Tyler Brûlé vertraut auf die Stärken von Print - und auf "Monocle"
Gut, dass auch die Engländer das deutsche Wort Zeitgeist kennen. Sie hätten es erfinden müssen für Tyler Brûlé, weil Zeitgeist etwas ist, für das sich der
"Monocle"-Macher explizit nicht interessiert. Er macht Print für jede Jahreszeit, während alle über Digitalisierung sprechen; er startet ein Radio, während die anderen streamen. Im Interview mit HORIZONT spricht der Hipster der internationalen Printszene über seine neuen Travelbooks, über Facebook und über die Vorreiterrolle Deutschlands im Kampf gegen Google.
"Monocle" gilt als eines der kreativsten Printmagazine der Welt. Mittlerweile gibt es eine eigene Winter-Ausgabe, im Juli folgt die Sommer-Variante, seit ein paar Wochen veröffentlichen Sie eigene Reiseführer, die Sie wie viele andere Line Extensions gemeinsam mit dem Berliner Verlag Gestalten herausgeben. Woher kommt Ihr unerschütterlicher Glaube an Print? Mit einem iPad liest es sich nun mal nicht so gut am Strand, bei all dem Sand, dem Wasser, der Sonnencreme. Nein im Ernst: Der Erfolg gibt uns recht. Ich wollte mit den Travelbooks eigentlich noch etwas warten, aber es scheint, als gebe es einen Markt dafür. Junge Unternehmer, Entrepreneurs, Start-up-Gründer, die viel unterwegs sind und wenig Zeit haben, wollen offenbar genau solche Magazine lesen, sie verkaufen sich zumindest unglaublich gut. Die Ausgaben für New York und London sind gerade erschienen, Tokio und Hongkong folgen Ende Juni, im Herbst Madrid, Bangkok, Istanbul und Miami. Wir versuchen, künftig acht bis zehn Travelbooks im Jahr zu machen. Das wird ein sehr signifikanter Geschäftsbereich für uns, meine anfängliche Skepsis ist definitiv verflogen. Deshalb sehe ich keinen Grund, an der Existenzberechtigung von Print zu zweifeln.
Nur weil es eine Klimaanlage gibt, heißt das nicht, dass wir unser Fenster nicht mehr selbst öffnen können
Tyler Brûlé über seine Verweigerungshaltung gegenüber Google, Facebook und Co
Wenn Sie zweifeln, dann wohl eher an der Existenzberechtigung von Plattformen wie Facebook und Co. Die "Monocle"-Website ist fast ausschließlich zahlenden Abonnenten vorbehalten, soziale Netzwerke interessieren Sie nicht. In Deutschland gelten Verlage, die so agieren, als ziemlich uncool. Ich weiß. Die Leute denken, wir sind verrückt. Aber mich interessiert das Gerede in sozialen Netzwerken nicht besonders. Und ich betrachte Google, Facebook, Instagram und alle anderen als Wettbewerber, die die Aufmerksamkeit unserer Leser und das Geld unserer Werbekunden wollen. Fertig. Natürlich bieten sich für uns ganz wunderbare neue Möglichkeiten, unsere Marke zu promoten. Kostenlos. Aber ich will Google und Facebook keinen Markt geben, meine Leser zu begeistern und dann mit ihrem unlimitierten Datenschatz ihr eigenes Geschäftsmodell aufzubauen. Deshalb mache ich nicht mit. Nur weil es eine Klimaanlage gibt, heißt das nicht, dass wir unser Fenster nicht mehr selbst öffnen können.
Mit der Einführung der Facebook Instant Articles ist die Diskussion bei uns gerade hochaktuell. Manche glauben, eine solche Zusammenarbeit sei die endgültige Kapitulation der Verlage.Und das völlig zu Recht. Sehen Sie, ich war kürzlich mit Thomas Lindner von der "FAZ" zu Mittag essen, und er sagte: Google macht Senf, Publisher die Wurst. Wenn du keine Wurst hast, ist Senf ziemlich uninteressant. Und natürlich müssen sich Publisher überlegen, wo sie ihre Wurst verkaufen wollen, ob sie sie im Kühlschrank lassen, die Leute zu ihnen in die Küche bitten oder sie auf der Straße anbieten. Das ist ein sehr guter Vergleich. Grundsätzlich glaube ich aber auch, dass Deutschland allmählich zum Vorreiter im Kampf gegen Google wird. Vor allem was Print betrifft, haben die Deutschen eine internationale Stimme, die gehört wird.
Neu am Kiosk: "Monocle"-Travelguides
Ist das in Ihrer Heimat anders? In Amerika und Großbritannien sind die Menschen zu sehr fixiert auf das Silicon Valley, jeder will dort sein, wo der Fortschritt ist, wo sich der Nachwuchs tummelt. Aber macht das Sinn? Wenn deine Stammleser 45 oder 55 Jahre alt sind? Das ist lächerlich. Irgendwann werden die Leute merken, dass das Anzeigengeld zu Facebook wandert und bei den Medien nichts bleibt. Ich möchte nicht irgendwann in einem Interview gefragt werden, wie ich es geschafft habe, den Tod meines eigenen Geschäfts herbeizuführen.
Der deutsche Printmarkt als internationales Paradebeispiel – das ist interessant. Sie sind regelmäßig in Deutschland, in der hiesigen Branche gut vernetzt und ein gefragter Redner. Wie nehmen Sie den Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt wahr? Für mich ist der deutsche Markt extrem inspirierend, vor allem im Vergleich zum angelsächsischen Raum, in dem ich lebe. Es gibt sehr viele interessante Formate – in UK und USA erscheint nie etwas Neues, und wenn, dann nicht am Kiosk. Es ist wahrscheinlicher, in Stuttgart, Hamburg oder München englischsprachige Magazine am Kiosk zu finden als mancherorts in Großbritannien. Gruner + Jahr steckt beispielsweise sehr viel Geld in seine Titel, nehmen Sie nur "Beef". Unterschiedliche Spin-offs einer Marke zu machen – für mich ist das eine typisch deutsche, wobei, eigentlich eine typisch Hamburger Erfindung! Ich weiß, die Deutschen sind nicht die Optimistischsten, für sie ist das Glas immer halb leer. Aber glauben Sie mir, ich bin extrem viel unterwegs, Deutschland
ist inspirierend.
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