die individualisierte Gesellschaft wurde zudem im Zuge der Wohlstandsentwicklung immer sensibler. In dieser hyperfragmentierten und hypersensibilisierten Gesellschaft führte der größtmögliche technische Paradigmenwechsel - die Digitalisierung und das Aufkommen der digitalen Medien - zu einer enormen Veränderung des Kommunikationsverhaltens. Die Algorithmen der digitalen Medien fördern Filterblasen, Echokammern, und damit extreme verbale Ausbrüche zwischen verschiedenen Lagern und die Verhärtung der Fronten. Letztlich profitierten die sozialen Netzwerke zumindest kurzfristig von der Unruhe im System, denn sie bildete die Grundlage ihres Geschäftsmodells.
Die Gesellschaft steht also im Mittelpunkt Ihrer Forschung und Sie haben es sich zur Mission gemacht, den globalen gesellschaftlichen Wandel mit Hilfe von digitalen Technologien zu entschlüsseln und positiv zu prägen?
Carina Frisch: Ja, denn wenn wir verstehen, was für Menschen langfristig wichtig und wertvoll wird, können Unternehmen und Institutionen die richtigen Entscheidungen treffen, und ihre Strategien und Produkte danach ausrichten. Wir möchten Unternehmen und Institutionen helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Welzel: In unseren Daten sehen wir zudem seit Jahren eine zunehmende Polarisierung, nicht nur ökonomisch, sondern bezogen auf Werthaltungen. Mit unserer Werte-Forschung können wir nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten und Möglichkeiten aufzeigen, scheinbar gegensätzliche Positionen im gesellschaftlichen Diskurs näher zusammenzubringen. Denn es sind vor allem Werte, die Menschen über verschiedene Gesellschaften hinweg teilen.
Björn Welzel ist Co-Geschäftsführer für Forschung der Uranos GmbH und ein anerkannter Milieuforscher und Universitätsdozent mit 20 Jahren Erfahrung in den Sozial- und Humanwissenschaften. Er ist der Erfinder des clåss socio-cultural Micromilieu-Modells, das in Unternehmen, Hochschulen und politischen Institutionen internationale Bedeutung erlangt hat. In den vergangenen mehr als zehn Jahren hat Welzel mit Unternehmen und Institutionen wie Volkswagen, Porsche, Google, Huawei und der Universität St. Gallen zusammengearbeitet. Dabei hat er tiefe Einblicke in die Wertesysteme ihrer Zielgruppen gewonnen, den gesellschaftlichen Wandel entschlüsselt und seinen Klienten geholfen, diese Erkenntnisse in konkrete Zukunftsstrategien umzusetzen. Welzel hat Maschinenbau, Philosophie, Soziologie und Industriedesign studiert. Er schloss sein Studium mit Auszeichnung in einem Audi Wirtschaftsforschungsprojekt über den Niedergang der Mittelschicht in Europa ab. Seit mehreren Jahren unterrichtet er Milieuforschung an der Mercator School of Management.
Carina Frisch ist CEO der Uranos Gmbh und eine international erfahrene Foresight- und Kommunikationsstrategin mit 20 Jahren Erfahrung in Unternehmen, Wissenschaft und Beratung. Sie gründete ihr eigenes Strategieberatungs-Unternehmen und half führenden Blue Chips und Start-ups in mehr als 100 strategischen und operativen Projekten, sich in kulturell führende Marken zu verwandeln und zu wachsen. Zuvor hielt sie Führungspositionen bei Audi und Volkswagen in den Bereichen Markenstrategie, Trendforschung und Kommunikation. Frisch hat ein Diplom in Medienmanagement von der Hochschule Rhein Main und der University of Miami und hat ein Promotionsprogramm an der EBS Universität Oestrich Winkel absolviert.