Wandel und Zukunft der Marktforschung in Unternehmen Regionalabend Berlin-Bandenburg
Die BVM-Regionalgruppe Berlin-Brandenburg zeigt auf ihrem virtuellen Regionalabend, welchen Anforderungen und Herausforderungen sich betriebliche Marktforscher stellen müssen. Diese sind keinesfalls einfach.
Zu Beginn stellt Christoph Welter von Point Blank gemeinsam mit David Smith von DVL Smith eine Esomar-Studie vor, die sowohl den Wandel, die problematischen Seiten, als auch neue Chancen für Insight Teams in Unternehmen betrachtete. Esomar hatte 250 Customer Insight Leaders von Unternehmen aus der ganzen Welt befragt (
planung&analyse hat dieser Studie den Aufmacher in Heft 1/20 gewidmet) und diskutiert: „How to Demonstrate the Value of Investing in Customer Insights.“ Trotz der überragenden Bedeutung, die Customer Insights für viele Unternehmen haben (sollten), stehen die Teams, die dieses Wissen erheben, oft unter kritischem Radar.
Vom Order-Taker zum Sense-Maker
Marktforscher sind demnach nicht mehr die einzige Quelle für Insights, viele andere Abteilungen in Unternehmen erheben Daten und sie gelten häufig noch als zu akademisch, Empfehlungen für die Umsetzung werden nicht gemacht oder kommen zu zögerlich, abwägend. Wie kann da der Return on Invest einer solchen Abteilung nachgewiesen werden, fragen sich nicht nur die Forscher von Esomar. Aber die Studie bringt auch Good News zutage: Die Insight-Teams wandeln sich von reinen Auftrags-Erfüllern, vom Order-Taker, hin zu Mitarbeitern, die über wettbewerbsentscheidende Informationen verfügen. Und das erkennt allmählich auch die C-Suite in den Unternehmen.
Wie macht man das? „Die Vermittlung ist ebenso wichtig, wie die Ermittlung“, fasst Welter einen Fokus der Studie, die für Esomar-Mitglieder frei erhältlich ist, zusammen. Hier kommt wieder das berühmte Storytelling in den Blick. Marktforscher müssen „Sense-Maker“ sein. Die Insights-Abteilung müsse nach der Studie beide Wege gehen: Fast and Slow. Erst die Integration schneller Daten mit dem Deep Dive in die „Warum“-Frage liefere wahre Insights. Aber: Es könne nicht immer alles zu 100 Prozent abgesichert sein. Und, wer Empfehlungen für die Unternehmensleitung geben will, stehe auf einem Sprungbrett und müsse sich auch trauen zu springen. Dies sei ein Key-Issue für die Forscher in Unternehmen, die ihre interne Position selber aushandeln müssten. Diese Integrationsleistung bedeutet, die betrieblichen Forscher müssen methodische Experten für Qual und Quant aber auch für alles, was im Bereich Data Analytics möglich ist, sein und dies sei, so Welter eine hohe Herausforderung.
Zusammenfassung der Problemsituation durch Barbara Lang, Point Blank
Wie sieht die betriebliche Realität in Deutschland aus?
Rund 100 Zuhörer hatte der virtuelle Regionalabend, gestaltet aus der Region Berlin-Brandenburg. Moderator war Mathias Wenzel von
Storck Deutschland, Mitorganisatorin Barbara Lang von Point Blank.
Um die Studie mit der Realität in Deutschland abzugleichen, hatten die beiden fünf betriebliche Forscher eingeladen, von ihren eigenen Herausforderungen zu berichten: Yvonne Engler von der Bayer AG, Susanne Stahl von Kao, Anja Strauss von Zeiss, Sebastian Syperek von der Deutschen Bahn und Martin Wysterski von Idealo.
Yvonne Engler von der Pharma-Sparte der Bayer AG berichtet von der Quadratur des Kreises, indem faster, better, deeper and cheaper von ihr gefordert wird. Da müsse man sich als betrieblicher Forscher auch positionieren und bestimmte Methoden für einzelne Fragestellungen verteidigen, um gute Insights zu gewinnen. DIY and Data Analytics habe an Bedeutung gewonnen und sei in einer anderen Abteilung lokalisiert. Diese beantworte tendenziell eher das „What“. Aber das „Why“, die Erklärung der Daten werde aber häufiger von den Marktforschern verlangt. Zusätzlich wurde eine Knowledge Management Plattform aufgebaut, die dem gesamten Marketing zur Verfügung gestellt wird.
Susanne Stahl von Kao, einem Hersteller von Pflegeprodukte für Friseure, berichtet aus einem japanischen, nicht primär Mafo-getriebenen B2B-Unternehmen. Dies sei eine große Challenge, in Zeiten von Survey Monkey und anderen DIY-Tools, wo der Glaube vorherrscht, jeder könne Marktforschung. Daher die Aufgabe, Insights erlebbar und erfahrbar zu machen, Geschichten zu erzählen und deutlich zu machen, dass es nicht genügt mit
einem Friseur zu sprechen. Sie stellt sich häufiger die Frage: Bin ich der objektive, neutrale Marktforscher oder bin ich der strategische Gestalter, der Coach, der antreibt?
Anja Strauss von Carl Zeiss Meditec. betreibt Marktforschung für Medizintechnik im Bereich der Augenheilkunde, also ebenfalls ein B2B-Bereich mit komplexen Einkaufsprozessen. Es bestehe im Unternehmen große Offenheit für Marktforschung, es müsse jedoch vermittelt werden, welche Wege und Methoden sinnvoll sind. Kommunikation ist also schon die Herausforderung, bevor die Studie überhaupt steht, nicht erst bei der Vermittlung der Ergebnisse.
Sebastian Syperek leitet eine von mehreren Marktforschungsabteilungen bei der Deutschen Bahn, die DB-Vertrieb. Er berichtet, dass gerade in Corona-Zeiten die von ihm ins Leben gerufene Community (
darüber hatte Syperek bereits im Rahmen eines PUMa-Plenums gesprochen) eine große Bereicherung für die Marktforschung war. Das interne Interesse an diesem Tool sei enorm. Er habe ein Tool eines DIY-Anbieters mit eingebaut und Qual-Experten mit in seinem Team, sodass eine große Anzahl an Studien durchgeführt werden kann. Es ginge ihm aber nicht nur um die Abwicklung möglichst vieler Studien, sondern er habe auch einen internen Beratungs- und strategischen Anspruch und wolle Business-Entscheidungen durchaus mit beeinflussen. Herausforderung sei die Data-Integration und die Zusammenarbeit mit den Data-Analysten. Aber er ruft seinen Kollegen zu, durchaus mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln. Marktforscher können sich in der Digitalisierung und der Data-Science-Welle behaupten, wenn sie sich darauf besinnen, dass sie Menschen und deren Motive etwa bei Kaufentscheidungen verstehen können. Das werde benötigt und „daher brauchen wir uns nicht zu verstecken“.
Martin Wysterski ist bei der Preisvergleichs-Plattform Idealo zuständig für Research. Dominant waren dort vor allem A/B-Tests und die Nutzermeinung stand eher nicht im Fokus. Das hat Wysterski geändert. Der Spagat zwischen der geäußerten Nutzermeinung und dem Nutzerverhalten bleibt jedoch bestehen. Er sieht seine Aufgabe darin, die Relevanz von Insights von unten nach oben zu transportieren. Dafür braucht es ebenfalls Storytelling und gute Argumente.
Zusammenfassung der Herausforderungen
In der folgenden Diskussionsrunde ging es zum einen um die Integration von verschiedenen Abteilungen, die Daten erheben. Keine einfache Aufgabe, aber absolut notwendig. Sollten es verschiedene Abteilungen bleiben, braucht es wiederum eine hohe Kommunikationskompetenz. Stahl wies darauf hin, dass ein Unternehmens-Marktforscher ab einem bestimmten Level ein Allrounder sein muss, der die Spezialisten abholt und das Wissen verdichtet und in Handlungsempfehlungen umsetzt. „Diese Skills sind wichtiger denn je, denn wir ertrinken in Informationen, in Daten.“ Was einerseits die Frage der notwendigen Skills aufwarf und zum anderen die Rolle der Institute in diesem Zusammenspiel aufblitzen lässt.
Ein Punkt zur Beruhigung: Sie werden noch gebraucht. Nicht nur, um die Kapazität auf mehrere Schultern zu verteilen, sondern um Input zu geben, Methoden auszufeilen und spezifische Fragen zu beantworten.
Ein sehr dichter und informativer BVM-Abend, der endlich einmal auch die Seite der betrieblichen Marktforschung ausführlich beleuchtet hat.