Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 21 Jahren wurden zu Selfies befragt
Das Geheimnis der Selfie-Manie hat das Institut Lönneker & Imdahl rheingold salon im Auftrag des Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel (IKW)in einer tiefenpsychologisch-repräsentativen Studie entschlüsselt. Hierzu wurden Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 21 Jahren befragt. Im Anschluss wurden die Ergebnisse in einer nationalen Online-Befragung repräsentativ untermauert.
Ungeschminkt und offen zeigt die Studie, warum junge Menschen manchmal kaum noch ohne Selfies leben können, wie eine ganze Generation sich über Selfies definiert, welche Codes sie dabei verwendet und wie sehr sie in sich selbst verliebt ist. Die Generation Selfie kontrolliert jedes einzelne Bild bis ins Detail – und erlebt sich selbst vor allem in der Rückblende. Kosmetik und Make-Up sind dabei wichtige Helfer für die Perfektions- und Kontrollwünsche.
Zwischen Anpassung und Abgrenzung
85 Prozent machen Selfies, 39 Prozent wöchentlich, 26 Prozent täglich, 14 Prozent gar mehrmals täglich. Nur 15 Prozent der Online-Befragten geben an keine Selfies zu machen. Bei diesen ist es aber eine Frage der Interpretation des Begriffs. Denn 87 Prozent geben an, dass sie durchaus selbst auf den Fotos zu sehen sind. Den meisten ist das Selfie-Machen schlicht peinlich. Sie interpretieren die Bilder daher um: „Ich mache keine Selfies, das sind Porträts.“
Selfie oder Porträt? Eine Frage der Interpretation.
Trotz dieser besonderen Relevanz möchten die meisten Jugendlichen sich nicht als Selfie-Macher outen. Es ist ihnen peinlich die Bedeutung dieser speziellen Fotos für ihr Leben zuzugeben. In der tiefenpsychologischen Befragung „verleugnen“ sie zum Teil ganz, dass sie überhaupt Selfies machen.
Woran liegt das? Was ist den jungen Menschen so peinlich am Offensichtlichen? Immerhin posten sie die Selfies für jedermann sichtbar.
Selfies dienen dazu – wie der Name schon nahelegt – „sich selbst zu finden“. Und Selbstfindung findet aus psychologischer Sicht fast immer in Abgrenzung zu anderen statt: zu den Eltern, den Freunden oder Lehrern, Hauptsache anders sein als die anderen und etwas Besonderes sein. Gleichzeitig wollen die jungen Menschen dazu gehören: zu ihrer Gruppe, den Freunden, der Community im Netz. Sie wollen sich anpassen an Trends, wissen was angesagt ist und das auch zeigen. Anpassung ist ebenso ein Teil ihrer Selbstfindung.
Ines Imdahl
ist CEO, Gründerin und Geschäftsführerein des Lönneker & Imdahl rheingold salon.
Eigentlich möchten die Jugendlichen mit dem Selfie-Hype nichts zu tun haben, sich also abgrenzen. Gleichzeitig wollen doch alle daran beteiligt sein und sich ihm – oft unbewusst – anpassen.
Kaum ein Jugendlicher hält die Verleugnung „Ich mache gar keine Selfies“ lange durch. Als echter Selfie-Junkie will sich aber auch keiner outen. Die Selfies werden schlicht ‚umgedeutet‘: Gesichter werden zu „Portraits“, als „Fotos mit Freunden und mir“ bezeichnet oder als „Fotos von meinen Erlebnissen/Reisen“ gesehen – alles Selfies, die nicht mehr Selfies heißen. Umdeutung als perfekte Möglichkeit Selfies zu machen und sich doch davon abzugrenzen.
Selfie-Codes – Die Geheim-Sprache der JugendBeim Selfie-Schießen wollen die jungen Menschen einerseits einen individuellen Stil finden und ihre Persönlichkeit ausdrücken. Gleichzeitig kennen und befolgen sie die geheimen Codes ihrer Generation. Sie wissen was bei den Selfies gerade in oder out ist und grenzen sich gegenüber Älteren ab. 50 Prozent aller Befragten glauben gut zu erkennen ob ein Selfie zeitgemäß ist oder eher „voll 2015“. Für 52 Prozent ist klar, dass Eltern die Zeitgeistcodes nicht kennen und zudem komisch in die Kamera gucken. 41 Prozent sind Selfies der Eltern sogar peinlich. Der Geheimcode eines perfekten Selfies, findet sich, wie die Selbstfindung auch, als Mittelweg zwischen Individualisierung und Anpassung.
Einige decodierte Codes eines zeitgemäßen Selfies:
- Hintergrund muss sichtbar sein
- Blick geht neben die Kamera
- Schnappschuss oder Inszenierung? Beides ist möglich, Offenheit ist wichtig!
- Individuelle Idee – die aber nicht zu extrem anders ist
Auch das Posing gehört zu den Codes: 57 Prozent der Mädchen und 51 Prozent der Jungen achten genau darauf, wie sie sich hier in Szene setzen. Den Kontext oder Hintergrund ansprechend zu inszenieren, ist darüber hinaus 71 Prozent Jungen und 60 Prozent Mädchen sehr wichtig.
Wenn Eltern Selfies machen, ist das peinlich.
Junge Menschen decodieren nicht nur die Codes der Selfies anderer. Sie gehen noch ein ganzes Stück weiter: 52 Prozent glauben, die Persönlichkeit des Gegenübers an einem Selfie ablesen zu können – zumindest den Grad der Selbstverliebtheit.
Posing ist das halbe Selfie.
Selfie-Verliebtheit – Sehnsucht nach Anerkennung und Berühmt-SeinAn Art und Anzahl der Selfies kann man erkennen wie „peinlich“ selbstverliebt die anderen sind, wie sehr sie nur auf Likes und Anerkennung aus sind. 65 Prozent sehen entsprechend die Anzahl der Selfies als Indikator für übersteigerte Selbstliebe. 75 Prozent kritisieren den starken Wunsch nach Anerkennung durch andere. Ein Teilnehmer sagt: „Jeden Tag ein Foto. Das ist eine extreme Selbstverliebtheit – auch wenn man sich selbst so gerne anguckt. Peinlich ist das.“
Die Kritik an Anzahl und Art der Selfies anderer kann recht harsch ausfallen. „Da schreibt dann jemand: ‚Danke für 500 Follower‘. Das ist lächerlich, ich meine 500, das ist doch nix.“
Solche Aussagen zeigen, wie Jugendliche nach außen abwehren, was sie selbst antreibt. Denn der eigene Selfie-Umgang hat meist extrem selbstverliebte Züge. Besonders, wenn ein Selfie so gelungen ist, dass es die eigenen Ideale erfüllt. Dementsprechend bedeutet die Anzahl der Likes den Befragten sehr viel: Likes und Kommentare sind zu zentralen Selbstverliebtheits-Motivatoren geworden.
Der versteckte Wunsch, als Influencer berühmt zu werden
Beinahe wie bei einer Droge muss die Zahl der Likes ständig gesteigert werden, um die nötige Bestätigung zu spüren. Mit dem Wunsch als Influencer oder durch Postings berühmt zu werden, wird versteckt oder offen kokettiert: „Ach ich hatte ja mal mehr als 2000 Follower auf Insta. Da war ich zwölf. Aber na ja, jetzt habe ich halt nichts mehr gepostet.“ Und 30 Prozent der jungen Menschen sehen das Berühmt-Werden als explizites Lebensziel (vor 10 Jahren waren es 14 Prozent).
Selfie-Erfahrung: Leben in der RückblendeEin Selfie hält einen Moment für später fest – man will sich an das vermeintlich Erlebte erinnern. Allerdings kann man sich mit einer Selbstfotografie auch aus dem unmittelbaren Erleben herausziehen. Man ist nicht richtig im Geschehen. So finden 68 Prozent, dass so viel Selfies gemacht werden, dass man gar nicht mehr mitbekommt, was um einen herum passiert.
Viele junge Menschen trauen sich gar nicht mehr, sich auf das unmittelbare Geschehen einzulassen. 66 Prozent schätzen besonders, dass sie erst durch Selfies selbst sehen können, was sie erlebt haben. Ebenso finden 44 Prozent, dass das Erlebte dann toll war, wenn viele andere es „liken“.
Ohne die Bestätigung durch Likes scheint das eigene Erleben gar wertlos: „Bei meinen Weihnachtsbildern gab es nur 25 Likes – die anderen hatten über 50 – da war Weihnachten gelaufen.“ Beim Betrachten der Selfies wird nicht das tatsächliche Erleben erinnert, sondern das, was man gern erlebt hätte. So können Jugendliche über Selfies definieren, was sie erleben wollen und wer sie sein wollen.
Selfie-ControlJunge Menschen kontrollieren durch Selfies ihr Erleben im jeweiligen Moment. Die paradoxe Situation, das Selfie selbst zu machen und sich beim Selfie zugleich aus dem Blickwinkel der Betrachter zu sehen, schafft zusätzliche Distanz zum eigenen Erleben – und zusätzliche Kontrolle.
Hinter dem Selfie-Hype verbirgt sich ein extremer Wunsch nach Kontrolle. Wie bereits in der IKW Jugendstudie „Jugend ungeschminkt“ deutlich wurde, fühlen sich viele junge Menschen eher ausgeliefert und suchen nach Sicherheit. Ihr eigenes Leben und Erleben wollen sie stark im Griff behalten. Selfies bieten hierzu eine – weitere – gute Möglichkeit.
Kontrolle ist beim Selfie-Machen entscheidend
Kontrolle und ideale Selbstdarstellung sind Hauptmotive der Selfie-Produktion. Hier erleben sich die jungen Leute als alleinige Autoren ihres Lebens. Dabei wird nicht nur die eigene Mimik und Gestik kontrolliert, sondern auch die Freunde, Kollegen, Partner richtig auf dem Foto positioniert.
Um die Selfies wirklich gut zu inszenieren und damit die Selbst-Findung, Selbst-Erfahrung und die Selbst-Verliebtheit zu kontrollieren, entwickeln die jungen Menschen viele Skills wie Filter, Schminktechnik oder Perspektiven. Die großen Sorge ist, anders gesehen zu werden als man will. Oder noch schlimmer: Nicht gemocht zu werden.
Selfie-Making Off – Die konstruierte NatürlichkeitBevor ein Selfie gepostet wird, muss es perfekt sein. Nichts wird hier dem Zufall überlassen: 45 Prozent der Mädchen gibt zu, mehr als 50 Selfies zu machen, 18 Prozent sagen sogar, sie machen mehr als 100 bevor eines gepostet wird. Auch 22 Prozent der Jungen machen mehr als 50 Selfies, 16 Prozent sogar mehr als 100.
Studiendesign:
1.000 Befragte zwischen 14 und 21 Jahren im representativen Online-Panel. 20 Befragte in tiefenpsychologischen Face-to face Befragungen. +++ Durchführung: Lönneker & Imdahl rheingold salon +++ Studienleitung: Ines Imdahl +++ Auftraggeber: IKW Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e. V., Ansprechpartner: Birgit Huber, Bereichsleitung Schönheitspflege
Ebenso ist der zeitliche Aufwand enorm und zeigt das hohe Kontrollbedürfnis: 40 Prozent der Mädchen brauchen mindestens 30 Minuten für ein Selfie, 15 Prozent sogar eine Stunde oder mehr.
Selfie ohne Schminke? Undenkbar.
Dieser Aufwand soll aber beim Selfie selbst nicht sichtbar werden. Trotz der Überkontrolle eines jeden Details, soll das Bild am Ende „ganz natürlich aussehen“. Denn Mädchen und Jungen bewerten sich gegenseitig danach, ob ein Selfie gestellt oder authentisch wirkt. Paradox ist, Natürlichkeit ist von Jungen und Mädchen gewünscht – wird aber in einem aufwändigen Prozess durch Styling und Schminken erst konstruiert.
62 Prozent der Mädchen stylen und schminken sich demgemäß so, dass es im Anschluss nicht auffällt. 65 Prozent der Mädchen behaupten, dass sie ein Selfie auch ungeschminkt posten würden, aber die Menge an verwendeter Kosmetik beweist das Gegenteil. Das Gefühl für ungeschminkte Natürlichkeit ist dabei in der Zeit der Filter, des Make-Ups und dem Wunsch der alle Fehler zu überdecken, verloren gegangen. Jungen glauben, dass es sich um ein krankes Mädchen handeln muss, wenn sie es auf dem Foto ungeschminkt sehen.
Das Make-Up dient der Kontrolle des Selfies – es darf selbst nicht in den Mittelpunkt rücken – außer bei Beauty-Bloggerinnen oder YouTuberinnen. Es soll die Szene mit kontrollieren – und die zu erfüllenden Codes bedienen.
Die Inszenierung darf jedoch nicht sichtbar sein: Mimik, Mode, Look und Kontext sollen im Ideal eher „authentisch“ wirken.
Wahre (Selfie-)Schönheit kommt aus Sicht der jungen Menschen von außen und ist machbar. So werden auch Schönheits-OPs akzeptiert. Aktuell würde jeder vierte befragte Jugendliche eine Schönheits-OP machen, wenn das Geld dazu vorhanden wäre.
Die Generation Selfie kontrolliert das äußere Erscheinungsbildes um zum ‚Kontrollierten in Kontakt zu kommen‘ – mit sich selbst und anderen. Selfies gehören heute zur Selbst-Findung der Jugendlichen – zwischen Anpassung und Abgrenzung. Die jungen Menschen verwenden dabei Selfie Codes wie eine Art Geheimsprache – und grenzen sich damit von der Eltern-Generation ab. Selfies sind Ausdruck extremer Selbstverliebtheit – und gleichzeitiger Sehnsucht nach Anerkennung durch andere. Sie beinhalten das Versprechen berühmt zu werden für immerhin 30 Prozent aller jungen Menschen. Mit Selfies verschaffen sich die jungen Menschen Kontrolle über Leben und Erleben. Denn beim Selfie wird nichts dem Zufall überlassen. Die perfekte Inszenierung beinhaltet Kosmetik, (Haar-)Styling, ein gekonntes Posing, den optimalen Hintergrund genauso wie den richtigen Blick in die Kamera. Das unmittelbare Erleben kann so durch das Selfie kontrolliert werden. Erst durch die Anzahl der Likes, ‚erfahren‘ die Jugendlichen im Nachhinein, ob das was sie erlebt haben gut war. Ein (Er-)Leben in der Rückblende ist ein kontrolliertes, schönes und sicheres Leben, das man weitestgehend selbst gestalten kann. Über die Selfies gelingt es, sich mit seinen Gefühlen, den anderen und seinem Äußeren auf kontrollierte Weise auseinanderzusetzen.