netzpolitik.org-Chef Markus Beckedahl

"Die Gemeinnützigkeit von Journalismus muss endlich anerkannt werden"

Markus Beckedahl
netzpolitik.org
Markus Beckedahl
Die Corona-Pandemie ist auch für den Journalismus eine große Herausforderung und hat in der Medienlandschaft tiefe Spuren hinterlassen. Wie geht es weiter mit den Medien in der Post-Corona-Zeit? Beziehungsweise welche Medienlandschaft soll unsere demokratischen Gesellschaften in Zukunft prägen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des diesjährigen M100 Sanssouci Colloquiums, das am Donnerstag unter dem Motto "Neustart: Shaping the Post-Covid Media Order" in Potsdam stattfindet. Journalist und Digitalberater Frederik Fischer hat für M100 darüber im Vorfeld mit Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur netzpolitik.org, gesprochen.
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Viele Versuche, die Tech-Giganten zu regulieren, müssen als Fehlschlag gewertet werden. Sind dir auch Beispiele bekannt, die für dich in die richtige Richtung gehen im Kampf gegen Hass, Manipulation und Fehlinformation? Ich bin kein Fan des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, auch weil es von repressiven Regimen als Best-Case schlecht kopiert wird. Aber wahrscheinlich kann man schon sagen, dass damit Facebook motiviert wurde, mehr Content-Moderatoren für den deutschsprachigen Raum einzustellen als für andere Sprachregionen. In die richtige Richtung gehen viele Studien von unabhängigen Wissenschaftler:innen, die bestimmte Phänomene auf Plattformen erforschen. Wir brauchen mehr davon, um evidenzbasierter über diese Entwicklungen diskutieren zu können. Vor allem brauchen unabhängige Wissenschaftler:innen auch einen besseren Zugang zu den Daten der Plattformen über zu definierende Schnittstellen. Es ist leider eine große Machtasymmetrie, wenn die Tech-Konzerne mit ihren internen Forschungsabteilungen auf Basis ihrer eigenen Datenpools viel besser wissen, welchen Effekt technische und juristische Regeln auf der eigenen Plattform haben, als es unsere Regulierer und die Forschung können. Das müssen wir ändern.

Ihr seid ein unabhängiges Medium, das sich primär über Leser*innen finanziert und habt in den letzten Jahren viele verschiedene Experimente gewagt. Was hat besonders gut funktioniert und was hast du aus den weniger erfolgreichen Versuchen gelernt? Wir freuen uns, dass unser System der freiwilligen
Leser:innenfinanzierung gut funktioniert. Unser Team ist mittlerweile auf 15 Personen, verteilt auf 11 Vollzeitstellen, angewachsen. Aber natürlich stehen wir vor vielen Herausforderungen: Unser Themenfeld
explodiert, aber wir kommen dem nicht mehr nach und schaffen es einfach nicht mehr, alle relevanten Debatten einer sich entwickelnden digitalen Gesellschaft abzubilden.

Aber wenn wir uns auf Themen konzentrieren, 
haben wir eine gute Wirkung und können gemeinwohl- und grundrechtsorientierte Perspektiven in die öffentliche Debatte bringen. Vor allem unsere großen Recherchen binden aber viel Zeit in einem kleinen Team, sind aber wichtig und relevant, um Licht ins Dunkle von Themen zu bringen, über die sonst noch zu wenig berichtet wird. Sonst haben wir dieselben Probleme wie alle kleinen Teams: Auf welche 
Vertriebswegen konzentriert man sich, welche Plattformen passen zu einem, wo findet man die eigenen Zielgruppen? Langweilig wird es nie, das spannende am Journalismus in der heutigen Zeit ist, dass er sich rasant verändert und es mehr Chancen und Wege gibt, Geschichten zu erzählen, investigativ zu recherchieren und einzuordnen als jemals zuvor.

Es ist leider eine große Machtasymmetrie, wenn die Tech-Konzerne mit ihren internen Forschungsabteilungen auf Basis ihrer eigenen Datenpools viel besser wissen, welchen Effekt technische und juristische Regeln auf der eigenen Plattform haben, als es unsere Regulierer und die Forschung können.
Markus Beckedahl
Wir wollen beim diesjährigen M100 die Weichen stellen für eine zeitgemäße Medienpolitik. Wo siehst du im Bereich Medienpolitik momentan den größten Handlungsbedarf, um auch in zehn Jahren noch ein plurales, unabhängiges und funktionierendes Mediensystem zu haben? Die Medienpolitik sucht Antworten im Föderalismus, dabei müssten diese auf europäischer Ebene gefunden werden. Der Medienstaatsvertrag ist für diese These das beste Beispiel. Ich bin nicht davon überzeugt, dass das zukunftsfähig ist und den Herausforderungen einer globalen digitalen Welt und eines EU-Binnenmarktes entspricht. Für viele journalistischen Projekte gibt es derzeit keine funktionierenden und skalierbaren Geschäftsmodelle. Eine große Herausforderung für viele Medienprojekte ist, dass Journalismus nicht gemeinnützig ist. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, um diese Form des gemeinwohlorientierten und nicht-kommerziellen Journalismus fest in unserem Mediensystem zu verankern, als Ergänzung zum privatwirtschaftlichen Journalismus und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Gemeinnützigkeit von Journalismus muss endlich vom Gesetzgeber und den Finanzämtern anerkannt werden.

Was ist M100?
M100 ist eine Initiative von Potsdam Media International e.V., die in konzeptioneller Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik stattfindet und von der Stadt Potsdam hauptfinanziert wird. Weitere Förderer sind das medienboard Berlin-Brandenburg, National Endowment for Democracy (NED), die Friedrich Naumann Stiftung, das Auswärtige Amt und das Bundespresseamt. Kooperationspartner sind die Stiftung Preussische Schlösser und Gärten, Reporter ohne Grenzen (RoG) und der Verband Deutscher Zeitungsverleger (VDZ).

 



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