Werbewirkung

Medienprofessor Michael Haller beklagt Forschung "wie in analogen Zeiten“

Professor Michael Haller
Hamburg Media School
Professor Michael Haller
Seit langem kabbeln sich Marketeers, Agenturen und Vermarkter um die Interpretationshoheit bei Werbewirkungsforschung. Nun sagt Michael Haller, Vorstand des Europäischen Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig und Forschungsleiter der Hamburg Media School: Alle gängigen Methoden untersuchen im Grunde das Falsche.
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Und zwar deshalb, weil sie eine Medienlandschaft und -nutzung voraussetzten, wie es sie schon längst nicht mehr gebe. In HORIZONT erklärt Haller, dass man stattdessen – mit den Methoden des Neuromarketings – ins Gehirn der Konsumenten vordringen müsse. Weil erst dort Werbewirkung entstehe, durch die Wechselbeziehungen zwischen Botschaften in immer mehr Kanälen, deren Einzelabfrage immer weniger Sinn ergebe. HORIZONT Online dokumentiert vier Fragen aus dem Interview (vollständig in Ausgabe 29/2015 vom 16. Juli).


Die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) tüftelt an einem Modell, das die Wirkung von Werbekampagnen in sechs Mediengattungen übergreifend misst und anhand von sechs Leistungskennziffern vergleichbar macht. Ist das realistisch, sogar sinnvoll? Das Anliegen der Werbewirtschaft, bei crossmedialen Kampagnen mehr Transparenz hinsichtlich der Wirkung der einzelnen Kanäle zu erhalten, ist absolut verständlich. Ebenso wie der Versuch der jeweiligen Gattungen, sich hierbei voneinander abzugrenzen, um die eigenen Stärken herauszustellen. Dies erschwert natürlich den Aufbau einer übergreifenden Plattform. Aber das ist noch nicht das eigentliche Problem bei diesem Ansatz.

Sondern was? Selbst wenn es gelänge, eine übergreifende Plattform zu installieren: Mit herkömmlichen Studiendesigns würde man Fragen beantworten, die die Werbekunden so gar nicht haben.
Wie meinen Sie das? Die gängigen Forschungsmodelle und Methoden untersuchen, auf welche Signale über welche Kanäle welche Rezipienten wie reagieren, und zwar Kanal für Kanal. Das bildet aber die Art und Weise, wie Medien heute wahrgenommen und genutzt werden, längst nicht mehr ab. Dieser Ansatz stammt aus den analogen Zeiten und ist ein halbes Jahrhundert alt. Nicht nur die jungen Erwachsenen, auch schon 30- bis 40-Jährige bestreiten heute ihren Alltag mit individuell ausdifferenzierten Medienrepertoires aus klassischen, digitalen und mobilen Formaten, aus Newsfeeds, Apps und Peer-to-Peer-Plattformen.

Taugen denn wenigstens die gängigen Leistungskennziffern – die sogenannten Key Performance Indicators (KPIs) – wie Markenbekanntheit und Kaufabsicht noch etwas? Diese KPIs liefern nach wie vor eine sinnvolle Heuristik, und sie sind kompatibel mit neurophysiologischen Ansätzen. Auch in der Praxis, bei den Werbekunden, sind sie gefragt. Allerdings liefert das klassische KPI-Konzept immer nur eine einzige Stimulus-Response-Dimension. Konsumgenerierungsprozesse laufen aber niemals eindimensional ab. Die KPIs modellieren also nur einen – den vordergründigen – Teil aller relevanten Handlungen. Die Befunde aus der Neuro-Forschung liefern den Kontext, sie geben dem KPI-Konzept die notwendige Tiefenschärfe.

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