Wieder einmal turbulente Tage beim "Spiegel" (Bild: Unternehmen)
Ein Lieblingswort von Medienjournalisten bekommt heute wieder einmal Hochkonjunktur: Ericusspitze. Im Hauptquartier des "Spiegel" soll sich heute um 15 Uhr die nähere Zukunft des Nachrichtenmagazins entscheiden, wenn die Gesellschafter zusammenkommen, um über die Pläne von Chefredakteur Wolfgang Büchner abzustimmen. Dieser will bekanntlich Print und Online enger verzahnen und dafür sogar alle Ressortleiterstellen neu ausschreiben. Der Showdown könnte sich allerdings verzögern.
Auf besagtem Treffen wollen die Teilhaber des "Spiegel" über Büchners Konzept beraten. Zu der Runde gehören das Medienhaus Gruner + Jahr, mit 25,5 Prozent am "Spiegel" beteiligt, die Erben von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein (24 Prozent) - und vor allem die Mitarbeiter KG, in der die Magazin-Redakteure und Verlagsmintarbeiter organisiert sind. Die KG hält 50,5 Prozent am "Spiegel". Deswegen wird es auch maßgeblich darauf ankommen, ob ihre fünf Geschäftsführer Einigkeit darüber erzielen können, wie mit Büchners Plänen umzugehen ist. Zuletzt war das Quintett offenbar gespalten: Zwei wollen sich angeblich gegen Büchner stellen, zwei stehen hinter ihm, einer soll noch unentschieden sein.
Wie Michael Hanfeld in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nun berichtet, wird aus der Redaktion allerdings gehöriger Druck auf die KG-Spitze gemacht: "225 Redakteure des Magazins und eine ganze Reihe von Mitarbeitern aus der Dokumentation und den Sekretariaten" hätten die Vertreter der Mitarbeiter-KG dazu aufgefordert, Büchners Pläne für einen "Spiegel 3.0" abzulehnen. Dieser Plan sieht vor, zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen Print und Online zu kommen. Deshalb auch die Neuausschreibung der Ressortleiterposten: Künftige Ressortleiter sollen sowohl für das gedruckte Heft als auch für Online gleichermaßen zuständig sein.
Büchner und Saffe drängen in der Sache offenbar auf ein schnelles Vorankommen - doch es droht eine Hängepartie.
Laut "Süddeutscher Zeitung" deute vieles darauf hin, dass die Entscheidung vertagt werden könnte, weil die Vertreter der Mitarbeiter KG noch uneins sind. Zudem steht nach wie vor die Frage im Raum, ob die Pläne der "Spiegel"-Oberen überhaupt die Zustimmung der Gesellschafter bedürfen. Ja, sagt die Mitarbeiter-KG, weil es sich um eine zustimmungspflichtige Strukturveränderung handele. "Wenn ein Ressortleiter künftig für ein Ressort Verantwortung trage, dessen Mitarbeiter von zwei unterschiedlichen Firmen - nämlich dem Spiegel-Verlag und der Spiegel Online GmbH - beschäftigt werden, verändere das die Struktur schon ganz gewaltig", gibt Kai-Hinrich Renner im heutigen "Handelsblatt" die Meinung der Mitarbeiter KG wider.
An der Einsicht, dass eine enge Kooperation von Print und Online beim "Spiegel" unabdingbar ist, mangelt es laut SZ" in der Redaktion nicht. "Die Strukturveränderung könne aber nur 'in vertrauensvoller Zusammenarbeit' vorbereitet werden." Die Fähigkeit dazu gehe Büchner aber ab, weshalb seine Pläne "jetzt abzulehnen" seien. Dass der ungeliebte Chefredakteur seine Agenda unbeirrt abarbeitet, hat bereits im Juli zum Eklat gefürt.
Damals waren mehrere Ressortleiter bei "Spiegel"-Geschäftsführer Saffe vorstellig geworden, um klarzumachen, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Büchner kaum mehr möglich sei. Die Ausschreibung der Ressortleiterstellen soll allerdings keine Retourkutsche auf diesen Vorstoß sein, wie aus dem Verlag zu hören ist.
Derzeit scheinen also drei Szenarien möglich: Die Mitarbeiter KG stimmt Büchners Plänen zu - dann wird sie selbst wackeln. Oder sie lehnt ab. Dann könnten Büchner und Saffe vor dem Abgang stehen. Und das dürfte mit einer teuren Abfindung verbunden sein. Oder: Die Entscheidung wird vertagt und der Streit schwelt weiter. Aus keinem Szenario dürfte der "Spiegel" unbeschadet hervorgehen.
ire