Die Zukunft des "Spiegel" beschäftigt die Branche
Irrsinn 3.0: Wenn Gerüchte über Kleinigkeiten zur Meldung hochgejazzt werden, wenn diese Gerüchte aber gar nicht stimmen und das wiederum neue Meldungen generiert – dann geht es mit Sicherheit um den "Spiegel" und das schier ewige Gezerre um dessen Chefredakteur Wolfgang Büchner. Was stimmt – und was stimmt nicht?
Nein, Büchner hat in der Montags-Redaktionskonferenz keine modifizierte oder gar neue Variante seines Print-/Online-Redaktionskonzepts "Spiegel 3.0" vorgestellt. Dies hatte am Montagmorgen ein Branchendienst berichtet; ein anderer Dienst hat am Montagnachmittag zum Glück aufgeklärt. Das ist in diesen Zeiten eine News: dass es keine News gibt. Sondern: Es war nach außen hin eine ganz normale Themen- und Blattkritikkonferenz. Büchner war da, Geschäftsführer Ove Saffe auch, was aber - anders als suggeriert - nichts Besonderes ist, denn das macht er öfters. Über die Raumtemperatur, die Zahl der bösen Blicke und die genaue Sitzordnung (wer saß wem im Rücken?) wurde bisher wenig bekannt. Vielleicht später mal ein Thema für Eilmeldungen.
Ja, am Freitagabend hatten Büchner und Saffe einigen Vertretern der "Spiegel"-Gesellschafter – Mitarbeiter KG (50,5 Prozent), Gruner + Jahr (25,5 Prozent) und Augstein-Erben (24 Prozent) – ein modifiziertes Konzept „3.0“ präsentiert, das dem Vernehmen nach eine deutlich langsamere und weniger weitreichende Verzahnung der Print- und Onlineredaktionen vorsieht. An unter anderem dieser Frage hatte sich die
jüngste Eskalation der Dauerfehde zwischen Büchner und seinen (Print-) Ressortleitern entzündet. Nach der Präsentation haben sich Saffe und Büchner verabschiedet, und die Gesellschafter-Vertreter haben sich beraten.
Anwesend waren dem Vernehmen nach
Thomas Hass, Sprecher der fünfköpfigen Geschäftsführung der Mitarbeiter KG, sowie von Seiten G+J
Julia Jäkel (CEO) und
Oliver Radtke (Vorstand Operations). Nicht zugegen war indes
Jakob Augstein, der Sprecher der Erbengemeinschaft. Seine Abwesenheit könnte für neue hübsche Spekulationsmeldungen taugen: Hat da jemand Augsteins Einladung hintertrieben? Oder wollte er nicht kommen, weil er dachte, bei dem Treffen könnte er zum neuen Chefredakteur berufen werden, also aus gefühlter Befangenheit? Oder ist einfach nur der Zug aus Berlin ausgefallen? Wir Medienjournalisten bleiben dran an dem Thema, versprochen!
Und nun? Stand ist: Die Zeichen mehren sich, dass die lange Zeit gespaltene Führung der
Mitarbeiter KG mittlerweile mehrheitlich eine Zukunft ohne Büchner plant. Doch zum einen ist wohl noch nicht klar, ob und wie Geschäftsführer Saffe gehalten werden soll und kann, der sein Schicksal gewissermaßen mit dem Büchners verknüpft hat. Und zum anderen können wohl weder die KG noch G+J so schnell einen
satisfaktionsfähigen Nachfolger präsentieren, den alle für geeigneter halten als den Amtsinhaber – und der sich den Job antun wollte. Beide Gesellschaftergruppen müssen sich auf jeden Fall einig werden, denn G+J besitzt ein Vetorecht.
Die Situation von
G+J ist dabei keine sehr komfortable: Einerseits hat der Verlag mit seinem „Transformation“ genannten Schrumpfungsprozess gerade selbst genug zu tun und will keine weitere Baustelle, sondern Ruhe beim und Ausschüttungen vom „Spiegel“. Andererseits will man sich als Gesellschafter nicht von zwölf
Print-Ressortleitern und hinter ihnen je nach Anlass unterschiedlich große Fraktionen der Print-Redaktion (die Interessen der Online-Kollegen kommen in diesem Machtspiel schon längst nicht mehr vor) das Geschäft diktieren lassen. Außerdem steht G+J hinter dem Konzept „3.0“. Ebenso wie ja auch die Mitarbeiter KG, zumindest von der Richtung her und solange es nicht allzu konkret wird. Wenn G+J nun aber spezielle
Wunschkandidaten der KG ablehnt, dann stehen G+J und Jäkel schnell in der Ecke von Minderheitsgesellschaftern, die den Mehrheitswillen der „Spiegel“-Mitarbeiter blockieren, unter Ausblendung der Onliner. Einigung tut also Not, und solange bleibt Büchner Chefredakteur.
Daher dürften Emissäre der KG und auch von G+J derzeit mögliche Nachfolgekandidaten ansprechen; in interessierten Zirkeln hat das spekulative
Namedropping dazu jedenfalls längst begonnen. Die Liste der Kandidaten, die „gehandelt werden“ (heißt: die interessierte Mitarbeiter für plausibel oder wünschenswert halten), wird jedenfalls täglich länger. Und es macht für Medienjournalisten ja auch Sinn, in solch einer Situation einfach mal viele Namen zu nennen – das erhöht die Wahrscheinlichkeit ungemein, am Ende irgendwie einen Treffer gelandet zu haben.
Die
„Berliner Zeitung“ schrieb dazu kürzlich passend: „Hochkonjunktur haben jene, die angeblich erfolgte Entscheidungen aus teils persönlichem, teils politischem Interesse verbreiten. Da werden die üblichen Verdächtigen genannt, die es längst selbst nervt, bei jeder Gelegenheit ins Spiel gebracht zu werden. Aber auch zweit- und drittklassige Namen werden gehandelt.“ rp