Gary Lineker war am Samstag nicht im BBC-Studio von "Match of the Day", sondern bei seiner alten Heimat Leicester City
BBC-Generaldirektor Tim Davie will nach eigenen Angaben den am Freitag suspendierten Sportmoderator und Ex-Fußballstar Gary Lineker wieder auf Sendung haben. "Gary ist ein hervorragender TV-Journalist. Erfolg bedeutet für mich, dass Gary wieder auf Sendung geht", sagte Davie einem Bericht der BBC vom Sonntag zufolge in einem Interview des Senders. Wie der Streit, der die BBC in eine Krise gestürzt hat, gelöst werden soll, erklärte er allerdings nicht. Alle wollten die Situation in Ruhe lösen, sagte Davie lediglich.
Lineker ist eine Fußball-Ikone wie in Deutschland Jürgen Klinsmann oder Rudi Völler. Von dem 62-jährigen Ex-Stürmer stammt der noch heute oft zitierte Satz: "Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball hinterher und am Ende gewinnen die Deutschen." Lineker ist seit mehr als 20 Jahren das Gesicht von "Match of the Day", der wichtigsten Fußballsendung auf der Insel.
Lineker hat auch 8,8 Millionen Follower auf Twitter und teilte auch in der Vergangenheit immer wieder politische Ansichten, die mit der Meinung der konservativen Regierung in London kollidierten. Vor allem sprach sich der selbstständig für die BBC tätige Moderator offen gegen den Brexit aus und machte sich damit bei den Tories mächtige Feinde.
Lineker hatte in einem Tweet am Dienstag die Asylpolitik der konservativen britischen Regierung kritisiert und deren Rhetorik im Zusammenhang mit Flüchtlingen mit Nazi-Wortwahl aus den 1930er-Jahren verglichen. Die BBC hatte Lineker, der als freier Mitarbeiter für den öffentlich-rechtlichen Sender arbeitet, darauf am Freitag suspendiert.
Mehrere seiner Kollegen, darunter die Experten und Ex-Fußballer Ian Wright und Alan Shearer solidarisierten sich mit Lineker und weigerten sich, ohne ihn auf Sendung zu gehen. "Match of the Day" wurde daraufhin ohne Moderation, Spieler-Interviews oder Expertenstimmen gesendet. Zudem mussten mehrere andere Programme im Radio und Fernsehen gestrichen werden, nachdem sich zahlreiche BBC-Kollegen dem Boykott angeschlossen hatten.
BBC-Generaldirektor Tim Davie entschuldigte sich für die eingeschränkte Fußballberichterstattung. "Es war ein schwieriger Tag, und es tut mir leid, dass das Publikum betroffen war und sein Programm nicht erhalten hat. Als echter Sportfan weiß ich, dass das ein herber Schlag ist, und es tut mir leid", sagte Davie.
Nicht entschuldigen wollte sich Davie hingegen für die Suspendierung Linekers. Es gehe darum, die richtige Balance zu finden zwischen Pressefreiheit und Neutralität, sagte der für redaktionelle Inhalte zuständige BBC-Chef. Es gehe dabei nicht um politische Richtungen, betonte der frühere konservative Politiker. Einen Rücktritt schloss er aus.
Auch der Premierminister meldet sich zu Wort
Premierminister Rishi Sunak meldete sich am Samstagabend in der Sache zu Wort. Er hoffe, dass die "aktuelle Situation zwischen Gary Lineker und der BBC zeitnah gelöst werden kann". Die Regierung spiele dabei keine Rolle, betonte er. Seine Asylpolitik verteidigte Sunak jedoch. Es gehe darum, die gefährlichen Überfahrten mit kleinen Booten am Ärmelkanal zu stoppen. "Das ist nicht nur fair und moralisch richtig, sondern auch mitmenschlich das Richtige", sagte Sunak einer Mitteilung zufolge.
Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR beurteilt dies anders und wirft Großbritannien einen Bruch internationaler Verpflichtungen vor: Der von Premierminister Rishi Sunak und seiner Innenministerin Suella Braverman vorgestellte Gesetzentwurf sieht vor, irregulär eingereisten Menschen das Recht auf Asyl zu verwehren. Rechtsaußen Braverman hatte von einer "Invasion" von Bootsflüchtlingen gesprochen. Und das, obwohl Großbritannien im Vergleich zu Deutschland nur eine geringe Zahl an Flüchtlingen aufnimmt.
Braverman warf Lineker vor, den Holocaust zu verharmlosen. Mehrere konservative Abgeordnete forderten Konsequenzen für den Ex-Fußballer. Doch Lineker wollte sich nicht entschuldigen. Am Freitag suspendierte die BBC dann ihren bestbezahlten Moderator – und stürzte damit den Sender laut The Guardian
"in die schwersten Krise seit Jahren". Nach einem Massenstreik von BBC-Stars waren auch am Sonntag Sportübertragungen der BBC stark eingeschränt: Ein Spiel der Women's Super League zwischen dem FC Chelsea und Manchester United wurde ohne eigenen BBC-Kommentar übertragen. Die Sendung "Match of the Day 2" sollte wie auch am Vortag ohne Moderation, TV-Experten oder Spieler-Interviews auskommen.
Druck von Brexit-Anhänger und Rechtspopulisten
Die BBC steht schon seit Jahren unter dem Druck der Brexit-Anhänger und Rechtspopulisten in der konservativen Tory-Partei. Deren Darstellung nach ist die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt durchsetzt mit linkslastigen Journalisten, die eine urbane Elite repräsentieren. Aktionen wie im Fall Lineker wirken da wie vorauseilender Gehorsam der BBC, um derartige Kritik zu umgehen.
Es ist nur die jüngste in einer langen Reihe von Auseinandersetzungen, bei der Top-Journalisten der BBC den Rücken kehrten. Hinzu kam immer wieder die Drohung der Regierung, die Rundfunkbeiträge abzuschaffen. Ein Einfrieren der Beiträge führte bereits zu schmerzhaften Sparrunden.
Medienexperten sehen in der Dauerkritik der Tories an der BBC den Versuch, die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu brechen. Die frühere BBC-Journalistin Emily Maitlis machte ihrem Frust darüber bei einer Vorlesung im vergangenen Jahr Luft: "Wir beobachten, wie Politiker eine Richtung einschlagen, die zutiefst und eindeutig schädlich ist für unsere grundlegende demokratische Regierung", so Maitlis. Wenn eine Seite konstant die Unwahrheit sage, müsse man das auch beim Namen nennen, forderte sie.
Im aktuellen Streit um die Lineker-Suspendierung stellte auch der frühere BBC-Generaldirektor Greg Dyke der Anstalt ein schlechtes Zeugnis aus. "Das wirkliche Problem heute ist, dass die BBC ihre eigene Glaubwürdigkeit untergraben hat, indem sie das getan hat. Weil es von außen so aussieht, als habe sie sich dem Druck der Regierung gebeugt", sagte Dyke dem Radiosender BBC 4.
Nach Ansicht mancher Kritiker ist die "Auntie" (das Tantchen), wie die BBC manchmal auch liebevoll genannt wird, ohnehin längst im Griff der Regierungssympathisanten. So hatte es etwa keine Konsequenzen, als enthüllt wurde, dass der aktuelle BBC-Vorsitzende Richard Sharp dem bei seiner Einstellung amtierenden Premierminister Boris Johnson einen Privatkredit verschafft hatte - ohne das als Interessenkonflikt anzugeben.