Dirk Ippen
Der Verleger Dirk Ippen hält ein Zeitungssterben in den nächsten zehn Jahren in Deutschland für unwahrscheinlich. "Der Trend wird zunehmen, dass Zeitungen sich in immer größeren Gruppen zusammenschließen. Aber die Zeitungen, die jetzt da sind, wird es dann schon noch geben", sagte der Verleger von Titeln wie "Münchner Merkur", "tz" und "Hessische/Niedersächsische Allgemeine" in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in München. Um die Zukunft der Branche geht es am 21./22. September beim Deutschen Zeitungskongress in Regensburg.
Jammern die Zeitungsverleger zu viel - oder reden sie im Gegenteil ihre Lage schön? Die deutschen Verleger, die ich kenne, haben keinen Grund zu jammern. Die Struktur in Deutschland mit den vielen Lokal- und Regionalverlagen hat sich bewährt und steht auch noch fest da - sehr viel besser, als man erwarten konnte bei all den Revolutionen, die wir durch die digitale Welt erleben. Nachdenken muss man natürlich darüber, wo wir in zehn Jahren sein werden.
Wie viele Zeitungen wird es dann noch geben? Der Trend wird zunehmen, dass Zeitungen sich in immer größeren Gruppen zusammenschließen. Aber die Zeitungen, die jetzt da sind, wird es dann schon noch geben. Sie werden nicht mehr jeden erreichen. Der Weg geht von der Masse in die Nische. Die Bedeutung wird sinken, außer in Spezialbereichen wie Wochenzeitungen.
Die Reichweiten sind doch dank digitaler Angebote gestiegen. Ja, das ist so. Die Gesamtreichweite - Print und Digital - ist so hoch wie nie zuvor. Das bringt aber noch wenig Geld. Denn die Erwartung, dass der Anzeigenkunde so wie in der Zeitung auch online einen bestimmten Platz kauft, hat sich nicht erfüllt. Das ist konventionelles Denken und nicht die echte digitale Werbeform.
Wie sieht die denn aus? Die besteht aus Vernetzung und Ins-Gespräch-Bringen: Jemand empfiehlt zum Beispiel etwas auf Twitter oder Facebook und Tausende andere leiten das weiter. Google bewertet ja auch Informationen danach, wie oft sie anderswo aufgerufen werden. Hinzu kommt, dass man einiges über die Nutzer wissen muss. Das ist ein Prozess, der auch bei den Zeitungen anläuft und wo wir noch einiges erreichen werden. Die Online-Nutzer sind aber nicht dieselben wie die Print-Nutzer, sondern das sind zwei Kreise, die sich nur teilweise überschneiden.
Die meisten Printleser sind über 50. Werden die Jüngeren, die digital aufwachsen, mit über 50 noch den Weg zur Printzeitung finden? Ich glaube eher nicht.
Halten Sie es für sinnvoll, dass notleidende Zeitungen mit öffentlichen Stiftungen subventioniert werden? Vor allem in den USA gibt es bereits gute Privatstiftungsmodelle. Ich bin nur dagegen, dass der Staat das macht. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Ich möchte nicht, dass die deutschen Zeitungen in eine staatliche Abhängigkeit kommen. Das ist auch gar nicht notwendig.
Wieso? Welche Zeitung ist denn überhaupt in Konkurs gegangen? Ganz wenige, und wenn, dann hat es immer individuelle Gründe gehabt. Wir sind in Deutschland keine sterbende Branche bisher. Ich sehe auch in Zukunft nicht ein plötzliches Zeitungssterben.
Die Verleger kämpfen auch politisch um ihre Zukunft und haben das Leistungsschutzrecht erstritten, um journalistische Produkte in der digitalen Welt zu schützen. Das hat aber nichts gebracht, oder? Das Leistungsschutzrecht ist zwar gekommen, aber nicht so, wie die Verleger es wollten. Die Regierung hat uns helfen wollen, ist aber einen Mittelweg gegangen. Am Ende ist eigentlich gar nichts geregelt worden. Träume gehen meistens nicht so in Erfüllung, wie der Träumende es sich vorgestellt hat.
Sie warnen vor staatlicher Abhängigkeit. Gibt es bei den Lokalzeitungen nicht auch dadurch Abhängigkeiten, dass manche Reporter sehr nah dran sind an den führenden Akteuren, über die sie berichten? Das mag in Einzelfällen vorkommen, ist aber nicht typisch. Das Internet ist da auch ein sehr guter Erzieher. Wenn ein Journalist, der mit dem Bürgermeister befreundet ist, etwas Falsches schreibt, zum Beispiel dass nach dem Winter alle Schlaglöcher wieder repariert sind, dann kann es ihm passieren, dass jemand bei Twitter schreibt: "Das stimmt ja gar nicht. Vor meiner Tür ist immer noch ein Schlagloch."
Trifft der "Lügenpresse"-Vorwurf einen wunden Punkt? Haben die Qualitätsmedien ein Glaubwürdigkeitsproblem? Nach meiner Meinung gibt es das Glaubwürdigkeitsproblem nicht. Alle Umfragen kommen zu dem Ergebnis, dass die Glaubwürdigkeit der gedruckten Presse von allen Medien am größten ist. Auch manche Übertreibungen in Boulevardzeitungen sind viel weniger geworden. Dass die "Bild"-Zeitung sich beim Griechenland-Thema auf eine Seite stellt, halte ich für legitim. Das darf man.
Sie haben mal den "Schwarmgeist" von Journalisten kritisiert. Welches Thema, das nicht dem Zeitgeist entspricht, vermissen Sie gerade? Ja. Themen, die nicht dem Zeitgeist entsprechen, haben es sehr, sehr schwer, an die Oberfläche zu kommen. Was die Menschen nicht hören wollen, kommt auch nicht durch. Entgegen dem, was Medien eigentlich nachgesagt wird, wollen sie nicht gerne der Überbringer schlechter Nachrichten sein. Gesetzt im Zeitgeist ist, dass wir einen überwiegend durch Menschen gemachten Klimawandel haben. Ich weiß aber nicht, ob das wirklich stimmt. Es wäre sehr wichtig, dass auch Wissenschaftler gehört werden, die diese allgemein geglaubte Meinung kritisch hinterfragen.
Sollten die Medien das Schlimme, über das sie täglich berichten, einbetten in eine positive Grundstimmung und auch "gute Nachrichten" übermitteln? Ja, ganz wichtig. Lokalzeitungen müssen den Menschen das Gefühl geben, dass der Ort, in dem sie leben, eine positive Region ist. Eine Zeitung macht einen großen Fehler, wenn sie die eigene Heimat runterschreibt. In München ist einmal im Jahr Oktoberfest. Am Tag nach der Eröffnung dürfen Sie nicht nur schreiben, was alles schlecht gelaufen ist, sondern Sie müssen die positive Stimmung rüberbringen.
Seit Juni können Zeitungen ihre Inhalte direkt in der Facebook-App veröffentlichen. Wie beurteilen Sie diese "Instant Articles"? Das ist Chance und Gefahr zugleich. Facebook hat sich ja bereiterklärt, die Erlöse mit den Verlegern zu teilen. Zugleich wächst damit die Abhängigkeit von Facebook. Unser Haus hat sich dagegen entschieden im Moment, aber grundsätzlich sind wir offen dafür.
Warum sitzen die großen Digitalkonzerne Google, Facebook, Apple und Amazon eigentlich alle in den USA und nicht in Deutschland? Ja, darüber sollten auch unsere Politiker mal nachdenken. In den USA gibt es eine größere Freiheit, auch einen geringeren Datenschutz, eine unternehmerische Kultur, mehr Risikobereitschaft, also die Bereitschaft, etwas zu probieren und versagen zu können, und eine wirtschaftsnahe Universitätskultur. Die USA sind ein Magnet für Talente aus aller Welt. Wer hat denn Google gegründet? Die Kinder jüdischer Emigranten aus Russland. 40 Prozent der Mitarbeiter von Google sind Asiaten. Die multikulturelle Welt im Einwanderungsland USA funktioniert. Bei uns sind dagegen die Bedenkenträger und Vorschriften sehr stark. Interview: Bernward Loheide, dpa