G+J-Chefin Julia Jäkel bietet kostenlose Download-Abos aller Titel an.
Gruner + Jahr verschenkt seinen Journalismus. Wer auf der eigens eingerichteten
Landing-Page ein Abo bestellt, kann die digitalen Ausgaben aller Zeitschriften des Verlags und auch ausgewählter Titel der Deutschen Medienmanufaktur vier Wochen lang kostenfrei lesen. Mit der Angabe seiner Daten geht der Nutzer keinerlei Verpflichtung ein. G+J will das Angebot als Akt der Solidarität verstanden wissen. Doch die Aktion wirft Fragen auf.
Der 11. September 2001, 9/11 also, gilt gemeinhin als Geburtstag des digitalen Journalismus. Die Menschen begannen, sich vermehrt online zu informieren. Als Geburtsfehler gilt, dass die Verlage Journalismus im Netz auch viele Jahre danach noch verschenkt haben. Die Leser gewöhnten sich an die Kostenlos-Kultur. Damit haben die klassischen Medien, deren Werbeeinnahmen in den vergangenen Jahren zum Großteil weggebrochen sind, bis heute zu kämpfen. Inzwischen aber steigt die Zahl der Digital-Abos. Die Leser sind sich zunehmend bewusst, dass Journalismus Geld kostet. Die Erfahrung lehrt: Wenn es hart auf hart kommt, sind die Leser treuer als Werbekunden und wissen gut aufbereitete Information zu schätzen. Das zeigt sich gerade jetzt wieder.

Alles umsonst?
Gruner + Jahr verschenkt seine Magazine und provoziert damit Kritik
Die Drähte liefen heiß am vergangenen Wochenende. Die halbe Branche hat versucht, den Hamburger Verlag zur Räson zu rufen. Ohne Erfolg. G+J hält an seiner Aktion #DeutschlandBleibtZuhause fest - und kündigt bereits die nächste an. ...
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie erleben die Verlagsangebote einen Zulauf wie lange nicht. Die ZMG hat ausgerechnet, dass die digitalen Reichweiten der Zeitungen
sprunghaft um bis zu 65 Prozent angestiegen sind. Auch Zeitschriftentitel profitieren, aktuelle wie solche zur Entspannung. „Deutschland liest“, überschrieb Gruner + Jahr
eine Pressemitteilung vom 20. März und berichtete von zahlreichen neuen Abonnenten und einem um zehn Prozent gestiegenen Absatz im Lebensmitteleinzelhandel. Bahnhöfe und Flughäfen sind zwar menschenleer. Eingekauft wird aber immer noch, und auch der Kiosk um die Ecke darf geöffnet bleiben.
Dennoch startet Gruner + Jahr jetzt eine Aktion, bei der sämtliche digitalen Magazine kostenlos abonniert werden können. Auf der
eigens eingerichteten Seite gibt es alles umsonst, vom erst kürzlich eingerichteten Bezahlangebot Stern Plus bis zu den E-Paper-Ausgaben sämtlicher G+J-Zeitschriften inklusive ausgewählten Marken der Deutschen Medien-Manufaktur DMM, also von Geo inklusive Geolino über Brigitte, Gala, Barbara und Guido bis Chefkoch, Living at Home und 11Freunde. Lediglich das E-Paper der Sächsische Zeitung ist davon ausgenommen.
So wirbt G+J für die Corona-Aktion
Begleitend schaltet der Verlag eine kanalübergreifende Solidaritätskampagne in allen Bertelsmann-eigenen Medien, aber auch bei den Sendern von ProSieben Sat.1 und in den sozialen Netzwerken. Das Motto lautet „Deutschland bleibt zuhause. Machen wir das Beste draus – und lesen.“
Mit der kostenlosen Download-Möglichkeit appelliere G+J an die Menschen, „weitestgehend auf persönliche Kontakte zu verzichten“ und mache „allen zuhause Gebliebenen ein Geschenk“. Auf die Frage, ob sich die vielen zahlenden Neu-Abonnenten der vergangenen Tage davon nicht getäuscht sehen könnten, antwortet eine Sprecherin, das glaube sie nicht. Der solidarische Gedanke der Aktion sei deutlich. Wegen des begrenzten Zeitraums von "zunächst vier Wochen" glaube sie auch nicht, dass sich die Aktion kontraproduktiv auswirken könnte, weder auf die Zahlungsbereitschaft bei hauseigenen Titeln noch auf die Branche insgesamt.
In der Öffentlichkeit widersprüchlich dürfte es dennoch klingen, wenn sich andere Medien - insbesondere Zeitungen - derzeit noch häufiger als sonst Angriffen erwehren müssen, weil journalistisch aufwändige Artikel über Corona nicht einfach frei zugänglich sind. Irritierend könnte ebenso der
Appell der Anzeigenblätter an die Politik wirken. Ihnen ist von heute auf morgen die Geschäftsgrundlage weggebrochen. Einige haben ihr Erscheinen bereits unterbrochen oder gar eingestellt. Aber auch die Abo-Zeitungen leiden zusätzlich unter Werbeeinbrüchen. Kurzarbeit ist überall ein Thema.
Davon unbeeindruckt hält Gruner + Jahr dagegen: „Mit unserer großen Titelvielfalt, unserer starken Position in den Märkten und unserer führenden digitalen Reichweite haben wir die Möglichkeit, noch mehr Menschen zu erreichen und in diesen schweren Zeiten zu begleiten.“
usi