Man kann
Günter Verheugen ohne zu übertreiben als Europa-Nerd bezeichnen. 1998 wurde er zum Staatsminister für Europaangelegenheiten im Auswärtigen Amt ernannt. Ein Jahr später wechselte er in die EU-Kommission, war dort bis 2004 für die für Erweiterung zuständig. In seiner zweiten Amtszeit zwischen 2004 und 2010 war er Vizepräsident und zuständiger Kommissar für Unternehmen und Industrie. Heute ist der 75-Jährige als Honorarprofessor an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt/Oder und als Präsident des Senats der Wirtschaft Europa tätig.
Der
Brexit ist dieser Vita entsprechend eines der Herzensthemen Verheugens. Seine Worte sind dementsprechend deutlich: Keine "Naturgegebenheit" sei der Brexit gewesen, die Kritik der Briten an der EU berechtigt, das Verhandlungschaos vermeidbar.
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Mittlerweile sei klar: "Die Vorstellung, Ende dieses Jahres fertig zu sein mit den Verhandlungen, mit einem Freihandelsabkommen für Großbritannien, war sicherlich falsch. Eine solche Einigung wird es bis Ende 2020 nicht geben."
„Ich habe nichts gegen Foodwatch und Greenpeace oder wie sie alle heißen, aber, liebe Medien: NGO's haben nicht automatisch recht.“
Günter Verheugen
Viele Konsequenzen des Brexit seien stattdessen überhaupt noch nicht absehbar, klar ist aber laut Verheugen: "Die psychologischen und politischen Folgen werden gravierend sein." Das beginne schon damit, dass der Glaube daran, dass es immer irgendeine Art von Einigung geben werde, dahin sei - ebenso wie die Annahme, auf der Weltbühne eine bedeutende Rolle spielen zu können.
Im Gegenteil: Auf der Weltbühne habe man es mit Donald Trump und Boris Johnson mit Brüdern im Geiste zu tun, die die EU nicht unterschätzen dürfe. Wenig hilfreich sei dabei die Berichterstattung der deutschen Medien über das Scheitern das Freihandelsabkommens mit der USA gewesen: "Das grenzt an ein Totalversagen", kritisiert Verheugen. "Ich habe nichts gegen Foodwatch und Greenpeace oder wie sie alle heißen, aber, liebe Medien: NGO's haben nicht automatisch recht."
Trotz Medienschelte stellt Verheugen am Mittwoch aber auch deutlich heraus: "Nie war der gute Journalismus so wichtig wie heute." Vor allem in einer Zeit, in der Ungleichheit wächst und zu neuen Konflikten führt, in der Migrationsströme zunehmen und in der das
westliche Demokratiemodell nicht mehr unangefochten als das beste der Welt wahrgenommen wird. "Es gibt so viel Desinformation und falsche Aussagen, dass selbst ich oft nicht weiß, wem und was ich noch glauben soll."
kan