Diesmal haben es Gesellschafter und Geschäftsführung des "Spiegel" etwas schneller hingekriegt und mit etwas weniger öffentlichem Bestaunen des Karussells tatsächlicher oder vermeintlicher (und teilweiser absurder) Kandidaten als bei der Nachfolgersuche des Ende 2007 geschassten Chefredakteurs
Stefan Aust. Nach quälenden Wochen der Unsicherheit wurden damals schließlich Anfang 2008
Mathias Müller von Blumencron (bis dato Spiegel Online-Chef) und
Georg Mascolo (bis dato einer der Chefs des Berliner "Spiegel"-Büros) als Doppelspitze inthronisiert.
Nach über fünf Jahren wurden beide nun
vor drei Wochen abgesetzt, wegen "unterschiedlicher Auffassungen zur strategischen Ausrichtung". Dem Vernehmen nach wurden Mascolo die schlechte Auflagenentwicklung, Qualitätsmängel bei großen Geschichten und der Cover-Politik sowie ein rüder Führungsstil vorgeworfen. Müller von Blumencron hingegen soll sich beharrlich gegen die von Geschäftsführer
Ove Saffe mit Rückendeckung der Gesellschafter ausgegebene
behutsame Paid-Content-Strategie gesperrt haben. Und beiden wurde vorgeworfen, dass ihr
schlechtes Verhältnis zueinander sämtliche
Strategiegespräche - etwa über eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Print und Online - blockiert habe.
Nun also
Wolfgang Büchner. Der 46-Jährige gilt als versierter (Nachrichten-) Journalist, erfolgreicher Redaktions-Organisator, Online-Experte und exzellenter Mitarbeiter-Motivator. Und er kennt das komplizierte Haus "Spiegel". Seine Vita spricht für sich: Nach einem Politikstudium arbeitete Büchner acht Jahre für die Nachrichtenagenturen
AP und
Reuters, zuletzt in leitenden Positionen. Danach wechselte er für knapp drei Jahre (1999-2001) als Chef vom Dienst ins Gründungs- und Startteam der
"FTD", bevor er Mitte 2001 zu
Spiegel Online stieß: zunächst als Geschäftsführender Redakteur, dann unter Müller von Blumencron als stellvertretender Chefredakteur und schließlich, nach dessen Beförderung, als Chefredakteur, gemeinsam mit Rüdiger Ditz.
Im Sommer 2009 wechselte Büchner dann an die dpa-Spitze und machte sich dort schnell einen guten Namen: Mit neuen, aufgepeppten journalistischen Produkten und einer veränderten Redaktionsorganisation (inklusive Umzug nach Berlin) führte er die dpa ins
digitale Zeitalter und gewann abtrünnige Verlagskunden zurück. Beste Empfehlungen also für einen großen Teil der digitalen Strategiebaustellen, die sich beim Spiegel" auftun.
Kein Wunder also, dass Büchner schnell als Top-Kandidat für einen der einflussreichsten Posten im deutschen Journalismus gehandelt wurde - und dass er es jetzt wird. Zumal er, anders als andere Kandidaten von (größerem?) Format und mit ähnlicher Erfahrung, den Job wollte sowie halbwegs unkompliziert verfügbar und allen Gesellschaftern vermittelbar war.
"Zeit"-Chef
Giovanni di Lorenzo? Nicht verfügbar. "Handelsblatt"-Herausgeber
Gabor Steingart? Hat abgewinkt, bevor jemand sagen konnte, dass er gar nicht jedem Gesellschafter (der "Spiegel" gehört zu 50,5 Prozent den Mitarbeitern) vermittelbar wäre. "Spiegel"-Gründer-Adoptivsohn, Millionenerbe, Minderheitsgesellschafter, "Freitag"-Verleger, Talkshow-Dauergast und Spiegel-Online-Kolumnist
Jakob Augstein? Vor allem der Verlagsseite nicht vermittelbar. Augstein positioniert sich als stramm links, da befürchteten manche einen "Linksruck" des Magazins und Auswirkungen aufs (Werbe-) Geschäft.
Bei Büchner gab es keine Hindernisse und Einwände dieser Art. Doch reicht das als Empfehlung für den Posten des "Spiegel"-Chefredakteurs? Teile der fünfköpfigen Geschäftsführung der Mitarbeiter KG, die die Mitarbeiteranteile am Verlag bündelt, sowie angeblich auch der Veto-berechtigte Gesellschafter Gruner + Jahr (25,5 Prozent) stellten sich genau diese Fragen: Ist Büchner auch ein guter
Magazinmacher? Ein Themensetzer? Ein publizistischer Kopf? Ein politischer Denker? Kann und will er in TV-Talkshows nach dem schlitzohrigen
Stefan Aust und dem gewichtig bis gravitätisch wirkenden Georg Mascolo eine gute Figur machen?
Doch Fragen dieser Art waren wohl letztlich weniger entscheidend. Denn durch das frühzeitige Bekanntwerden der Ablösungspläne von Müller von Blumencron und Mascolo war der Zeitdruck groß - und es gab eben auch keine Alternativen. Außerdem wollte keiner der Gesellschafter den Verlagsgeschäftsführer
Ove Saffe, dem manche in dem Prozess eher ungeschicktes Agieren anlasten, durch ein Veto gegen Büchner desavouieren. Diskutiert wurde auch, über Büchner einen oder mehrere
Herausgeber zu installieren, zum Beispiel eben Jakob Augstein. Doch ein Herausgeber mit Drang zu inhaltlicher Mitsprache hätte den Chefredakteursposten entwertet - und darauf hätte auch Büchner wohl keine Lust gehabt.
Doch die wichtigste Erkenntnis lautet: Ja, Büchner konnte bisher seine Fähigkeiten als Blattmacher nicht zeigen - weil er gar nicht die Gelegenheit dazu hatte. Doch das heißt ja nicht, dass er es nicht könnte, wenn er müsste. Jetzt darf er, jetzt muss er, jetzt kann er
alles zeigen, was er kann. Und nebenbei: Auch Stefan Aust trat damals, Ende 1994, ohne jegliche Erfahrung als Blattmacher an der "Spiegel"-Spitze an - und führte das Blatt dann höchst erfolgreiche 13 Jahre lang.
Bis zum Antritt Büchners wird die Redaktion des Spiegel geführt von den beiden stellvertretenden Chefredakteuren
Klaus Brinkbäumer und
Martin Doerry.
Rüdiger Ditz, Chefredakteur von Spiegel Online, verantwortet bis dahin das Nachrichtenangebot im Internet.
rp