Wenige Tage, nachdem Silke und Holger Friedrich von DuMont den Berliner Verlag übernommen hatten, erzählten sie in einem
Hörfunkinterview des RBB-Senders Radioeins von den zahlreichen Hilfsangeboten, die sie bereits erhalten hätten,
„auch aus China und Russland“. Sie sagten, das berge viel Potenzial, um „sehr guten Content zur Verfügung zu stellen“ und sei sicherlich interessanter „als das, was da jetzt durchoptimiert“ worden sei „und dann doch zu einer gewissen Einheitlichkeit führt“.
Damit gemeint war die überregionale Berichterstattung, die zu dieser Zeit noch von Madsacks
Redaktionsnetzwerk Deutschland geliefert wurde. Seit Februar ist dies nicht mehr der Fall. Die Kooperation besteht nicht mehr. Mangels eigener Redakteure
(Stellenausschreibungen in englischer Sprache laufen), die sich um nationale und internationale Themen kümmern, erscheinen in der Berliner Zeitung seither viele Artikel mit den Kürzeln von Nachrichtenagenturen: Einheitsware, wie sie jeder Redaktion zur Verfügung steht.
Nun mag verstörend genug sein, dass sich die Friedrichs bei der journalistischen Ausgestaltung der Berliner Zeitung ausgerechnet über Hilfsangebote aus Ländern gedanken machen, in denen demokratische Prinzipien so wenig gelten wie freie Presse. Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was nun tatsächlich auf der Webseite der Berliner Zeitung nachzulesen ist. Dort steht, aktuell sogar auf der Homepage, unter der Rubrik „Politik & Gesellschaft“ ein
Artikel über Geopolitik.
Er speist sich aus den Quellen „BLZ/Reuters/dpa/TASS“.
TASS ist die staatliche russische Nachrichtenagentur und damit nichts anderes als ein direkt vom Kreml gesteuertes Propaganda-Instrument.
Insofern mag es auf manche noch originell gewirkt haben, dass die unter dem IT-erfahrenen Holger Friedrich binnen weniger Wochen neu aufgesetzte Webseite der Berliner Zeitung außer auf Deutsch auch auf Englisch und Russisch zu lesen ist (mit allerdings seltsam funktionierender Archivfunktion und gänzlich werbefrei). Auf die Idee muss man aber erst einmal kommen, in Interviews vom Streben nach
„faktenbasiertem Journalismus“ zu palavern und dann die TASS als ganz normale Informationsquelle zu handhaben – und das auch noch ausgerechnet beim Thema
Syrien.
„Wir vertreten die Auffassung, dass es unseren Lesern zumutbar ist, eine möglichst große Vielfalt von Quellen präsentiert zu bekommen.“
Michael Maier
Der Vorgang bedeutet eine weitere Eskalationsstufe nach den zahlreichen kuriosen Erklärungen, Verhaltensweisen, dem
zweiseitigen Manifest des Verleger-Ehepaars inklusive der Danksagung an Egon Krenz, am Tag des Mauerfalls keinen Schießbefehl erteilt zu haben, sowie der Aufdeckung von Holger Friedrichs
bewusst verschwiegener Tätigkeit als
IM für die Stasi.
Am heutigen Donnerstag um 0.32 Uhr ging der Syrien-Artikel online. Am Nachmittag fragte HORIZONT den Herausgeber
Michael Maier sowie
Chefredakteur Matthias Thieme, wie es zu erklären ist, dass die Berliner Zeitung die staatliche Nachrichtenagentur TAA wie eine ganz normale Agenturquelle behandelt. Maier antwortete, die Meldung habe frei zugänglich auf der Webseite der TASS gestanden: "Wir vertreten die Auffassung, dass es unseren Lesern zumutbar ist, eine möglichst große Vielfalt von Quellen präsentiert zu bekommen." Im Übrigen sei ihm "nicht bekannt, ob es im deutschen Pressekodex Regeln gibt, die die Zitierung der TASS verbieten."
usi