Beim "Spiegel" in Hamburg herrschen eine Woche nach der großen
Spiegel-Online-Jubiläumsparty eher Kater- und Kampfstimmung statt Aufbruchsstimmung. Sichtbarstes Zeichen dafür ist der neuerliche Brandbrief, den die Print-Redaktion am vergangenen Donnerstag an die Gesellschafter verschickte, um ihren ungeliebten Chefredakteur Wolfgang Büchner ganz schnell ganz loszuwerden. Doch die Aktion könnte das Gegenteil bewirken.
Denn auch wenn es in der Außenwirkung so erscheint: Die Spiegel-Gruppe besteht nicht nur aus 260 Print-Redakteuren, sondern auch aus 70 Dokumentaren, über 400 kaufmännischen Verlagsangestellten (diese drei Gruppen sind zudem Stille Gesellschafter des Verlags) – und eben 150 Online-Redakteuren, neben etwa 300 weiteren Mitarbeitern in anderen Sparten.
Spiegel-Chaostage: Das sind die handelnden Personen
Trotz dieses Köpfe-Verhältnisses repräsentierte bisher fast allein die
Print-Redaktion das innere Stimmungsbild des Hauses nach außen: Weil sie den Inhalt des Heftes verantwortet, das nach wie vor das Renommee und die Erlöse der Marke bestimmt. Weil auch ihr ein Teil des Verlags gehört. Weil sie nach ihrem Selbstverständnis ein bisschen mehr
"Spiegel" sind als andere Abteilungen im Haus. Und weil sie beste Kontakte zu Medienjournalisten pflegt.
Seit Anfang vergangener Woche haben Aktivkräfte der Print-Redaktion
einen neuen quasi-öffentlichen Brandbrief vorbereitet. Zunächst kursierte eine Hardcore-Fassung, die Büchner ("Störung des Betriebsfriedens") wie einen
räudigen Hund vom Hof jagen wollte; nur wenige Redakteure wollten hier unterschreiben. Am Donnerstag tatsächlich an Gesellschafter und Mediendienste verschickt wurde
eine allgemeinere Version ("Führungsvakuum beenden").
Trotzdem erntet die Print-Redaktion im eigenen Haus für diese jüngste Aktion Unverständnis, Ärger und sogar Entsetzen. Denn die "Spiegel" -Gesellschafter –
Mitarbeiter KG (50,5 Prozent),
Gruner + Jahr (25,5) und die Augstein-Erben (24) – haben doch, dies ist ein offenes Geheimnis, längst entschieden, dass Büchner als Chefredakteur abgesetzt werden soll.
Zum einen, weil das Verhältnis zwischen ihm und der Print-Redaktion längst als unrettbar zerrüttet gilt. Dies droht viele Projekte zu lähmen, kurzfristige (Heftproduktionen), mittelfristige (Umstellung auf
samstägliches Erscheinen ab 2015) und langfristige (Entwicklung und Umsetzung eines "Spiegel"-Produktkonzeptes für die digitale Welt). Und zum anderen, weil mittlerweile auch die Mehrheit der fünfköpfigen Geschäftsführung der Mitarbeiter KG sowie G+J einige Zweifel und Sorgen der Printler teilen: Zweifel an Büchners Amtsführung, Eignung und Interesse als journalistischer Kopf und
Blattmacher des "Spiegel". Und Sorge um das Print- und Digital-Bezahlmagazin, das – noch – das meiste Geld verdient und das auch in Büchners digitalem Umbaukonzept "Spiegel 3.0" eine zentrale Rolle spielt.
Vollzogen wurde die Entscheidung, Büchner als Chefredakteur abzusetzen, bisher aus drei Gründen noch nicht: Erstens, weil nach der
Absage des externen ("Zeit") Wunsch-Nachfolgers Giovanni di Lorenzo die wohl interne Nachfolgelösung noch nicht definiert ist: der bisherige Vize
Klaus Brinkbäumer alleine? Als Doppelspitze mit einem weiteren Printler – oder mit einem Onliner? Zweitens, weil noch nicht klar ist, ob und inwieweit man Büchner und seine Fähigkeiten als digitaler Change-Manager (die er zuvor als Chefredakteur der
DPA ja gezeigt hatte) weiter ans Haus binden will oder kann. Und drittens, weil die Gesellschafter verhindern wollen, auch noch Geschäftsführer
Ove Saffe zu verlieren, der sein "Spiegel"-Schicksal damit verknüpft hat, dass Büchner bleibt, zumindest in einer herausgehobenen Position.
Aber, wie gesagt: Die Entscheidung gegen Büchner als Chefredakteur ist längst gefallen – deshalb löst der neue Printler-Brandbrief im Rest des Hauses so großes Befremden aus. Die Aktion sei nicht nur unsinnig, sondern auch schädlich fürs Haus, weil sie unnötig und öffentlich nachtrete. Tatsächlich wirkt der "Spiegel", in seiner Selbstwahrnehmung ein Hort streitbarer Charakterköpfe, immer mehr wie ein
zerstrittener Intrigantenstadl. Mittlerweile melden sich auch Stimmen der bisher schweigenden Mehrheit der Online- und Verlagsleute bei Medienjournalisten zu Wort. Interne Konfliktlinien reißen zu Gräben auf, und das alles schön öffentlich. Gar von "Bürgerkrieg" sprechen manche. Außerdem haben es die Printler jetzt geschafft, sich selbst und ihre durchaus nachvollziehbaren Motive, an Büchners spezieller Eignung als Blattmacher zu zweifeln, nun massiv zu diskeditieren: Geht es ihnen tatsächlich nur ums Blatt, oder noch um viel mehr?
Denn darum geht es ja auch: Um das
Projekt "3.0", zu dem sich die Gesellschafter
auch öffentlich bekannt haben. Sein Inhalt: Zusammenführung der Print- und Online-Ressortleitungen, Ausbau der digitalen Bezahlangebote (Online und App), die Gratis-Site
Spiegel Online als Eintrittsplattform dafür. Damit bedeutet "3.0" mehr Macht und Geld für etliche Onliner, zulasten der Printler. Büchner wollte es schnell, konsequent und tiefgreifend umsetzen, oder eben – nach Lesart der Printler – überstürzt, poltrig und
zerstörerisch radikal. Es mag sein, dass manche von ihnen gleich das gesamte "3.0"-Konzept abschießen wollen.
Und nun? Die Gesellschafter könnten sich provoziert fühlen, das neue Führungstableau jetzt erst recht lieber einen Tag später als früher zu verkünden, allein, um zu demonstrieren, dass man sich von den Print-Revoluzzern (oder -"Reaktionären", so ein Onliner) nicht treiben lässt. Speziell in der fünfköpfigen Geschäftsführung der Mitarbeiter KG könnte zudem die Bereitschaft zu einer
Kompromisslösung steigen, mit Büchner in einer herausgehobenen Position. Büchner wäre dazu trotz Degradierung wohl bereit, Saffe sowieso, G+J würde sich wohl nicht sperren. Dann hätten die Print-Petenten mit ihrem jüngsten Brandbrief das Gegenteil erreicht; sie hätten sich selbst die Finger verbrannt.
Allerdings könnte das
KG-Quintett an dieser Frage – Büchner nur degradieren oder ganz demittieren und Saffe verlieren? – auch zerbrechen. Dann müssten die rund 760 Stillen Gesellschafter des "Spiegel" (Print-Redakteure, Dokumentare, Verlagsangestellte) ihre Vertreter neu wählen. Ausgang ungewiss. Gewiss wäre nur: Die Wahlkämpfe vorher würden wild; Brandbriefe wären da noch das Geringste.
rp