Bereits Anfang September hatte HORIZONT berichtet, dass Xing in Hamburg unter der Ägide des ehemaligen „Wirtschaftswoche“-Chefredakteurs Tichy und der früheren „FTD“-Redakteurin Lachman eine eigene Redaktion aufbaut, um noch mehr zu einem Content-Anbieter zu werden. Vier Wochen später hatte Xing die Personalien und den Plan bestätigt. Schon seit Monaten fungiert die Plattform mit zahlreichen Branchen-Newslettern und -Sites als Distributionskanal für Medien (auch HORIZONT Online ist dort mit einer Seite vertreten).
Nun also Xing Klartext. Das Prinzip: Wirtschaftspromis wie in dieser Woche Post-Boss
Frank Appel, Deutsche-Bank-Finanzvorstand
Marcus Schenck und DGB-Vize Elke Hannack platzieren Positionsbeiträge zu Themen, die ihnen (bzw. ihren PR-Strategen) wichtig sind. Dies kommentieren dann kritisch weitere Wirtschaftsvertreter – Verantwortliche anderer Unternehmen, Organisationen oder Forscher – mit ihren Meinungs- und Erfahrungsbeiträgen. Parallel dazu können alle Xing-Mitglieder alle Texte munter
kommentieren; den besten und klickstärksten Kommentatoren bietet die Redaktion an, ebenfalls Klartext-Autor zu werden.
In der Anfangsphase will man auf diese Weise pro Woche ein allgemeines wirtschaftliches (oder wirtschaftspolitisches) sowie ein karrierebezogenes Thema durchspielen, mit jeweils rund fünf Beiträgen, je nach Resonanz. Die Aufgaben der inklusive Tichy und Lachman zunächst siebenköpfigen Redaktion (plus freie Mitarbeiter): Themen und Autoren suchen,
Debatten moderieren, Ghostwriting und Redigieren von Beiträgen – und darauf achten, dass die Autoren Maß halten bei Agenda-Setting, PR und Selbstdarstellung zum Firmen- oder Eigenwohl. Man habe Beiträge auch schon zurückgewiesen und werde dies weiterhin tun, heißt es. Ausschließen kann Xing diese Motive indes kaum, denn alle Autoren, die die Plattform mit Content beliefern, erhalten kein Geld dafür. Sondern nur die
Aufmerksamkeit der Xing-Nutzer und, falls Pressemedien aus den Texten zitieren, auch darüber hinaus.
Xing sei „die größte
Wirtschafts-Community im deutschsprachigen Raum“, sagt Tichy, „keine andere Plattform bietet einen so differenzierten Einblick in alle Teile unserer Wirtschaft und das Arbeitsleben“. Dieses Wissen wolle man heben und so zur „Stimme der deutschen Wirtschaft“ werden, auch als eine Art Enzyklopädie.
Das Ziel der
Inhalte-Offensive: Mehr Xing-Nutzer (bisher: 9,2 Millionen), mehr angemeldete Mitglieder (bisher: 9 Millionen), mehr zahlende Premium-Mitglieder (bisher: 860.000). Zwar kann jedermann alle Klartext-Beiträge lesen. Doch zum Kommentieren muss man angemeldet sein, die Gratis-Mitgliedschaft reicht aus. Die Hoffnung: Je intensiver sich die Mitglieder auf Xing tummeln, desto eher schließen sie auch
Abos ab. Doch selbst wenn nicht: Durch den neuen Content steigen sowohl die Umfeldqualität der Plattform als auch die Verweildauer einer attraktiven und gut adressierbaren Zielgruppe. Man darf also annehmen, dass Xing eines Tages mit der
Werbevermarktung beginnt. Bisher will die Burda-Tochter (50,3 Prozent) davon jedoch nichts wissen: Man habe bereits ein funktionierendes Geschäftsmodell, „eine Vermarktung der Umfelder von Xing Klartext ist vorerst nicht geplant“. Notabene: vorerst.
Mit dem Klartext-Format alleine, von dem man kaum eine eigene Haltung (Lachman: „Xing Klartext selber ist
politisch neutral“), Investigatives und übergreifende Analysen erwarten kann, macht Xing den etablierten Wirtschaftssites noch keine journalistische Konkurrenz. Das könnte sich allerdings ändern, wenn das Netzwerk weitere Angebote startet; Klartext sei nun das erste
redaktionelle Format im Rahmen der Xing-Content-Offensive mit der Produktion eigener Inhalte, lässt sich CEO Thomas Vollmoeller zitieren.
Indirekt macht
Xing Klartext den Etablierten aber schon jetzt Konkurrenz: Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Leser, während in den nächsten Wochen auch
Business Insider in Deutschland startet. Außerdem dürfte sich der redaktionelle Kampf um Wirtschaftsköpfe und Experten als Autoren verschärfen in einer Zeit, in der auch die Portale von
„Manager Magazin“, „Wirtschaftswoche“ und „Handelsblatt“ gerne öfters Gastautoren zur Feder bitten.
Und auch Xing Klartext hat bereits direkte Konkurrenz – vom internationalen Online-Karrierenetzwerk
Linkedin, das kürzlich die
deutsche Version seiner Autorenplattform gestartet hat, mit zunächst drei „Influencern“, darunter Saatchi & Saatchi-Chef Christian Rätsch. Bisher kommt Linkedin hier jedoch weniger themenzentriert daher. Fazit: All dies stützt die These, dass Digitalplattformen mit ihren Nutzerkontakten, ihrer Technologie und ihren Daten immer mehr
Verlagsfunktionen übernehmen (HORIZONT 30/2015).
rp