Vor drei Wochen, da tourte
Wolfgang Büchner mit weiteren deutschen Medienschaffenden für fachliches Sightseeing durch New York, hierzu gab es
heitere Bilder bei Twitter. Weniger witzig war die Stimmung derweil im heimischen Hamburg, in der
"Spiegel"-Redaktion. Nach HORIZONT-Informationen aus mehreren Quellen sind in jenen Tagen drei Ressortleiter bei "Spiegel"-Geschäftsführer
Ove Saffe vorstellig geworden, um vor allem eine Botschaft loszuwerden: Dass eine weitere Zusammenarbeit mit Büchner kaum mehr möglich sei.
Nun gehört
heftige Kritik einzelner Personen oder auch Gruppen (Ressorts, Print/Online, die Frauenfraktion) am Chefredakteur beim "Spiegel" seit jeher dazu wie die servierten Lunches in der Kantine - ein "Spiegel"-Boss, der unumstritten ist, der müsste sich ernsthaft Sorgen machen. Doch diesmal erklingt die Kritik systematischer, denn die drei Ressortleiter - die Rede ist von
Alfred Weinzierl (Deutschland),
Susanne Amann (Stellvertreterin Wirtschaft) und
Ullrich Fichtner (Gesellschaft) - sollen im Namen aller Ressortchefs gesprochen haben. Das heißt all derer, die zuvor beim monatlichen informellen Ressortleitertreffen dabei (und nicht verreist) waren und den Klagegang zu Saffe einstimmig beschlossen haben sollen.
Was war Thema bei dem
Treffen, zu dem sich Sprecher von Verlag und Redaktion nicht äußern wollen (Weinzierl, Amann und Fichtner selber waren bisher nicht zu erreichen)? Um die Kritik, die Büchner bereits seit seinem Start beim "Spiegel" im September 2013 - man erinnere sich hier an die
umstrittene Installation des "Bild"-Manns Nikolaus Blome in der Chefredaktion - entgegenschlägt: Büchner, so werden seine Kritiker nicht müde zu beklagen, sei ein technokratischer
Redaktionsmanager und kein intellektueller publizistischer Kopf, der Themen setze und Debatten führe. Er interessiere sich kaum für Inhalte, rede zu wenig mit seinen (leitenden) Redakteuren, sei oft nicht präsent, verstehe die
"Kultur" des Hauses nicht.
An solcher Kritik mag ja etwas dran sein - doch um was geht es wirklich? Darum, dass der "Spiegel" im selben Dilemma steckt wie viele andere Verlage: Noch nie hat die Marke in Print plus Online so viele
Menschen erreicht - aber auch noch nie
so wenig Umsatz erzielt. Zwei Besonderheiten machen gerade Büchners Job zur Herkulesaufgabe: Erstens guckt ganz Mediendeutschland zu, wegen der Größe und publizistischen Bedeutung von "Spiegel" und Spiegel Online. Die Fachwelt erhofft sich
neue Erkenntnisse, das bloß interessierte Publikum lässt sich von den "Spiegel"-Fechtereien gerne unterhalten. Und zweitens die
Verfasstheit des Hauses: Es gehört mehrheitlich den Mitarbeitern - aber nur den Print-Leuten.
Auf der einen Seite stehen also dieSpiegel-Onliner, die Reichweiten- und (zumindest bis zum vergangenen Jahr) Umsatzzuwächse verbuchen können - die aber offiziell wenig zu sagen haben. Und auf der anderen Seite die Print-Redaktion, deren traditionell stark ausgeprägtes
Selbstbewusstsein durch rückläufige Auflagen und Umsätze angegriffen wird - die aber, gemeinsam mit den Verlagskaufleuten, als Mehrheitsgesellschafter den Kurs bestimmen.
Hinzu kommt: Büchner will, dass Heft- und Onlineredaktion
enger zusammenarbeiten. "Es gibt keine schönere intellektuelle Herausforderung als die, zu überlegen, wie wir unsere Art zu arbeiten in die digitale Welt übertragen können", hatte Büchner vor einem halben Jahr
im HORIZONT-Interview (Ausgabe 5/2014) gesagt. Er will Produkte, Abläufe und Strukturen neu abstimmen, somit
Fürstentümer zerschlagen und darauf hinwirken, beide Redaktionen irgendwann zusammenzulegen. Spätestens dann müssten die Print-Kollegen ihre Privilegien (Konditionen, Mitsprache, Gewinnausschüttung statt nur -beteiligung) mit den Onlinern teilen. Noch schwerer als das dürfte für manche Printler der befürchtete
Statusverlust wiegen.
Deshalb wächst bei einem Teil der Print-Redaktion der Unmut in dem Maße, wie Büchner seine
Pläne, die er erstmals
im Dezember 2013 vorgestellt hat, beginnt umzusetzen,
im Heft, in der
Führung von Heft- und
Netzredaktion, beim Produkt
Spiegel Online. Manchen schwant, was andere begrüßen: Er meint es offensichtlich ernst, er arbeitet seine Agenda ab. Schwer einzuschätzen ist in der Heftredaktion das
Kräfteverhältnis von Büchner-Gegnern, -Befürwortern und denen, die beginnen zu ahnen, dass sich manche Dinge und bisherige Gewissheiten vielleicht tatsächlich mal verändern müssten. Einzelne Redakteure sagen, die Anti-Büchner-Fraktion werde kleiner - aber ihre Stimme nach innen und außen umso lauter.
Mag sein. Nach innen - siehe das Treffen mit Saffe. Und nach außen? Hier dürfte nun wieder die Hochsaison der
Durchstechereien beginnen. Die Großwetterlage passt: Es brodelt in der "Spiegel"-Redaktion, und die Medien stecken im Sommerloch. So skandalisierte vor ein paar Tagen
die "Berliner Zeitung", eine bewährte Anlaufstation für die
Empörten bei "Spiegel" und "Stern", mit rührender Akribie die Genese des Wulff-Titelinterviews; die Kollegen von "Meedia" haben das Thema schließlich
angemessen irritiert kommentiert.
Dann also Business as usual? Nein, keineswegs. Denn dass Büchner jetzt quasi offiziell alle mächtigen Print-Ressortleiter gegen sich hat, ist
keine Petitesse. "Spiegel"-Insider können sich kaum vorstellen, wie das auf Dauer funktionieren soll. Daraus gibt es nur zwei Auswege: Entweder war dies jetzt der Höhepunkt des Widerstands, bevor er bald durch die normativen Kräfte des faktischen Alltags zu bröckeln beginnt, ähnlich wie vor einem Jahr die Resolutionen
gegen Blome und die
Spitze der Mitarbeiter KG; sozusagen
das letzte Gefecht der Büchner-Gegner. Büchner könnte diesen Weg mit befördern, in dem er mehr Kritik annimmt statt wegwischt.
Oder der zweite Ausweg: Die Kritik an Büchner führt dazu, dass Geschäftsführer Saffe und die fünfköpfige Geschäftsführung der
Mitarbeiter KG ihren Chefredakteur aus dem Amt kippen. Dies ist aber so lange unwahrscheinlich, wie Büchner seine Agenda "Spiegel 3.0", abgesegnet von Saffe und von allen Gesellschaftern, noch nicht abgearbeitet hat. Zudem gilt nur ein Kopf (Deutschland-Redakteur
Gunther Latsch) im KG-Führungsquintett, in dem auch zwei Verlagsleute und ein Dokumentar sitzen, als Büchner-kritisch. Deswegen wird der Sommer sicherlich mal wieder heiß fürs Haus, ebenso der Herbst. Doch trotz allem dürfte es auch danach weiter Wolfgang Büchner und kein neuer Chefredakteur sein, der umstritten ist.
rp