Soll die hiesige Politik ein europäisches Google, Facebook und Youtube fördern, gar bauen? "Es macht keinen Sinn, in etwas zu investieren, was schon existiert", kritisierte Blau in seiner Keynote am Donnerstagabend auf dem Mediendialog Hamburg solche Forderungen, wie sie Vertreter aus der (Medien-)Wirtschaft, den öffentlich-rechtlichen Anstalten und der Politik immer mal wieder platzieren. Als President Condé Nast International ist Blau seit 2017 für das gesamte weltweite Geschäft des Verlags außerhalb der USA verantwortlich. Zuvor war er beim Guardian und bei Zeit Online. "Der Mythos einer europäischen Aufholjagd verhindert Innovation", sagt er.
Eine Innovation, die (wie einst der Buchdruck, die Eisenbahn und das Internet) zu einer neuen "Explosion der Inhalte" führen kann, bei ihrer Produktion und Distribution. Für Blau ist das: automatische
Übersetzungssoftware. Sie wird kommen, sagt er. Doch wer baut sie? "Wollen wir in Europa auch diese Technologie an die USA und an China verlieren?" Daher fordert Blau von Europa und seiner Politik hier "massive Investitionen". Doch wäre das nicht der Job vor allem der privaten Medienhäuser, die mit solchen Tools ihre internationalen Geschäfte besser skalieren können? Zum Beispiel der weltweit tätige Verlag Condé Nast (Vogue, Vanity Fair, GQ)? Dieser Gedanke taucht in Blaus Rede kaum auf, insofern stehen seine Subventionsforderungen etwas unter Pro-Domo-Verdacht.
Er begründet seine Idee natürlich anders – nämlich mit dem "weltweiten Kampf der Narrative" etwa zu Themen wie Europa und Brexit. "Deutschland kann hier nicht mithalten", beklagt Blau. Selbst die klügsten Analysen der hiesigen Presse blieben auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Doch "die gezielten Versuche, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schwächen, werden weiter zunehmen", sagt er. Daher müsse man "einer europäischen
Medienöffentlichkeit auf den Weg helfen". Auch den Journalisten selber müsse doch an der Wirksamkeit ihrer Arbeit gelegen sein, an der Verbreitung ihrer Positionen. Zudem denkt Blau daran, "exzellente" und nicht allzu EU-kritische Medien bei der Übersetzung und Verbreitung ihrer Inhalte zu fördern. Hier variiert er seine Ideen eines Journalismus' mit Mission, mit denen er
bereits Ende 2017 für Irritation gesorgt hatte.
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Wolfgang Blau sieht den deutschsprachigen Journalismus in der Pflicht, die Stimme für Europa zu erheben. In einer medienübergreifenden Allianz sollten Journalisten die Welt nicht nur beschreiben, wie sie ist, sondern auch, wie sie sein könnte, sagte er.
Von einem solchen EU-Aktivismus will Blau ansonsten wohltuend wenig wissen – ganz im Gegenteil: Forderungen, Google, Facebook und Co zu zerschlagen, kanzelt er als "protektionistische Bestrafungsreflexe" ab. Europa dürfe das sich rasant verändernde Internet "nicht in eine regulatorische Wagenburg verwandeln", sondern sollte lieber versuchen, aktiv mit den Großen auf Augenhöhe zu agieren. Man müsse dem
fragmentierten Internet, dem "Splinternet" der USA (Walled Gardens der GAFAs), Chinas und Russlands (Protektionismus) ein dezidiert offenes Netz entgegenstellen, mit offenen Standards, Daten-Portabilität und höchstem Verbraucherschutz. In diesem Kontext kritisiert Blau das neue EU-Urheberrecht gallig als "bemerkenswerten Lobbyerfolg der Verleger".
Auch anderswo in Blaus Rede dürfte VDZ-Chef
Stephan Scherzer im Publikum gezuckt haben. "Die finanzielle Situation der Verlage verschlechtert sich weiter, daher wird es gerade online auf die öffentlich-rechtlichen Medien ankommen, einen für alle zugänglichen und nicht elitären Qualitätsjournalismus sicherzustellen" – etwa durch eine Versorgung der Verlage mit Live-Streams oder mit einer Instanz, die Fake News identifiziert, auch für andere Medien. Ob Blau ein solches Loblied auf marktverzerrende
Gebührenmedien auch dann singen würde, wenn sie mit schicken Mode-Inhalten vermeintlich gratis auch Condé-Nast-Leser ansprechen würden?
Vor Blaus Keynote hatte Hamburgs Erster Bürgermeister
Peter Tschentscher die USA und China bei Technologie, dem "Schrittmacher für digitale Medien", als "deutlich schneller als Europa" bezeichnet: "Die Digitalisierung ist in den USA marktgetrieben, in China staatsgetrieben", so Tschentscher: "Wir brauchen einen eigenen europäischen Weg als Alternative, die Innovation und digitalen Wandel stärker an das
Gemeinwohl bindet." Doch anstatt etwa eine eigene Medienplattform zu initiieren, solle die Politik lieber die Innovationskultur fördern, damit solche Initiativen aus dem Markt heraus entstehen, unabhängig von politischem Einfluss.
rp