Wie seriös sind Werbewirkungsstudien von Facebook? Im Interview mit HORIZONT schießt GiK-Geschäftsführerin Julia Scheel scharf gegen den Social-Media-Riesen. Manche Facebook-Behauptungen seien schlicht "Fake News".
"Die großen Social-Media-Anbieter", so Scheel, "verstecken sich hinter Walled Gardens und argumentieren mit Zahlen, die für Außenstehende völlig intransparent, nicht überprüfbar und bei genauem Hinsehen wenig plausibel sind." Und an die Adresse der Mediaagenturen: "In der Wahrnehmung vieler Planer scheinen mir Facebook und Google doch dramatisch überbewertet. Mitunter ist es schon ernüchternd, wie unreflektiert Daten- und Studienergebnisse teilweise übernommen werden. Hauptsache, die Kurve zeigt nach rechts oben."
Warum schmiert Print im Werbegeschäft so ab? Ist das der natürliche Gang der Dinge, weil Zeitungen und Zeitschriften kontinuierlich an Auflage verlieren, aktuell sogar besonders heftig? Oder liegt es an der Ignoranz von Mediaplanern und Marketern, die blauäugig alles glauben, was das Silicon Valley ihnen erzählt? Der Streit hat nach einem Aufsatz von
Klaus-Peter Schulz, Chef des Mediaagentuer-Verbands OMG, an Schärfe gewonnen. Vor zwei Wochen konterte
Julia Jäkel, die Nummer 1 bei Gruner + Jahr, und warf Schulz "zu enges Denken" vor.
Nun meldet sich
Julia Scheel zu Wort und kritisiert ihrerseits Facebook in ungewöhnlich scharfen Worten. Die Burda-Managerin ist Geschäftsführerin der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GiK). Hinter der GiK stehen große Verlage - unparteiisch in der Sache ist Scheel also sicher nicht.
"In der Wahrnehmung vieler Planer scheinen mir Facebook und Google doch dramatisch überbewertet"
Frau Scheel, Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel sagte vor zwei Wochen im Interview mit HORIZONT: "Es gibt jede Menge neutraler Studien, die sehr eindeutig für uns sprechen. Werbung in redaktionellen Umfeldern wirkt kaufanregender und glaubwürdiger." Welche denn? Die Studienlage ist eindeutig: Vertrauenswürdige, seriöse und qualitativ hochwertige Medienumfelder wirken sich positiv auf die Wahrnehmung von Werbeinhalten aus. Das ist wissenschaftlich belegt. Unser Gehirn lernt nebenbei: Über die periphere Wahrnehmung des Umfelds gelangen Inhalte ins implizite Gedächtnis, wo Informationen unbewusst, aber besonders nachhaltig abgespeichert werden. Man bezeichnet dies als "perceptual fluency". Auf diesem kontextuellen Weg vermittelte, visuelle Muster bereiten das Gehirn unmittelbar auf die Kaufentscheidung vor und werden am Point of Sale abgerufen.
Und Print kann das besser als Social Media? Werbung in Print ist viermal glaubwürdiger und dreimal so kaufanregend wie in Social Media. Das zeigt unsere Markt-Media-Studie Best for Planning, bei der wir jährlich 15.000 Personen persönlich befragen lassen.
Andere Studien sagen anderes… Natürlich kursieren auch immer wieder Umfragen, die das Gegenteil behaupten. So ermittelt der "Social Media Atlas 2017/2018" unter 3.500 Onlinern, dass diese aufgrund von Werbung auf Social Media-Plattformen auch "schon mal ein Produkt im Internet gekauft haben" – dies sei etwa ebenso häufig der Fall wie in klassischen Medien. Unklar bleibt, wie oft es beim einen oder anderen Medienkanal zum Kauf kam und wieviel Media-Invest dahinter stand, also schlicht, wie es um den ROI bestellt ist. Aus solchen Stimmungsbarometern abzuleiten, "klassische und soziale Medien seien auf Augenhöhe", ist für mich ein klarer Fall von Fake News. Ich würde so etwas nicht als Marktforschung bezeichnen, sondern eher als PR-Maßnahme.
Grundsätzlich in Abrede stellen Sie die Werbewirkung von Facebook und Youtube aber nicht? Selbstverständlich können Social Media-Werbung und die Präsenz auf Plattformen wie Facebook und Youtube eine sinnvolle Investition darstellen. Für einen Hype oder gar eine generalisierte Empfehlung, Werbebudgets in Richtung Social Media zu verschieben, gibt es jedoch keinerlei Grundlage. Die großen Social Media-Anbieter verstecken sich hinter Walled Gardens und argumentieren mit Zahlen, die für Außenstehende völlig intransparent, nicht überprüfbar und bei genauem Hinsehen wenig plausibel sind.
Für einen Hype oder gar eine generalisierte Empfehlung, Werbebudgets in Richtung Social Media zu verschieben, gibt es jedoch keinerlei Grundlage.
Julia Scheel
Zum Beispiel? Facebook führt in der "GfK Wirkungsstudie Facebook 2018" an, eine Video-Sehdauer von drei Sekunden sei ausreichend zum Nachweis der Werbewirkung. Es gäbe keine Korrelation zwischen längerer Sehdauer und einem höheren Sales Uplift. Das finde ich bemerkenswert. Zählen Sie mal in Ruhe: 21, 22, 23 – und das soll reichen? Dann zücken Sie die Kreditkarte? Welche Botschaft soll denn in drei Sekunden überhaupt transportiert werden? Außerdem: Wie verlässlich ist ein aggregierter Wirkungszusammenhang, der auf der Auswertung von gerade mal zehn Kampagnen einer einzigen Branche beruht? Bei unserer gattungsübergreifenden Wirkungsstudie Best for Tracking werten wir mit 34.000 Online-Interviews dauerhaft die Werbewirkung von acht Gattungen auf über 380 Marken aus. Veröffentlichungen wie die aktuelle Facebook-Studie werfen bei mir eine ganze Reihe von Fragezeichen auf – manche sprechen gar von Etikettenschwindel, Irreführung und Manipulation.
Beobachten Sie in Gesprächen mit Kunden, dass die Werbungtreibenden Facebook zunehmend kritisch hinterfragen? Ich bin als Marktforscherin beim Kunden, nicht als Verkäuferin. Ein großes Problem an dieser Stelle ist schlicht die Verfügbarkeit, die Vergleichbarkeit und Bewertung von Daten. Dass niemand seine Werbung in bedrohlichen oder abwertenden Umfeldern sehen möchte, ist nachvollziehbar. Bei unseren Medien können wir jedem Kunden ganz genau sagen, in welchem Umfeld er mit seiner Werbung steht oder gestanden hat – diese Sicherheit können Facebook & Co. keinem Kunden geben, ganz einfach, weil sie selbst nicht alle Inhalte kennen, die bei ihnen hochgeladen werden.
Wie sehen Sie die Rolle der Mediaagenturen? Fühlen Sie sich von denen ungerecht behandelt? Na ja, in der Wahrnehmung vieler Planer scheinen mir Facebook und Google doch dramatisch überbewertet. Obwohl Steve Ballmer, damals noch CEO Microsoft, 2008 gedruckten Medien nur noch eine Überlebenszeit bis 2018 prognostizierte, erreichen Printmedien in Deutschland stationär noch mehr als doppelt so viele Menschen wie Facebook. Mitunter ist es schon ernüchternd, wie unreflektiert Daten- und Studienergebnisse teilweise übernommen werden. Hauptsache, die Kurve zeigt nach rechts oben.
Wie groß ist die Gefahr, dass JICs wie Agma, AGF und Agof in den kommenden Jahren massiv an Bedeutung verlieren? Lassen Sie uns den Spieß einmal umdrehen: Wie groß ist die Gefahr, dass ein Werbungtreibender bei den GAFA-Unternehmen sein Mediabudget in eine black box investiert? Die Zugriffsdaten, die Sie von Facebook, Google und Amazon bekommen, sind nichts anderes als Eigenangaben. Bei Print ist das völlig anders. Wenn ein Verlag eine neue Zeitschrift, die sich am Markt etablieren soll, bei der ,ma Pressemedien anmeldet, zahlt er erstmal rund 10.000 Euro für eine Probeerhebung. Wenn der Titel nach der zweiten Welle die Ausweisungsvoraussetzungen nicht erfüllt, hat der Verlag rund 20.000 Euro umsonst ausgegeben. Es blieben ihm eigene Umfragen zum Nachweis der Leserschaft, die ja nicht zwingend schlecht sein müssen. Man weiß es halt nicht. Die Quelle ist dann eben die Verlagsangabe und somit Vertrauenssache. Im Extremfall könnten Sie als Verlag auf die Druckauflage verweisen – nach dem Motto "bestimmt hat es jemand gelesen". Kein Kunde und keine Agentur würde das ernsthaft als Planungsgrundlage in Erwägung ziehen. Bei Facebook & Co. aber schon?
Die Werbeindustrie hat damit offenbar kein großes Problem. Die Marktpartner fordern transparente, vergleichbare Reichweiten- und Leistungsdaten nach den Marktstandards der JICs. Es ist dauerhaft nicht tragfähig, dass sich der etablierte Teil des Marktes in Joint Industry Committees mit viel Aufwand und erheblichen Forschungsinvestitionen den Marktregularien unterwirft und an anderer Stelle die Selbstregulierung des Marktes das Maß aller Dinge sein soll. Alle Medienanbieter, also auch die GAFAs, sollten sich den Transparenzstandards der JICs stellen. Dann haben die JICs als Marktinstanz auch weiterhin eine enorme Bedeutung.