Klaus Brinkbäumer: Kann er den "Spiegel" in die Zukunft führen?
Zugegeben, Personalien sind oft spektakulär und gut greifbar. Doch gerade beim Dauerzoff-Verlag "Spiegel" steckt viel mehr dahinter: Ein schon existenzieller Streit um den Weg in die Zukunft. Man kann ihn auf vier Fragen verdichten – auf die bald Antworten kommen müssen.
1. Sind sich die Gesellschafter einig?
Der "Spiegel" gehört mehrheitlich rund 730 der über 1100 Mitarbeitern der Gruppe: Stille Gesellschafter sind Print-Redakteure, Dokumentare und kaufmännische Verlagsangestellte. Sie bilden die
Mitarbeiter KG und wählen alle drei Jahre eine fünfköpfige Geschäftsführung, jeweils aus ihren Reihen. Aktuell sind dies, in alphabetischer Reihenfolge:
Rainer Buss (Controller),
Thomas Hass (Vertriebschef) als Vorsitzender,
Gunther Latsch (Redakteur),
Thomas Riedel (Dokumentar) und
Marianne Wellershoff (Leiterin "Kultur Spiegel").
Das Problem: Die fünf KG-Chefs sind sich häufig uneinig – sachlich, auf persönlicher Ebene und auch deshalb, weil sie bisweilen in Rollenkonflikte geraten: So können Entscheidungen, die für das gesamte Haus richtig sind, für sie selbst oder für ihre lieben Kollegen, die sie gewählt haben, Nachteile bedeuten. Oder umgekehrt. In den fetten Jahren hat das Mitarbeiter-Modell halbwegs gut funktioniert, weil immer genug Geld da war, um Gräben großzügig zuzuschütten. Doch die Zeiten werden härter. Gerade jetzt muss die amtierende oder (bei einer nicht ausgeschlossenen Neuwahl) die künftige KG-Führung beweisen, dass sie unternehmerisch handeln kann: Klar entscheiden und dann gemeinsam dazu stehen, auch wenn von einigen betroffenen Mitarbeitern Gegenwind kommt. Sonst wird und bleibt der "Spiegel" tatsächlich das, als was er sich in den vergangenen Monaten gezeigt hat: unführbar.
Spiegel-Chaostage: Das sind die handelnden Personen
Und als reichte es nicht, dass der Hauptgesellschafter Mitarbeiter KG (50,5 Prozent) oft in sich zerstritten ist, gibt es da noch
Gruner + Jahr mit seinen 25,5 Prozent – und Veto-Recht. Allerdings ist bei G+J niemand so vermessen zu glauben, mit einem Viertelanteil gegen die Mitarbeiter KG Politik machen zu können. Wenn diese etwas will, dann muss G+J am Ende zustimmen. Man will auch nicht als Blockierer des "Spiegel"-Willens dastehen und hat zudem zu viele eigene Baustellen. Und die Augstein-Erben mit ihren 24 Prozent? Haben zwar formal nichts mehr zu sagen, können mit ihrem großen Namen aber immer noch für irritierende Schlagzeilen sorgen, zumal sich auch Franziska und Jakob Augstein oft nicht einig sind.
2. Ziehen Chefredaktion und Geschäftsführung an einem Strang?
Interimistisch übernehmen nun die beiden Print-Stellvertreter
Klaus Brinkbäumer und
Clemens Höges die Chefredaktion. Perspektivisch dürfte das neue Führungsduo aber aus Brinkbäumer und
Florian Harms bestehen, der in Verlagskreisen derzeit als zweiter Kopf in der künftigen Chefredaktion gehandelt wird. Er ist gemeinsam mit
Barbara Hans derzeit stellvertretender Chefredakteur von Spiegel Online.
Kein Zweifel: Brinkbäumer und Harms sind exzellente Journalisten, mit großen Meriten auf ihrem jeweiligen Gebiet. Einen richtig großen Namen auf der Flughöhe von Gesamt-Chefredakteuren haben sie indes noch nicht – aber nun die Chance, sich diese Namen zu erarbeiten und das Stigma der 2. Wahl, der Notlösung, abzuschütteln. Die Konstruktion einer Doppelspitze birgt allerdings Risiken – vor allem dann, wenn ihr Hauptjob ist, in ihren bisher getrennten Bereichen mehr gemeinsam auszuprobieren, mehr zu choreographieren.
Showdown beim „Spiegel“
Was die Ablösung von Wolfgang Büchner bedeutet
Der Machtkampf zwischen den "Spiegel"-Gesellschaftern ist entschieden: Die in der Mitarbeiter KG organisierten Printredakteure haben sich durchgesetzt, G+J gibt klein bei. Damit muss Chefredakteur Büchner gehen. Dass Geschäftsführer Saffe bleibt, ist wenig wahrscheinlich. ...
Die frühere Doppelspitze,
Georg Mascolo und
Mathias Müller von Blumencron (2008 bis 2013), war an dieser Aufgabe krachend gescheitert, sowohl in gemeinsamer Verantwortung für Print/Online als auch dann getrennt. Aus diesen fünf für den "Spiegel" verlorenen Jahren, in denen der lähmende Dauerzoff der Doppelspitze eine offene digitale Alphabetisierung der Print-Redaktion verhindert hat, müssen die neuen Chefredakteure lernen.
Bei einer Konstellation Brinkbäumer/Harms läge das größte Risiko darin, dass sie ihre vertrauten Bereiche protegieren – doch sie müssen das publizistische und wirtschaftliche Gesamtwohl der Marke im Sinn haben, auch wenn dies manchmal vermeintlich oder zunächst zu Lasten der Print-Exklusivität oder der Online-Klicks geht. Die Chefredaktion muss für alles zusammen verantwortlich sein, auch dann, wenn die Redaktionen (was sicher sinnvoll wäre) und die Ressortleitungen (was wohl weniger sinnvoll wäre) weiterhin getrennt bleiben. Sie muss sich einig sein darin, wer wann Zugriff auf welche Redakteure hat und auf deren Produkte. Ebenso in Personalfragen (was tun mit Büchners Gefolgsleuten, allen voran Berlin-Chef
Nikolaus Blome?) und bei der Frage, ob und inwieweit Büchners digitales Umbaukonzept "Spiegel 3.0" weitergeführt wird.
Und natürlich: Bei alledem muss die neue "Spiegel"-Chefredaktion auf einer Linie sein mit dem künftigen Geschäftsführer. Sonst wird der Zoff Dauerzustand beim "Spiegel". Das Haus würde weiter Zeit verlieren bei seiner digitalen Transformation und Gefahr laufen, seinen (dank bisher erfolgreicher Print- und Online-Ausgaben) Vorsprung zu verspielen.
3. Was bleibt vom Konzept „Spiegel 3.0“?
Dahinter steckt die Frage, wie die Produktwelt der Marke "Spiegel" im digitalen Zeitalter aussehen soll, also die Themen, ihre Tiefe und Taktung in den Kanälen Print, App, Online und Mobile. Büchners und Saffes Konzept "Spiegel 3.0" hatte hier mögliche Antworten gegeben: Zusammenführung der Print- und Online-Ressortleitungen, Ausbau der digitalen Bezahlangebote (Online und App), die Gratis-Site Spiegel Online als Eintrittsplattform dafür. Dies würde mehr Macht und Geld für die Onliner bedeuten, nicht nur im Arbeitsalltag.
Noch am 25. August hatten sich alle Gesellschafter öffentlich dazu bekannt: "Das Projekt von Chefredaktion und Geschäftsführung für die engere Verzahnung von Print und Online, das unter dem Namen Spiegel 3.0 bekannt geworden ist, findet die Unterstützung aller Gesellschafter." Später haben sie auch noch einer modifizierten Variante zugestimmt.
Führungskrise beim Spiegel
Wie Giovanni di Lorenzo fast "Spiegel"-Chef wurde
Seit Wochen planen die "Spiegel"-Gesellschafter die Zukunft ohne den amtierenden Chefredakteur Wolfgang Büchner. Sie suchen einen Nachfolger. Einig werden konnten sie sich nur bei einem Kopf - "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Doch der kommt nun nicht. ...
Redakteure weisen darauf hin, dass "3.0" nie alternativlos gewesen sei. Arbeitsgruppen hätten zuvor auch andere Konzepte erstellt. Konzepte, die größeren Wert auf das Magazin legen und weniger Wert auf den Ausbau der App durch zusätzliches (Recherche-) Material und diverse Services. Dem Vernehmen nach dringt auch Brinkbäumer auf mehr blattmacherische Energie fürs Magazin, um dessen Auflagenverfall zu verlangsamen. Außerdem treibt ihn wohl die Sorge um, ein zu boulevardeskes Spiegel Online könnte der Gesamtmarke schaden.
Manch einer bevorzugt Konzepte mit einer niedrigeren Paywall auf Spiegel Online, mehr Mobile-Logik und mit einer weiterhin stärkeren Trennung zum Magazin. Andere würden gerne erst neue Inhalte- und Produktideen ausprobieren, bevor Redaktionswände eingerissen werden. Jedoch: Die Gesellschafter hatten sich klar für "3.0" entschieden. Sie müssten also eine gewaltige Kehrtwende vollziehen – und sich endlich mal einig werden. Siehe Punkt 1.
4. Geht der Wandel schnell genug?
Auch die traditionellsten Traditionalisten beim "Spiegel" beteuern, dass Wandel nötig sei, irgendwie, irgendwo – besonders da, wo man selbst davon verschont bleibt. Und wenn nichts geschieht? Vor Wochen hatte Saffe den Gesellschaftern vorgerechnet, dass der "Spiegel" in diesem Fall in drei bis fünf Jahren in die roten Zahlen rutsche. Und da der Verlag wegen hoher Ausschüttungen kaum Rücklagen hat, müssten die Gesellschafter Kapital nachschießen. Doch wer? Die Mitarbeiter? Sicher nicht; ihre Ausschüttungen sind längst verfrühstückt oder stecken in Eigentumswohnungen in Hamburg-Eppendorf. G+J? Die Augsteins? Sicher nicht.
Daher könnte der "Spiegel" irgendwann seine Eigenständigkeit verlieren und zum Übernahmekandidaten werden (G+J? Bauer?). Natürlich, noch ist es längst nicht soweit. Noch sprudeln Gewinne – aber sie sinken. Genau deshalb muss sich das Haus jetzt zukunftsfähig aufstellen. Dazu sollten auch Überlegungen gehören, die rund 150 Online-Redakteure und weitere etwa 300 Mitarbeiter aus anderen Sparten ebenfalls am Unternehmen zu beteiligen. Denn mehr digitale Denke könnte sogar dem "Spiegel" gut tun, auch auf Gesellschafterebene.
rp